csm Schirn Presse Wildnis Riviere Beyond Man s Footsteps 1894 9192dbb6091Wildnis, die sowohl anziehende wie auch schreckeinflößende – in einer Ausstellung der Schirn in Frankfurt zu überprüfen

Heinz Markert

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Die Ausstellung ‚Wildnis‘ bestätigt, dass die rätselhafte, teils Bauchgrimmen erregende Imagination von Wildnis, die die Aufklärung in die Diskussion brachte und im ‚Système de la Nature‘ des Enzyklopädisten d’Holbach auch Thema war, dem aktuellen Bewusstsein noch stets innewohnt.

Und dies auch, wenn weniger philosophiehistorisch als anthropomorph an die Sache herangegangen wird. Das Verhältnis des Menschen zur Natur – zur eigenen wie auch zur fremden, ‚der anderen‘ - ist ungelöst, zerrüttet, nicht allein wissenschaftlich, sondern mehr noch zivilisationsgeschichtlich. Der Mensch steht, seitdem seine Geschichte heiß geriet, mit der Natur geradezu auf Kriegsfuß. Für die in endlosen Zeiten driftenden ältesten Stämme galt das nicht. Sie hatten ein intermediäres Austauschverhältnis mit der Natur, das wesentlich fürsorgend blickte, auf die Natur des kleinen Hordenwesens Mensch insonderheit. Eine etwaige Unbill im Kontext der Natur schrieb der Mensch sich selbst zu, eventuellen Missgriffen und Versäumnissen.

Auch heute wird Natur zwar noch vergöttert, im gleichen Gestus aber – siehe heiße Teile, die die Werbung offroad durch die Wüste hetzt, Geschwindigkeit maßlos überhöhend – wird ein zur Idolatrie überfrachtetes System geplättet und verpresst. Jetzt dämmert langsam, dass da etwas grundsätzlich schiefläuft.

Das Verhältnis Mensch, Umwelt und Natur ist vielfach neu zu verhandeln

Am besten taugt hierzu die Kunst. Die Ausstellung umwirbt, umspielt die ungelöste Frage nach der Natur – Wildheit ist nur ein Teil davon – anhand unterschiedlicher Konzeptionen von über dreißig ausgestellten Werken. Die Ausstellung wird rege aufgesucht, wird aber auch recht geschwind durchgangen. Das könnte daher rühren, dass etwas Spektakuläres fehlt. Denkt man an die eigene Kindheit zurück, dann kommt immer zuerst Arnold Böcklin in Erinnerung. Miniaturisierte Nachbildungen seiner unheimlichen Motive, in kleine Rahmen gefasst, prägten eine Stimmung, die immer noch nachwirkt. Erklärbar ist das bis heute nicht, aber Böcklin war wohl einer, der im tiefen Tal, im Erdbeergrund einer zu malenden Kurzform des geheimnisvollen Wesens der Natur ansichtig wurde.

Von einer gleichermaßen selbstsicheren Ausprägung eigener bildnerischen Formen zur Natur war auch ein Max Ernst - in der am Ersten des Monats November, dem der Sache angemessensten Monat eröffneten Ausstellung – ein schlicht Besessener; wie er das machte, zeigt der Film ‚Mein Vagabundieren, meine Unruhe‘, aus dem Jahr 1991, über die Vorgehensweisen seines Schaffens. Er schuf aus Motiven und Strukturen, die grundsätzlich der Natur abgenommen und in eine Transformation überführt worden waren, Bildwerke, die dem Surrealismus zugeordnet werden. Übrigens, alles, was sich ausgestellt findet, folgt den Spuren der Romantik, der unerschöpflichen Kunst.

Ein kleiner Überblick, entlang möglicher innerer Bezüge des zu Sehenden

Als romantisch könnte der Wald schon immer empfunden worden sein. Geradezu selbsterklärend, für sich stehend, sind Joachim Koesters Fotos in C-Print des Urwalds ‚Bialowieza Forest‘, der bis ins 8. Jahrtausend v. Chr. zurückreicht; dem hochgradig gefährdeten, weil er vernunftlos verwertet und vermarktet werden soll. Klar ist, ein Krieg gegen die Natur ist im Gang.

Vertreten ist auch die extreme Welt der nordafrikanischen Sandwüste mit Heinz Macks ‚Sahara-Projekt‘, seinen Licht-Installationen, der Land-Art folgend, von 1962/63, auf einem Video-Monitor in der Endlos-Schleife zu erleben. Die Gruppe ZERO wurde von ihm mitgegründet. Er ist zu sehen, wie er in folierter Metall-Montur stiefelnd „künstliche Gärten“ aus Stelen, Kuben und Reliefs in den Wüstenboden installiert. Diesem Sinn entsprechend ist unmittelbar daneben auch die korrespondierende, in Bewegung befindliche oder auch sich nur spiegelnde Werkgruppe zu sehen, in Metall, Plexiglas.

Ganz andere Bodenbeschaffenheiten und Erdnähen zeigt Ana Mendieta mit ‚Silueta‘ in der Natur Mexikos bzw. Iowas. Sie nimmt Eingriffe vor. Diese sind zugleich minimal wie auch sehr persönlich gestaltet. Offiziell lautet die Erklärung: „Sie drückte oder brannte die Konturen des eigenen Körpers in die Erde oder steckte sie aus natürlichem Material ab. Statt sich die Wildnis mit einer kolonialen Geste anzueignen, versuchte sie, ihren Körper der den Menschen überdauernden Natur zurückzugeben“.

