Bildschirmfoto 2020 10 26 um 02.09.21DIE WEIBLICHE SEITE GOTTES. Das neueröffnete Jüdische Museum Frankfurt bringt die erste Wechselausstellung, Teil 2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Diese faszinierende Ausstellung, die uns noch länger beschäftigt, lebt von den Kunstwerken, die ausgehend von vorchristlicher Zeit durch weitere Exponate aus Antike, Mittelalter, Renaissance, Barock diesen dann Artefakte unserer Zeit entgegenstellen. Die Schau ist eine Weiterentwicklung und Erweiterung der gleichnamigen Ausstellung, die 2017 im Jüdischen Museum Hohenems zu sehen war. Da horcht man auf, denn an dieses, damals eher Provinzmuseum in Vorarlberg, ging der gebürtige Frankfurter Hanno Loewy 2004, nachdem er seit 1990 das Fritz Bauer Institut mitgegründet und aufgebaut, aber an der Goethe-Universität nicht leiten durfte, nachdem das Fritz Bauer Institut (FBI) dort angesiedelt wurde.

Inzwischen gilt das Jüdische Museum Hohenems als das mit den wichtigsten jüdischen Ausstellungen weltweit. Das muß man in Frankfurt zur Übernahme einfach hinzufügen und darf hoffen, daß die Zusammenarbeit auch für weitere Projekte gilt. Das Zweite ist die Veränderung gegenüber Hohenems, denn es heißt: „Die Frankfurter Version dieser Ausstellung rückt die Visualität des Themas in den Vordergrund und verbindet die kulturhistorischen Spuren von weiblichen Elementen in den Gottesvorstellungen der drei monotheistischen Religionen mit den Darstellungen in der Bildenden Kunst.“

DIE WEIBLICHE SEITE GOTTES wird ja zu einem Ausstellungstitel nur deshalb, weil die Frage nach den weiblichen Anteilen in allen Lebensbereichen und eben auch Jenseitsbereichen Thema der Zeit ist, die nach- und aufzuholen versucht, was patriarchalische Strukturen in der Welt und den Kirchen verdrängt hatten, was aber – und die Beweise sind unwiderlegbar – mit den Mutterkulturen einst in der Welt war. Für mich ist das, was als Feminismus diese Bestrebungen zusammenfaßt, in Wellenbewegungen Zeit meines Lebens immer umfassender geworden, wobei es sonst aber um weltliche Bestrebungen „der Hälfte des Himmels“ geht und nun um den Himmel selbst, von dem aber nicht eine Hälfte gefordert wird, sondern die weiblichen Anteile dieses einen Gottes hinterfragt werden. Zentrum ist hierbei die SCHECHINA, die erst mit der Entstehung des rabbinischen Judentums größere Bedeutung erhielt, das wiederum entstand, als die SCHECHINA ihre Wohnstatt mit der Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer 70 n.Chr. verlor. Dort nämlich war die Schechina zu Hause und galt von nun an ohne konkreten Sitz als Wohnstatt Gottes in der Welt, was schlicht heißt, daß sie das göttliche Prinzip, die göttliche Kraft verkörperte: die Emanation Gottes auf Erden, seine Essenz. Dies gilt also für die Zeiten von vor 2000 Jahren und danach und spielte vor allem in der rabbinischen Literatur eine Rolle.

Im Mittelalter wurde die SCHECHINA prominent und weiblich. Insbesondere in zwei Texten Bahir und Zohar bekam nun die SCHECHINA neben ihrem grammatischen Geschlecht auch das natürliche Geschlecht: SCHECHINA wurde zur Frau, zum weiblichen Prinzip in der Welt als Verkörperung Gottes auf Erden, das insbesondere in der jüdischen Mystik eine große Rolle spielt. Das ist sehr grobschlächtig und verkürzt dargestellt, zumal es verschiedene Deutungen für das Aufkommen der weiblichen SCHECHINA gibt, deren eine die Konkurrenzsituation mit der Gottesmutter Maria ist, worauf wir noch zurückkommen.

