Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nach ergangenen Erklärungen durch die Öffentlichkeitsarbeit war der Moment gekommen, der eröffneten Absolventenausstellung 2018 am Frankfurter Städel nachzugehen, um eventuelle Sachzusammenhänge zwischen den Absolventen*innen festzustellen, eine mögliche Grundidee, die situativ bedingt wäre.
Wenn die Absolventengeneration eines Jahres Werke schafft, ist ein Zusammenhang mit der temporären Weltlage durchaus denkbar.
Das Machen bewegt sich zwischen Akademie und gestalterischem Impuls
Von dem Gezeigten erinnert manches an die am Wochenende zuvor in großen Räumen des vormaligen Unternehmens Dimetis - Integrierte Systemlösungen, nahe des Kaiserleikreisel Offenbach ausgestellten Installationen der Studierenden der Hochschule für Gestaltung (HfG). Diese Studentinnen und Studenten standen einer gegebenen Vielfalt von Materialien, Stoffen und Oberflächen gewerbsmäßig näher als die Städel-Absolvent*innen. Die Spontaneität der Einfälle und Ideen war dort ausgeprägter, sie erschienen ungebundener und freisinniger, aber daher auch schon warenförmig, während die Arbeiten der 33-köpfigen Städelgruppe mehr den Eindruck vermitteln, dass etwas Ernstes, Schwieriges, Problematisches zu verhandeln sei.
Unter allen Voraussetzungen aber gehen Studierende gleichermaßen handwerksmäßig professionell ans Werk, der Umgang mit Werkstoffen, Materialien und handwerklichem Können wird gemeistert wie vom gewerblichen Handwerk. Die Entschiedenheit, die künstlerische Idee umzusetzen, überwindet Schwierigkeiten möglicher Hemmnisse durch die Einwirkung unseres geflügelten Pferdes Pegasus, das auf dem Dachfirst der Alten Oper schwebt.
Vom 11. Juli bis 5. August sind die Arbeiten von 33 Künstlerinnen und Künstlern verschiedener Werkgruppen im Peichlbau des Frankfurter Städel zu besichtigen. Die Arbeiten setzen bei individuellen Motiven an, eine gesellschaftliche Dimension ist nur in Andeutungen denkbar bzw. vom Betrachter aus zu unterstellen. Die Ankündigung mit ‚After Rubens‘ weist auf die Rubens-Ausstellung zurück, die zuvor an derselben Stelle gezeigt wurde. Rubens-Zitate können in das Ausgestellte mehr hinein- als herausgelesen werden. Am meisten gemahnt die Kesseltrommel von Viviana Abelson an jene Opulenz, die hinter einem Vorhang von faltig verlinkten, verkohlten Brettern lagert: das Schlaginstrument bringt allegorisches Leben in die Bude, das Fell der Trommel ist über einen Klumpen von Reifen gespannt.
Zwischen Mythologie und Mystifikation
Die individuellen Mythologien waren einst ein Renner in der Kunst, im Fall der Absolvent*innen-Ausstellung drängt sich oft der Eindruck individueller Mystifikationen auf. Das ist kein Nachteil, denn Kunst braucht das Überschiessende, ein Als-ob, Seht-her. Nach dem Eindruck der Erstbegehung steht fest, dass jedes Werk sein Überschiessendes aufweist, das zu Assoziationen Anlass gibt, die die Erkenntnis des schwierigen Weltganzen ein Stück weit begünstigen. Das Bildnerische und Plastische durchdringt das Undurchdringliche mehr als die ausgesuchtesten Wortgefüge. Die Verfremdung zurückliegender, nicht grad angenehmer Geschichten dürfte für die meisten Werke Pate gestanden haben.
Zum in sich geschlossenen Kunstwerk wurde das Virtual Ready Made von Bertrand Flanet mit ‚Exhibitions‘, Kamerafahrten, die nicht computergesteuert sind, obgleich sie sehr eckig wirken. Es kommt zu abrupten Halts. Vögel aus dem Schwarz der Imagination mit großem Weiß von Augäpfeln vermitteln der Fahrt durch das Labyrinth der ominösen Wohnanlage lebhaft Bindung. Durch ein Pissoir geht eine rasante Kamerafahrt. Ein Regelwerk bestimmt die Kameraführung, die eine andere Dimension andeutet. Die Kamerafahrt setzt auf Dramaturgie.
