Serie: LETZTE BILDER: VON MANET BIS KIPPENBERGER in der Kunsthalle Schirn Frankfurt am Main, Teil 2/2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Im Sinne von Matisse als Ausdruck dessen, was noch möglich ist, schuf Alexej von Jawlensky in seinen letzten Lebensjahren rund 1000 kleinformatige Bilder, die als MEDITATIONEN bekannt, auch seine künstlerische Herkunft von der russischen Ikone verdeutlichen. Seine Hände waren verkrüppelt, er konnte nur noch auf und ab und schräg malen.

 

So sind seine Gesichter von einer Einfachheit und Wucht gleichermaßen, die auch die ausgestellten Köpfe ausstrahlen. Ihm als Gegenüber läuft auf kleinem Monitor ein Film ab, den der US-Amerikaner Stan Brakhage durch Kratzen mit dem Fingernagel auf dem Filmstreifen selbst herstellte und der uns diese als ephemere Formen wiedergibt.

 

Interessant, daß die Malerin der nahsichtigen Blüten, Georgia O'Keeffe im Alter nach den Erfahrungen des Fliegens horizontale Farbschichten mit Himmelsblau- und Grauweiß malte, oder auch die dunkle Erde und das blaue Firmament, während ihr Pendant Walker Evans mit der neu erfundenen Polaroidkamera experimentierte und in kurzer Zeit ein Konvolut von mehreren tausend Sofortbildern in Farbe aufnahm, von denen 38 gezeigt werden.

 

Für Giorgio de Chirico und Andy Warhol hat sich Esther Schlicht die Kennzeichnung VARIATION UND WIEDERHOLUNG ausgedacht, wobei es bei Andy Warhol ein von ihm selbst vertretenes Programm war, de Chirico aber eher als abwertende Begrifflichkeit um die Ohren flog, denn eigentlich hat er bis auf seine frühen Jahre, in der er die Pittura metafisica schuf, die sich die Surrealisten gerne einheimsten, diese im weiteren Leben auf seinen Bildern als Versatzstücke hin und her gewendet, ohne zu neuen Aussagen zu kommen. Interessant das Bild von 1975 – er starb 1978 - , wo eine riesige Hand aus dem blauen Himmel ragt und das als Horizont genau geteilte Bild auf Holzblanken neun lang gewandete Frauen mit hochsteckten Haaren zeigt, die so sehr in der Tradition der byzantinischen Isokephalie postieren, einschließlich der gesetzten Füße, daß man, ob man will oder nicht, an Ravenna denken muß.

 

Dagegen schlägt bei Warhol wohl die Ironie des Schicksals zu. Denn tatsächlich ist sein LETZTES BILD eine Paraphrase auf Leonardo da Vincis LETZTES ABENDMAHL. Da schaudert einen schon, wenn das letzte Bild vom letzten Abendmahl handelt. Es wäre aber, wäre Warhol sich dessen bewußt gewesen – er starb überraschend an den Folgen einer Gallenblasenoperation – in seinem Sinne gewesen, denn er hat sich immer als tief gläubig bezeichnet. Allerdings ist die Kennzeichnung seiner Vorlage mit 'Leonardo' nur die halbe Wahrheit. Es handelte sich nämlich bei seiner Vorlage nicht um das Original, sondern eine verkitschte Version aus New York.

 

Martin Kippenberger nun wußte, daß er an Krebs sterben muß und hatte ein Jahr vor seinem Tod mit 43 Jahren 1996 zehn Frauenporträts geschaffen, die er mit J.P. Bezeichnete und damit Jacqueline Picasso meinte, die junge letzte Frau Picassos, die sich nach seinem Tode umbrachte. Die Serie nannte er JAQUELINE. THE PAINTINGS PABLO COULDN'T PAINT ANYMORE. Ein Schelm. Ihm gegenüber ein anderer Schelm: Francis Picabia, über den man viel schreiben müßte, hier aber nur seine Punkt-Bilder anführen will, die er in der Manier der schlampigen und schlechten monochromen Malerei mit Absicht dem illustren Pariser mondänen Publikum ab 1949 zumutete.

 

Als letzte Gruppierung sind erneut zwei US-Amerikaner vereint, von denen der eine eigentlich ein Holländer war. Ad Reinhardt hatte die letzten sechs Jahre seines Lebens monochrome schwarze Bilder geschaffen, die ebenfalls quadratisch dennoch mit Kasimir Malewitschs Schwarzen Quadraten seit 1915 nichts zu tun haben. Und nun wird es gruselig. Denn die härteste Form des LETZTEN BILDES bringt Bas Jan Ader, der ein dreitteiliges Werk vorhatte. Den ersten Teil sieht man als Fotografien, eine Nacht in Los Angeles, wo in schwarzweiß Aufnahmen vor allem die Nachtschwärze und die Leuchtkraft von Lampen erscheinen. Der zweite Teil sollte aus seiner Atlantiküberquerung in einem Einmann-Segelboot 1975 erwachsen, die er antrat, aber nie ankam. 1976 wurde sein Boot als Wrack aufgefunden.

