THE PERFOMRMANCE OF STYLE in der Schirn in Frankfurt am Main
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Dachte man es sich doch. Tausendsassa Richard Hamilton (1922-2011), unvergessen als derjenige, der mit seiner kleinen Collage „Just what is it that makes today's homes so different, so appealing?“ im Jahr 1956 die Pop-Art begründete, sei auch der Auslöser für dessen spezielle GLAM-Ästhetik, die gerade als kulturgeschichtliche Begegnung in der Schirn vorgestellt wird.
Denn Hamiltons Bedeutung in der britischen Kunsthochschulszene, seine Lehre, daß es keine Hierarchie von Hoch- und Massenkultur gebe, habe in Verbindung mit seinem Einfluß auf seinen Schüler Bryan Ferry diese Bewegung der frühen Siebziger Jahre in Gang gesetzt. Letzterer „sollte als Kopf der Band Roxy Music zum Inbegriff des absoluten Kunstprodukts des GLAM werden, indem er Avantgarde, Pop-Art, Art Déco, Camp-, Trash- und Kitschelemente sowie klassischen Hollywood-Chic zu einer ultraartifiziellen Ästhetik verband“. Ja, was denn, gibt es noch mehr Glitzer, der da hineinzubinden wäre. Das ist erst der Anfang! Denn die als Selbstdarstellung des GLAM inszenierte Schau in der Schirn lehrt einen das Fürchten, in welchem Ausmaß in England damals GLAM in alle Bereiche von Film, Fotografie, Mode, Grafikdesign, Performance- und Installationskunst, Malerei und Bildhauerei und sogar Skulptur einsickerte und diese ästhetisch durchdrang. Das Allerschlimmste: die Bundesrepublik Deutschland hatte das gar nicht mitbekommen.
Das wenigstens muß man in historischer Distanz deutliche feststellen. Swinging London, die Sechziger, ja das war ein Begriff und die jungen Leute waren von der britischen Hauptstadt total angezogen. Die Beatles und auch die Rolling Stones, die waren erst einmal zusammen mit Elvis Presley und den Rock'n Roll-Veteranen die Idole der Jugend und jungen Erwachsenen. Aber genau diese sind nicht GLAM, gehören nicht in dieses Kulturkästchen! Wobei wir schon beim späteren Elvis ins Schleudern kommen, denn der dicklich Gewordene und Aufgeschwemmte, der in den Siebzigern an seine Erfolge anknüpfen wollte, der trat doch genau in diesen meist weißen, abenteuerlich glitzernden, uns Bauhausverehrern peinlichen, weil weibischen Kostümen auf, mit blütengeknüpften Hawaiketten zudem. Das kann man sofort bei Google unter 'Bilder' finden und sagt: „Eindeutig Glam“, auch wenn man den Begriff damals nicht selbst benutzte und ihn auf Elvis nur äußerlich, auf seine Aufmachung beziehen kann.
Dagegen haben David Bowie und als die anderen Männer, die ihre traditionelle Männerrolle nicht nur äußerlich abstreiften, ein anderes Protestpotential und eine neue Lebensart kreiert. Die Ausstellung bringt so viele britische Prominente (auch David Hockney, Gilbert & George...) und mit Andy Warhol auch noch die New Yorker Undergroundszene, so daß man die über 100 Exponate gar hier gar nicht im einzelnen würdigen kann, sondern lieber über das Zusammenkommen verschiedener Strömungen verweist, die ihre Herkunft aus der Pop-Art beziehen, aber weit über diese hinausgehen. Sicher sind dabei nicht nur die erotisch aufgeladenen Posen aller interessant, sondern noch mehr die Verabschiedung von einem Männerbild, das einst mit Eisen und Schwert daherkam.
Wir finden, daß dieser Kontext noch ausgebaut werden könnte. Während in der Bundesrepublik alle auf die RAF starrten und eine politische Lähmung um sich griff, in der Frauen die besseren Helden waren und sich das männliche Heldenbild nicht mehr mit dem Soldaten identifizierte, sondern dem Terroristen einerseits, dem Polizisten, dem Bullen andererseits, hat England und eine Teilbewegung in den USA von diesem männlichen Helden jeglicher Couleur farbenfroh und quietschbunt Abschied genommen. Den Worten des Schirn-Direktors Max Hollein ist nichts hinzuzufügen: „Dieser Sommer wird laut und schrill: Mit 'Glam!' präsentieren wir erstmals in Deutschland eine große Übersichtsausstellung über einer der spannendsten Phasen der wechselseitigen Durchdringung von Popkultur, performativer und bildender Kunst.