Am meisten könnten die drei fiktionalen Portraits nach dem Vorbild automatischen Schreibens Aufnahme finden, zumal sie mit hoher Präsenz den Raum füllen. Die Bilder entwickelten sich, wie die Künstlerin Babett Semmer erklärte, die zuvor in London studiert hatte und jetzt nach Berlin weiterziehen wird. Gewährsmann für ihre Aktion wurde der französische Künstler Fragonard (1732 – 1806), ein Rokokomaler, der der Kunde nach in jeweils nur einer Stunde 15 Portraits von frei erfundenen Personen gemalt haben soll. So tat auch die Künstlerin mit ihren drei Bildern. In der Mitte ‚Mona Esterhazy bei Nacht‘. Sodann ein Gruppenbild, nach der Manier von Verlasquez, in dem einen Personen immer anblicken und das Portrait eines Vaters mit Kind, einem Alleinerziehenden, dem ein Phone in die Hand gemalt ist, auf dem er am Kinde vorbei tippt. Eine fliegende Automatik beim Malen ist keine schlechte Bildnerin.
Eine gewisse Düsternis ist das nahezu Durchgängige moderner Kunst
Düster und zugleich anziehend wirkt gegen Ende des Ausstellungsgangs die 'Study for Clinique‘ von Bob van der Wal. Eine letztlich auch fiktionäre Arbeit, wie auch die personengroße Rauminstallation ‘13a The Crescent‘ von Guy Gormley (ausstaffierter Raum, perfekt ausgeführt, sogar mit sfumatischer Wandbemalung veredelt) nahe dem Eingang, die eine Verbindung mit einer Schule haben soll, die es tatsächlich gibt.
Van der Wal aber zeigt einen Raum, der irgendwie mit fragwürdigen Ärzten in Verbindung gebracht werden muss, die Menschen auf sattelartig geformte Objekte spannen und sie womöglich in längeren Zwangslagen kümmern lassen. Auf der Wandgegenseite hängen an einem Wandgeländer Kanülen, mit denen dann vielleicht lindernd eingewirkt wird. Der Clou ist aber, dass vom Clinique-Raum-Ende hinten ein Kinderwagen-Liegenaufsatz abgeht.
Man begreift: Die Gesellschaft als Ganze ist nicht naiv abbildbar, wie sollte sie es sein, bei der Verworrenheit der Verhältnisse. Abbildtheoretiker Georg Lukács bekäme immer Unrecht. Die Kunst vermittelt eine Andeutung von spannungshaften Zuständen, Lagen und Verhältnissen. Es sind individuelle Situationen, schwierige Umstände, die die eigenen gewesen sein könnten (oder mit diesen korrespondieren), die hinter dem Werk liegen. Die Kunst macht sonderbare neue Tätigkeiten und Verhältnisse zum Gegenstand, verschafft uns kurze Blicke, die hängenbleiben, aber keine Abbildfunktion erfüllen. Das geschieht auch nicht bei den ‚Audio Guides‘ (26), die an die Wand fixiert sind. Diese Studie braucht Zeit.
Bewegung hat oft etwas Mythisierendes
So verhält es sich auch mit dem Video der ‚Begegnung mit Jungen‘ von Jonas Brinker bezeichnet mit ‚Untitled (boy and horse)‘, die der Künstler selbst erlebt hat. Sie dauert eine Minute und hat nur eine Einstellung. Die Minute spielte sich in der Nähe von Hebron ab. Der Sohn eines Farmers macht den oppressiven Reiter des Pferdes unter ihm.
Die Begegnung stand unter dem Motto: Austausch in Israel - ergab ein Intensive Begegnung, wie der anwesende Künstler knapp erläuterte, die in der Erinnerung Bestand annahm. Das Motiv, kurzgefasst: Junge übt Dressurbewegung auf der Stelle mit einem Pferd aus, das sich unter ihm zu entwinden sucht.. Dieses versucht sich seiner Einwirkung zu entziehen, will der Beherrschung ausweichen: das ähnelt einer Szene, die Eingeborene beeindrucken soll, so gesehen in einem Film über Konquistadoren.
Fotos © Heinz Markert
Info:
After Rubens. Absolventenausstellung 2018 · 11. Juli – 5. August 2018 · Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt. Es wird ein Absolventenpreis verliehen.