Bildschirmfoto 2020 10 26 um 02.09.46Und schon sind wir mitten in der Ausstellung, wobei wir erst einmal Kapitel 2 FRAU WEISHEIT UND GOTTES GEGENWART meinen, auch wenn alle Frauendarstellung der Ausstellung darunter fallen können, wie es Joan Snyders OUR FOREMOTHERS (Jewish New Year 5756) mit der Benennung von vielen Namen, die wir aus den Mythen kennen, in ihrer Druckgraphik auch tut. MATERNAL TORAH (links) nennt Jacqueline Nicolls ihre zarte und gleichzeitig feste Arbeit, die man erst einmal als filigranes weibliches Korsett wahrnimmt und beim Titel sofort mit Tora an die fünf Bücher Moses, Teil der hebräischen Bibel, denkt, die wir gegenständlich als Torarollen in der Synagoge kennen. Und wenn man dann länger verharrt, wird einem auffallen, daß dies Korsett die Funktion der Torahollen ausübt: Schutz, einmal der Schrift, ein andermal der Körper. Und dieser weibliche Körper, den dieses Korsett schützt, ist der Ursprung der Welt, bringt neues jüdisches Leben hervor. Je länger man sich damit beschäftigt, desto sinnhafter wird einem dieses Werk, bei dem man dann auch noch solche Feinheiten wahrnimmt, daß nämlich beispielsweise die Fransen den Thoramantel und Korsett gleichermaßen zieren.

Doch die stärkste Assoziierung mit SCHECHINA lösen weiße Brautkleider aus, wie in Anselm Kiefers gleichnamigem großformatigemWerk von 1999, oben als Titelfoto. Doch dieses weiße Kleid sieht wie geschändet aus, auch verdreckt, aber gleichzeitig auch mit Blüten bestückt. Das Leben eben. Bei den folgenden Ausstellungstücken fällt ein Triptychon besonderer Art auf: WRITING LESSONS SERIES von Hadassa Goldvicht. Man braucht schon Wissen um die jüdische Religion, bzw.Kult, um das, was einen erst mal in Bann zieht, auch zu verstehen. Und da kommt ein kleines quadratisches Heft ins Spiel, das vielfach im Ausstellungsraum herumliegt, sich einmal TOOLBOOK. IMPULSE FÜR DEN AUSSTELLUNGSBESUCH nennt, wenn man es herumdreht ERLÄUTERUNGEN ZU DEN EXPONATEN enthält und jedem Ausstellungsbesucher dringend zur Lektüre empfohlen ist.

Ich auf jeden Fall hätte sonst nicht gewußt, auf was die drei Fotos anspielen und lese jetzt, daß jüdische Dreijährige traditionell mit Jüdischer Schrift konfrontiert werden und daß man, um der Kleinen Aufmerksamkeit zu erhalten, über Buchstaben Honig träufelt, die diese ablecken dürfen. Die Künstlerin verleibt sich zudem Buchstaben aus Honig ein. Mit der Pinzette nimmt sie einen der aus Honig gefertigten Buchstaben und legt ihn sich auf die Zunge (Video). Rechts und links davon hängen diese Honigbuchstaben auf einer Tafel. Das ist auch eine Reaktion darauf, daß dies traditionell nur für kleine Männer gilt.

P.S.: Eine Diskussion, die über diese Ausstellung hinausgeht, bringt die These mit sich, daß der Heilige Geist im Christentum die Übernahme der Schechina für die neue Religion sei. Interessant und in unseren Kreisen kaum diskutiert. 



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Info:
Ausstellung ab 22.10.2020
www.juedischmuseum.de
Katalog: Hrsg. Atlan u.a.,Die weibliche Seite Gottes. Kunst und Ritual, Kerber Verlag 2020