 

Sich selbst aus der Welt zu schaffen und so ein LETZTES BILD übrig zu lassen, ist schon ein makabrer Schluß dieser Ausstellung, die auf der einen Seite interessant ist, auch weil man von bekannten Künstlern Unbekannteres sichten kann. Die aber auch soviel Deutungen der LETZEN BILDER zuläßt, daß man sich ab irgendwann wünscht, man hätte – ganz ohne Gegenüberstellung – einfach nur Alterswerke gesehen oder nur Bilder von jäh aus dem Leben gerissenen – was war eigentlich mit den Malern, die Selbstmord verübten? So ist die Auswahl der Künstler doch etwas zufällig, die uns auch zu viele Amerikaner zeigt, denn wieder einmal ist der gesamten östliche Bereich Europas, der immerhin seit 1990 ein freies Europa sein soll, ausgespart, wie auch DDR-Maler oder andere deutsche Maler. Aber damit setzt die Ausstellung fort, was Sache ist.

 

bis 2. Juni 2013

 

Katalog:

 

Letzte Bilder. Von Manet bis Kippenberger, hrsg. von Esther Schlicht und Max Hollein, Hirmer Verlag 2013

Im Vorwort von Max Hollein wird der berühmte Satz von Plinius dem Älteren zitiert, der vermutet hatte, warum die letzten Werke eines Künstlers oft mehr bewundert werden als andere: „weil der Schmerz über die Hand, die während des Schaffens erstarrte, zu höherer Bedeutung anreizt.“ Das ist insofern wichtig, weil man aus diesen Worten die Verehrung für das Alter in der Antike erkennen kann, was sich in allem widerspiegelt, eben auch in den Schriften der Philosophen. Währenddessen sind wir heute eine Jugendkultur und es werden die Jungen als Geniale gefeiert, die im Alter eher zu Überbleibseln einer vergangenen Zeit werden. Der Begriff des 'Modernisierens' oder auch, wie Moden sich in unserem Zeitalter dauernd wandeln, wäre so ein Thema, das sich anschlösse.

 

Hier aber geht es um LETZTE BILDER, ob sie nun bewußt als solche gemalt wurden oder durch den Tod zu solchen wurden. Kuratorin Esther Schlicht geht unter kunstgeschichtlichen und sozialphysiologischen Fragestellungen an das Problem von Spätwerk und Spätstil heran. Denn sehr oft wird einem Künstler vorgeworfen, daß er im Alter den Pinsel schon kaum mehr haltend, vor allem im Kopf etwas durcheinander sei und die hervorgebrachte „Kunst“ Symptom des Niedergangs sei. Wenn die Autorin dankenswerter Weise auf drei Große, auf Tizian, Rembrandt und Goya verweist, deren Kunst zu ihren letzten Lebensjahren nicht mehr goutiert wurden, so kann man allein schon bei Tizian heute von der höchsten Bewunderung für sein Alterswerk sprechen ( er wurde fast 90 Jahre), in der er seinen Gemälden nicht mehr den letzten Schliff gab, sie 'auf Hochglanz polierte', sondern sie 'unvollendet' ließ, was im Zeitgeschmack negativ als nicht fertig angesehen wurde, heute aber als „infinito“ mit der Vollendung im Auge des Betrachters höchste Ehre erfährt.

 

Esther Schlicht weist die unterschiedlichen Möglichkeiten der Künstler auf: Weiterarbeit bis zuletzt, Neubeginn im Alter, physischer oder psychischer Verfall, Variation und Wiederholung oder mit seinem Ende als Künstler bewußt zu „spielen“. Die Anordnung der 14 ausgesuchten Künstler folgt im Buch der Ausstellung zu je sieben Zweierpaaren, deren ausgestellte Bilder jeweils hintereinander abgedruckt sind und auch jeweils eine schriftliche Einführung besitzen, die von 14 verschiedenen Kunsthistorikern verfaßt wurden. Das ist eine rundherum aufschlußreiche Angelegenheit und in so weit, liegt hierin – abgesehen von der Dokumentation des Bildmaterials – auch der 'Mehrwert', den der Katalog beisteuert.

 

www.schirn. de