P.S. Zwar war uns GLAM kein Begriff, aber viele der Bilder sind einem total bekannt. Das gilt für Franz Gertsch, Jürgen Klauke, Sigmar Polke. Daß Cindy Sherman schon 1976 auf der Höhe ihrer Selbstdarstellungskunst war, ist uns allerdings neu.
INFO:
Bis 22. September 2013
Die Ausstellung wurde von der Tate Liverpool in Kooperation mit der Schirn Kunsthalle Frankfurt und dem Lentos Kunstmuseum Linz organisiert.
Ein Rahmenprogramm begleitet die Ausstellung, das neben Führungen am 20. Juli zum Christopher Street Day den alternativen Drag Contest beschert „Wanted: Glam! Freaks Kings and Queens“, am 30. August „Glam ohne Rock – Sound & Vision mit Klaus Walter“ und am 10. September ein Künstlergespräch mit Ulay.
Katalog:
GLAM. The Performance of Style, hrsg. von Darren Pih und Max Hollein. Essays von Jean-Christoph Ammann, Michael Bracewell, Dominic Johnson, Darren Pih, Mike Kelley, Neil Mulholland, Glenn O'Brien, Simon Reynolds, Alwyn W. Turner und Judith Watt; mit einer Chronologie von Jonathan Harris und Barry Curtis sowie einer Bibliographie von Ron Moy. Kerber Verlag 2013
Noch mehr als bei anderen Ausstellungen lohnt sich der Blick in die Begleitpublikation, denn in den zehn thematisch eingegrenzten Kapiteln werden die einzelnen Spielarten der Bewegung wie es sich gehört in den kunst- und gesellschaftsgeschichtlichen Kontext gerückt. Gerade weil in der Bundesrepublik in der Hauptsache eine andere Diskussion, auch eine andere kunst- und kunsttheoretische Diskussion herrschte, ist es hochinteressant nachzulesen, welche Funktion in England, einem damals sehr viel stärker als Deutschland ausgeprägtem Klassenstaat, GLAM zukam, der eben nicht wie die Beatles auf eine bürgerlich verankerte Anhängerschaft stieß, sondern von den Hippies über bestimmte Intellektuelle und vor allem sexuelle Außenseiter, bzw. Cross Gender und Transformer auch direkt ins Herz der Arbeiterklasse gelangte.
Durch die Systematik der Artikel läßt sich auch das bunte Treiben, das in der Ausstellung erst einmal durch eine Reizüberflutung aus Materialien und Farben, aus hauptsächlich Fotos, auch Gemälden und Kostümen, Glitzervorhängen und Extravagantem, auch Kitsch die Sinne leicht vernebelt, auf die doch unterschiedlichen Kerne dieser Bewegung zurückführen, die man mit GLAM zusammenfaßt, weil diese äußere und äußerliche Kennzeichnung ein einigendes Band ist. Wieso auf die politischen Sechziger, mit dem Schlagwort Proteste gegen den US-Vietnamkrieg einordnend gekennzeichnet, in England und teilweise in den USA nicht mehr Flower-Power und damit eine gewissen Natürlichkeit, sondern durch Stilisierung, ja geradezu Maskierung, einer Künstlichkeit des Individuums das Wort, besser: das Bild geboten wurde, läßt sich nachvollziehen.
Besonders interessant fanden wir die Beiträge zur Geschlechterfrage, die hier weder den kleinen, noch den großen Unterschied der Geschlechter betonen, sondern nur noch das eine Geschlecht gelten lassen, das zwar als androgyn bezeichnet, dennoch gegenüber dem bisherigen männlichen Idolen einfach eine Feminisierung der männlichen Welt bedeuten. Sich überhaupt mit Mode zu beschäftigen und derartige Kostüme zu tragen, war für Kriegshelden oder auch überkommene Männlichkeit schon eine Provokation per se.
Insofern sind solche kulturhistorischen Ausstellungen eine Fundgrube für Soziologen wie für Historiker, ja,ja, und natürlich auch für Kunsthistoriker, aber eben doch weit darüber hinaus, denn das Abbild der Zeit dieser GLAM-Bewegung zeigt genauso Rückgriffe und ein Zurückfallen in Vergangenes, wie sie zukunftsweisend Dinge und Haltungen prophezeit, die bei uns beispielsweise erst später auftraten. Zum heutigen Glitzer gehören für die Jugend Mangas und Animés oder Cosplay genauso wie beispielsweise für die Erwachsenenwelt Cindy von Marzahn. Alles auch mehr klassisches weibliches Sein denn männliches.