After Rubens – die Absolventenausstellung der Städelschule 2018, Teil 2/2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Eine Frau sollte man schon sein, wenn man sich traut, das nachzumachen, was die dänische Twerk Queen Louise mit ihrem Hintern in dem 13minütigen Video vormacht, das die ebenfalls aus Dänemark kommende Liesel Burisch uns als Abschlußarbeit präsentiert: ein ausladendes Hinterteil, das mal im Stehen, auf allen Vieren, beim Tanzen oder im Handstand derart ins Vibrieren gebracht wird, ins Schaukeln, ins Wackeln, ins Schwingen, ins Schütteln, ins Rütteln, ins rhythmische Wiegen, Wedeln, Zappeln, Schlackern, Schlingern, Wedeln, Flattern und Zuckeln, daß es nur eine Lust ist.
Lust? Und das ist das eigenartige und nur darum schreibe ich darüber, für mich war dabei keine Spur erotischer Lust, sondern reine Lebenslust: geballte Körperenergie, eine Körperbeherrschung, die hier dem Po gilt und diesen für 13 Minuten zum wichtigsten Körperteil der Welt macht. Da ich den Bauchtanz aus Ägypten ganz gut kenne, war dieser auch meine erste Assoziation. Auch da wird Bauchfett zu einer eigenen Währung. Das gilt auch für hier, denn am tollsten, am genauesten sieht man alles bei nackter Haut. Und da erlauben sich Körperkünstlerin Louise Kjølsen und die Absolventin der Städelschule Liesel Burisch schon einen gemeinsamen weiblichen Witz: denn in einer der in wechselnden Kostümen der Twerk Queen und unterschiedlichen Situationen wabbelnden Hintern, bleibt dieser nackt und wird beschriftet: auf der linken Backe steht „Good“, auf der rechten „Intentions“, was also die guten Absichten des kommenden Hinternspiels betont. Doch wenn sie dann loslegt und einem ob solcher Muskelbeherrschung die Spucke wegbleibt, dann muß man unwillkürlich laut lachen, denn man liest jetzt in der heftigen Bewegung ganz eindeutig: „God Intentions“, also Gottes Absicht. Na denn.
Doch eh wir auf die Twerk Queen Louise Kjølsen und ihre verschiedenen Auftritte zurückkommen – Twerken wird also das Schütteln und Rütteln der beiden Pohälften genannt, die übrigens, höchste Kunst, auch je ihren eigenen Rhythmus hinbekommen, denn es ist zwar ein Hintern, aber er hat zwei Backen – müssen wir auch unsere Assoziationen mitteilen. 13 Minuten sind eine lange Zeit. Da geht einem vieles durch den Kopf. Durch meinen vor allem mein leicht zu aktivierendes Fragezentrum im Hirn, was immer mit dem des Spracherklärungszentrums gekoppelt ist. Wir haben einen Körper, aber viele Teile. Einige davon gedoppelt. Aber nur einen Kopf, einen Leib. In dem einen Kopf nur ein Gesicht, das hat nun zwei Augenbrauen, weil es zwei Augen hat. Klar, wenn eines ausfällt, dann hilft noch das andere. Das gilt doch wohl auch für die Ohren, von denen es auch zwei hat. Aber nur eine Stirn, eine Nase und nur einen Mund, auch nur ein Kinn. Warum eigentlich? Aha, stimmt nicht ganz, die Nase hat dann doch noch zwei Nasenhöhlen. Aber das wird jetzt zu beckmesserisch. Eigentlich ist es nur eine Nase. Und wenn die kaputt ist...
Kommen wir lieber zu den zwei Backen, die müssen zwei sein, weil ja die Nase auch als vertikale Trennungslinie im Gesicht gesehen werden kann, wie bei den Bildern des Rohrschachtests, die aufeinandergedrückt und auseinandergenommen spiegelbildlich zu lesen sind. Längst gehört es ja zum Allgemeingut, daß unsere Gesichtshälften eben nicht identisch sind, sondern nimmt man die linke oder rechte Seite und ergänzt sie um ihre eigene, uns ein Gesicht entgegenkommt, das nie und nimmer unser eigenes ist. Und das Twerken? War doch klar, warum wir diese Assoziationen hatten, schnell aufgezählt, zwei Arme nebst Händen, Brüste, Beine, Füße – ja und nochmal zwei Backen, aber hinten und unten. Die Hälften des Hinterns! (Ja, ja, jedem sein eigener Himmel.) Die Sprache ist doch schlauer als wir. Die Pobacken sind einfach ein fester Begriff. Und diese beiden vibrieren und schleudern sich zu Gottes Absicht hin. Aber es geht so schnell, daß wir nicht genau erkennen können, welche individuellen Abweichungen die linke und die rechte Hälfte besitzen, auf daß erst der Gesamthintern über die göttliche Intention etwas aussagen könnte. Aber welche ist die überhaupt, die Intention?
