Claudia Schulmerich
Colmar (Weltexpresso) – Es geht also nicht allein um den nüchternen Vorgang einer grundlegenden Restaurierung des vom deutschen Maler Grünewald zwischen 1512 und 1516 gemalten und von Niklaus von Hagenau geschnitzten Altars, sondern darum, diesen Prozeß zu nutzen, um über eine Beschäftigung mit den Restaurierungsvorgängen eine intensivere Beziehung weiter Teile der Bevölkerung mit diesem einzigartigen, ehemals 8 Meter hohen Altar zu schaffen.
Eine solche Beziehung ist wohl bis heute in der französischen Öffentlichkeit nicht wirklich vorhanden und Kunstexperten vorbehalten, was vor allem für den Maler des Isenheimer Altars gilt: Mathis Grünewald (der bekannteste von mehreren Namen), der den Deutschen einer der ganz Großen ist, auch wenn nur wenige Werke erhalten sind, gehören diese zum kulturellen Gedächtnis Deutschlands und der europäischen Kunstgeschichte. Wo es bei den beiden genannten Symposien zur Vorbereitung der Restaurierungskampagne konkret um die Restaurierung von Gemälden von Grünewald ging, hatten verschiedene deutsche Museen einiges beizutragen, Erfahrungen, auf die nun das Museum Unterlinden zurückgreift. In der Staatlichen Kunsthalle hängt CHRISTUS AM KREUZ ZWISCHEN MARIA UND JOHANNES sowie DIE KREUZTRAGUNG CHRISTI und zwei der ebenfalls wunderbaren Grisaillen des Helleraltars, die weiteren zwei befinden sich im Frankfurter Städel.
In Basel hängt die KREUZIGUNG CHRISTI , die Publikumsattraktion STUPPACHER MADONNA in Franken war das Mittelbild des Maria-Schnee-Altars aus Aschaffenburg, dessen ursprünglicher rechter Flügel, das Schneewunder, hängt heute im Augustinermuseum in Freiburg, die auffällige ERASMUS-UND MAURITIUSTAFEL befindet sich in der Alten Pinakothek München, genauso wie DIE VERSPOTTUNG CHRISTI, nur DIE BEWEINUNG CHRISTI ist noch am Ursprungsort der Stiftskirche in Aschaffenburg, wenn man mal von den Coburger Bildern absieht. Das sollte nur deutlich machen, daß die Gemälde – die herrlichen Zeichnungen sind weggelassen – verstreut sind, wobei die meisten Werke verloren, auch in den Fluten der Ostsee untergegangen sind.
Das alles ist den französischen Museumsbesuchern weithin unbekannt, die, wenn überhaupt, den Isenheimer Altar kennen, nicht aber den Maler Matthias Grünewald. Das räumte Museumsdirektorin und Chefkoservatorin Pantxika Béguerie-De Paepe unumwunden ein, die selbst aus dem Südwesten Frankreichs stammend diesen Maler früher auch nicht gekannt hatte. Gerade deshalb hat sich diese über vier Jahre erstreckende Restaurierungskampagne vorgenommen, mit der affektiven Beteiligung der Bevölkerung durch Spenden auch die Bedeutung des Isenheimer Altars von Grünewald ins Bewußtsein der Franzosen zu heben und seinen Künstler Grünewald bekannter zu machen.
Was hier ein wenig formal und abstrakt klingt, hat einen ganz einfachen, zutiefst emotionalen Hintergrund. Wer früh dieses Wunderwerk der Bildtafeln von Grünewald sehen durfte, ist für immer von ihnen gefesselt, beglückt, ja beseelt. Man kann noch so viele Stunden vor dem Flügelaltar verbringen, noch so oft die Abbildungen in den Bildbänden betrachten, man bekommt nie genug. Bei aller Klarheit der bildhaften Aussage von Verkündigung, Jesu Geburt, Kreuzigung und Wiederauferstehung, gibt es noch so viele Rätsel, vor allem aber eine derartige Formen- und Farbpracht, ja eine nachgerade surreale Welt, die für immer in einem ruht, die man aber immer wieder mal mit eigenen Augen wiedersehen will, wiedersehen muß.
Was das Museum also durch die Restaurierungskampagne versucht, ist für jedermann diese innige Beziehung zu einem der bedeutsamsten Kunstwerke der Welt möglich zu machen, die unsereinem durch Erziehung und Museumsbesuche mit den Eltern sozusagen in die Wiege gelegt wurde.
Jetzt, nachdem das Verfahren und die Absicht geklärt ist, wird es höchste Zeit, mehr über den Altar und den Maler Matthias Grünewald zu erfahren und auch auf jeden Fall die einzelnen Tafeln in Wort und Bild vorzustellen, was wir in einer Serie tun.
Fortsetzung folgt
Foto:
© © musée-unterlinden.com, Ruedi Walti
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