katalog wiesbadenLEBENSMENSCHEN Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin, verlängert bis 23. August im Museum Wiesbaden, Teil 5/5

Claudia Schulmerich

Wiesbaden (Weltexpresso) – Wenn man über Ausstellungen schreibt, hat man immer das Gefühl, die Vielfalt, die Breite, die Tiefe des Geschauten nicht adäquat wiederzugeben, wiedergeben zu können, was in der Natur der Sache liegt: Schließlich haben die Maler mit dem Pinsel und Farbe das ausgedrückt, was bloße Worte nicht können. Aber Worte können etwas anderes!

Und im Katalog der oben genannten Ausstellung können sie das besonders gut. Obwohl - schon wieder muß man mit den Bildern anfangen - es auch schon etwas Besonderes wäre, man hätte nur die geschauten Bilder in ihren Farben und Formen noch einmal vor Augen, was dieser Katalog leistet, in dem alle gezeigten Gemälde und Zeichnungen noch einmal vorkommen. Hinzu kommt, was uns in der Ausstellung sehr gefiel, aber noch nicht erwähnt wurde: die zeitgenössischen Fotografien. Wir, die wir heute technisch versiert , fast alles in allen Materialien und Größen wiedergeben können, profitieren von den wandgroßen Fotografien aus Rußland, München, der Schweiz. Insbesondere die abgebildeten Menschen, fast alle auch in den Bildnissen vertreten, laden zum Vergleich von Foto und Malerei ein. Sie alle sind auch im Katalog großformatig abgebildet. Toll.

Entscheidend aber ist, nebst den Grußworten und Einführungen der Kuratoren das, was die Kunsthistoriker zu einzelnen Themen erforscht haben. Doch, doch, das Leben der Beiden gehört auch dazu. Deshalb ist so wichtig, daß der Katalog mit ihnen beginnt, wo es ausdrücklich heißt: GEMEINSAME UND GETRENNTE WEGE, letztere links Alexej von Jawlensky, rechts Marianne von Werefkin in Spalten auf der linken Seite, auf der rechten dann große Bilder und die gemeinsamen Unternehmungen.

Schon in der Ausstellung konnte man anteilnehmend großformatig lesen, was hier auf der vorderen Umschlagseite des Katalogs steht: „Die Bekanntschaft sollte mein Leben ändern. Ich wurde der Freund von ihr, von dieser klugen, genial begabten Frau.“ Alexej von Jawlensky über seine ersten Begegnungen mit Werefkin 1892/93. Hoffentlich hat sie sich das übers Bett gehängt, denn das hätte sie in Zeiten, wo sie das anders empfand, sehr gut brauchen können.

Von ihr heißt es aus Litauen an ihn in München: „Ich konnte und kann immer in allem das Gute sehen, auch jetzt und hier sammle ich meine Eindrücke, die mir sicherlich bis an mein Lebensende bleiben. Aber ob mit der Feder oder mit dem Pinsel, ich möchte das alles mit Dir teilen, weil Du auf der ganzen Welt der einzige bist, für den ich denken und fühlen möchte.“

Kann man größere, aber auch tiefblickende Liebeserklärungen machen und bekommen? Man bemerkt aber auch die unterschiedliche Gewichtung beider Aussagen und Mariannes Hingerissenheit.

Darauf geht Roman Zieglgänsberger in seinem Beitrag „Keine Gewitter keine Landregen keine Wolkenbrüche“ - Die Lebensmenschen Jawlensky und Werefkin vor dem Hintergrund ihrer küsntlerischen Entwicklung“ ein. „Ein ungleiches Paar: die Magierin der Avantgarde und der intuitive Farbmaler“ heißt es dann. Die Anfänge von beiden in Rußland,ihr Aufeinandertreffen und die gegenseitige Entwicklung und Einflußnahme auf das jeweilige Werk. Darum geht es.

Im Folgenden werden im Katalog die Lebensstationen verfolgt. Die erste gemeinsame ist München von 1896 bis 1906, wo im Katalog erst die farbenfrohen Gemälde ganzseitig gezeigt sind und dann der Text von Annegret Holberg auf das erste Jahrzehnt in München eingeht.

Als zweite Station werden1907 bis 1914 die Aufenthalte in München, Murnau, Prerow und Oberstdorf Anna gewürdigt. Wieder sind Aussagen der beiden zu diesen Aufenthalten vorangestellt. Hier kann man auch, wie in der Ausstellung, bei den Landschaftsbildern, wo die Motive oft identisch sind, selbst forschen, wie unterschiedlich beide gleiche Motive darstellen. Da geht es gar nicht darum, was einem persönlich besser gefällt, sondern man kann beim Vergleichen leichter auf die unterschiedliche Darstellungsweise achten: immer ist Jawlensky mit seinen starken Farben bei den Landschaftsdarstellungen der Blickfang, während man bei Werefkin bemerkt, daß sie viel häufiger Menschen in die Landschaften setzt, nicht nur einzelne, sondern oft ganze Gruppen.

Den Gemälden und Zeichnungen dieser Zeit folgt die kunstgeschichtliche Betrachtung „Im Kreis der Neuen Künstlervereinigung München und des Blauen Reiters „ von Annegret Hoberg. Das ist eine gute Idee, erst die Werke dieser Zeit abzubilden und dann den Text zu bringen (meist ist es andersherum), weil so jedermann die Einschätzung in Worten aufgrund eigener Augen überprüfen kann. Inhaltlich sind die Ausführungen sehr interessant, weil auch der Blaue Reiter mit seinen prominenten Mitgliedern eine Rolle spielt.

Sehr viel kürzer wird das dritte Kapitel „Gemeinsam in der Schweiz“ 1914-1921, wo Sandra Uhrig auf den Ausbruch des Ersten Weltkriegs und die Situation der russischen Künstler in Deutschland und der Schweiz eingeht. Aus den befreundeten Nationen wurden militärische Gegner mit schrecklichen Folgen für die Betroffenen. Angelica Jawlensky Bianconi schreibt über die gemeinsamen Schweizer Jahre und im vierten Kapitel, das noch kürzer wird, geht Mara Folini auf die Jahre der Marianne von Werefkin in Ascona ein und Roman Zieglgänsberger auf Alexej von Jawlensky Weiterleben und Weiterarbeiten in Wiesbaden.

Mit Briefwechseln verschiedener Partner endet dieser schöne Katalog, der eine schöne Ausstellung kongenial begleitet und nach dem Ende der Ausstellung diese lebendig halten kann.

Fotos:
Die Gemälde sind teilweise beschnitten
© Redaktion

Info:
Verlängert bis 23. August.
Ein wichtiger Katalog, auch für danach: LEBENSMENSCHEN – Alexej von Jawlensky und Marianne von Werefkin, hrsg. Von Roman Zieglgänsberger, Annegret Hoberg und Matthias Mühling, Prestel Verlag 2020