Wir hatten das Glück, daß zum Presserundgang der Ausstellung der Städelabsolventen – deren Rektor Philippe Pirotte betonte, es handele sich bei den Werken nicht um die der fertig gewordenen Studierenden, sondern um Werke „von Künstlern am Anfang ihrer Karriere“ - auf diese Weise auch Liesel Burisch nach ihrem Video GOOD INTENTIONS befragt werden konnte. Ach was, sie war froh, daß man stehenblieb und schaute, gesellte sich dazu, erklärte einiges und ließ einen dann sofort in Ruhe selber schauen. Erst danach im Gespräch verstand ich, daß diese junge Frau (1987 Dänemark) die Urheberin war, dieses Video erstellt hat. Das ist natürlich noch einmal etwas anderes, wirklich etwas Besonderes, wenn diejenige, die etwas hervorbringt, dann darüber redet und man in einen Dialog treten kann. Aber mein Anspruch bleibt, daß man auch ohne vieles Wissen ein Kunstwerk, ein Kunststück erkennen, also wahrnehmen, deuten und – auch genießen kann.
Aber es ist schon hilfreich, mehr zu wissen, vor allem, wenn wie hier: Twerken einem völlig unbekannt war. Das mehr Wissen leistet zudem auch der kleine Katalog, der alle 31 ausgestellten Absolventen, darunter mindestens 15 Frauen, auf je zwei Seiten und einem zweiseitigen Foto aufführt. Das ‚mindestens‘ bezieht sich darauf, daß ich bei ausländischen Namen leicht ob ihrer Geschlechtszugehörigkeit ins Schwimmen komme. Wir haben die Herkunftsländer mal durchgezählt: 14! Australien, Argentinien (2), Kanada(2), USA (4), Deutschland (8), Dänemark (3), Frankreich, United Kingdom (3), Schweden, Israel, Italien, Irland (2), Rußland, Südkorea. Das könnte unser Oberbürgermeister Peter Feldmann, der gerne von den 177 Nationalitäten, die in Frankfurt am Main zu Hause sind, spricht, womit er gut tut, denn die leben ganz schön gut hier miteinander, das könnte also der OB in sein Repertoire übernehmen, diese internationale Zusammensetzung der Städelschule.
Miriam Bettin hat den Text über Liesel Burischs Werk im kleinen Katalog verfaßt, in dem sie die Körperkünstlerin vorstellt: „Die Dänin Louise Kjølsen ist selbsternannte Twerk-Queen. Und ‚Twerk Hard, Play Hard-Feministin‘ (Zit.Kjølsen ). In zahlreichen Auftritten in der dänischen Medienlandschaft, in Workshops und Publikationen vertritt sie die These, daß Twerk eine emanzipatorische, feministische Geste sei. Durch die Rückgewinnung des eigenen Körpers durch diese Art des Tanzes verspricht sie sich Kontrolle, Macht und Unabhängigkeit. Auf ihren Social-Media-Kanälen begegnet man vor allem ihrem wackelnden Hintern in engen, glitzernden oder pinkfarbenen Hot Pants. In Interviews zitiert sie Judith Butler und Michel Foucault.“ (S.31)
Das war uns ja das Erstaunliche, daß trotz der Kostümierung der Louise Kjølsen als aufgeputschtes, mit hauteng Glitzerndem wie ausgezogen wirkendem Superweib - wie in jeder billigen Sex-Reklame und allem Ambiente einer vulgären weiblichen Sexmaschine, natürlich mit High Heels - wir keine Assoziation mit Striptease hatten oder mit käuflicher weiblicher Ware, sondern sofort von ihrem Hintern gefesselt waren, den sie an allen möglichen Stellen in Ekstase versetzen kann. Das ist wirklich Kunst. Körperkunst. Wir bekamen richtig Hochachtung, wie jemand sein Körperteil so kontrollieren kann, daß es eben nach Erdbeben aussieht, aber doch über den Kopf und die Sinne gesteuert Menschenwerk, nämlich weibliche List ist, die sicher ihr, die das kann, auch Lust bedeutet.
Liesel Burisch bringt das jeweilige Powackeln unterbrochen von Interviewszenen, die den Kontext der Twerk-Queen klären, aber ansonsten ohne eigene Kommentierung bleiben. Was richtig und wichtig ist. Was sollte sie auch dazu noch sagen? Dies zu zeigen ist ein Kommentar. Wenn dann noch im Katalog hinzugefügt ist: „Am Ende bleibt ein mulmiges Gefühl und die Verantwortung der Betrachter‘innen sich selbst zu positionieren“, kann ich hinzufügen: bei mir nicht. Ich meine das ‚mulmige‘ Gefühl. Ich fand das nicht peinlich, nicht zum fremdschämen, ich fand das spannend, interessant und auch lehrreich. Wenn ich viel jünger wäre, würde ich damit sofort beginnen. Das ist doch hoffentlich Kommentar genug.
Fotos:
© staedelmuseum.de
Info:
After Rubens. Absolventenausstellung 2018 · 11. Juli – 5. August 2018 · Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt. Es wird ein Absolventenpreis verliehen.