Briton Rivière, man glaubt es kaum - hätte man nicht die Ausstellung 'König der Tiere' gesehen -, entwarf auf der Grundlage von Expeditionsberichten und Studien im Londoner Zoo das Gemälde ‚Beyond Man´s Foodsteps‘ in der Tradition der romantischen Landschaftsmalerei, ein Gemälde mit Eisbär in der hohen Arktis, „als erhabener, vom Menschen unberührter Ort“. Etwas Darwinismus spielt ins Gemälde, denn es wirkt hochdramatisch, in der „Beziehung von Tier und Mensch“ und gesamt-evolutionär gesehen.

Ein Werk, das fast einer jeden Jugend in der Zeit der Lehren und Studien sich irgendwann eingeprägt hat, ist mit Henri Rousseau vertreten, das Dschungelbild, das so „sensationelle wie wirklichkeitsfremde“, aber malerisch ungemein schwelgende: ‚Der hungrige Löwe wirft sich auf die Antilope‘, es ist eine Szene „aus der Savanne in einen imaginären Urwald versetzt [...]“, - „Flora und Fauna collagehaft zusammengefügt“.

Die Ausstellung unterscheidet die Exponate nach Raumbezügen: Ferne, unberührte Natur, In der Wildnis, Wildnis in uns, Wildnis oder Zivilisation, Künstliche Wildnis. Eigentlich ist es auch die angeleinte Wildnis im Menschen selbst (oftmals oversized, einigermaßen aber domestiziert), die mit dem zeitlosen Filmknüller ‚King-Kong‘ immer wieder in die Kinos einfällt. Das erregt Wellen von Schauder. Camille Henrot hat die Projektion des „Riesenaffen King Kong und seiner Liebe zur Menschenfrau Ann“ aufgegriffen und sie in eine surreale Collage überführt. Als Grundlage diente „Filmmaterial von Merian C. Coopers Original ‚King Kong und die weiße Frau‘ (1933) sowie der Remakes von John Guillermin (1976) und Peter Jackson (2005)“. Geschrei, Trampellaute, brachiale Schritte des Ungetüms spulen endlos ab. Die Montage hat sich dramaturgisch gekonnt der übereinandergelegten Schnitte bedient.

Darren Almond ist mit seiner Fotoserie überwältigender Landschaften, „auf den Spuren von Charles Darwin nach Südamerika“, vornehmlich Patagonien. Auch mit dem Motiv des Vollmondes „greift der Künstler Versatzstücke einer romantischen Bildtradition auf [...]“. Das Verhältnis zur Natur und Wildnis betrifft zugleich immer ein Gegenbild wie zugleich den möglichen Sehnsuchtsort. Wie lange sind elementare Erfahrungen an abgelegenen Orten noch möglich und sinnvoll?

In einem raumfüllenden Kubus für die reizvolle Soundinstallation MELT ist Klängen knirschender und schmelzender Eismassen nachzulauschen, „die Jacob Kirkegaard auf mehreren Expeditionen nach Grönland aufgenommen hat“. „Das Dröhnen und Plätschern des Eises“ schafft eine „dystopische Atmosphäre“ im Hinblick auf die Bedrohlichkeit des laufenden Klimawandels. Unmittelbar nachzuvollziehen ist der Niedergang des Ewigen Eises.

Sorgfältig entwickelt und überwältigend durchdacht ist auch das ‚Herbarium‘ von Joan Fontcuberta. Es ist von einer „streng formalen Komposition, die an populäre botanische Fotografien wie etwa Karl Blosfeldts ‚Urformen der Kunst‘ (1928) erinnert [...]“. Es handelt sich nicht um wahre natürliche Spezies, der Künstler simuliert „neue Arten, die den Folgen ökologischer Katastrophen und gentechnischer Manipulationen entwachsen zu sein scheinen“. Gleichsam pseudowissenschaftliche Bezeichnungen lauten u.a., sprechend: Brahypoda Frustrata, Erectus pseudospinosus oder Guillumeta Polymorph. Eventuelle Szenen „nach dem Menschen“ sind ein nahezu durchgängiges Motiv der Ausstellung. Die Entlastung vom Menschen täte der Natur wahrlich gut.

Die Ausstellung kann am Schluss ein wenig nachsinnend beschlossen werden mit dem Objekt „Ghost #1“, auf einer Projektionswand, geschaffen von Hicham Berrada. Es handelt sich um ein in der Wiedergabe eines chemischen Entwicklungsprozesses schwebendes, sich wandelndes Objekt. Es nimmt „ein in Säure aufgelöstes Gänseblümchen aus dem Garten der Villa Medici in Rom ungeahnte plastische Formen an [...], die an den Anfang oder Neubeginn einer Welt vor oder nach dem Menschen denken lassen“.

Foto:
© Schirn Kunsthalle Frankfurt, ‚Beyond Man´s Footsteps‘, Briton Rivière
 
Info: 
Die Ausstellung ‚Wildnis‘ präsentiert über 100 Werke von 35 internationalen Künstlerinnen und Künstlern. Sie ist vom 1. November 2018 bis zum 3. Februar 2019 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt, 60311 Frankfurt, Römerberg, zu besuchen.