Erste Einzelausstellung des französischen Meisters in Deutschland ab 18. Oktober in der Frankfurter Schirn

 

Felicitas Schubert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Vom 18. Oktober 2013 bis zum 26. Januar 2014 präsentiert die Schirn Kunsthalle Frankfurt die erste Einzelausstellung zu Théodore Géricault (1791–1824) in Deutschland. Der früh verstorbene Maler ist einer der Großmeister der französischen Malerei des 19. Jahrhunderts und gilt als Wegbereiter der französischen Romantik, weshalb wir völlig verwundert registrieren, daß dies seine erste deutsche Einzelausstellung ist.

 

Zumindest in der Kunstgeschichte wird er häufig erwähnt, denn Géricaults Bilder transportieren eine geradezu überschäumende Lebenskraft, die immer mit einem Fuß am Abgrund steht. Anhand von rund 130 Leihgaben unter anderem aus Paris, Lyon, Montpellier, Gent, Brüssel, London, New York und Los Angeles rückt das groß angelegte Frankfurter Ausstellungsprojekt zwei der zentralen Themenkomplexe des französischen Künstlers in den Mittelpunkt: Das physische Leiden des modernen Menschen, wie es am eindrucksvollsten in den Bildern von abgeschnittenen Köpfen und Gliedmaßen als das Ineinander von Leben und Tod zum Ausdruck kommt, und seine psychische Qual, die u. a. meisterhaft in Géricaults Porträts von Geisteskranken veranschaulicht wird.

 

In einer konzentrierten Übersicht werden diese beiden Werkkomplexe in den Zusammenhang des OEuvres, aber auch der Kunst seiner Zeit gestellt, um so die ästhetischen, ideengeschichtlichen und medizinhistorischen Voraussetzungen Géricaults neu zu beleuchten und die wechselseitigen Beziehungen von Kunst und Wissenschaft aufzuzeigen. 62 Werke Géricaults treten dabei in einen intensiven Dialog mit Arbeiten von Francisco de Goya, Eugène Delacroix oder Adolph Menzel. Die von Gregor Wedekind kuratierte Ausstellung präsentiert Géricaults neuartigen, beobachtenden Blick auf das Schicksal des modernen Menschen und vermittelt einen Eindruck von dem radikalen Realismus des Künstlers, der ihm eine Schlüsselstellung in der europäischen Kunstgeschichte sichert.

 

Angesiedelt zwischen der unsentimentalen Perspektive der Wissenschaft und der romantischen Vorliebe für das Abgründige stellen Géricaults zutiefst menschliche Bilder das traditionelle Verständnis von Realismus und Romantik als zwei einander ausschließender Epochenstile infrage. Eine Besonderheit markiert die Präsentation von vier der fünf berühmten Monomanen Géricaults in Frankfurt. Dies war bislang nur ein einziges Mal möglich, 1991 bei der großen französischen Géricault-Retrospektive im Grand Palais in Paris. Die Stelle des nicht ausleihbaren, fünften Werks nimmt ein eigens für die aktuelle Ausstellung geschaffenes Gemälde der südafrikanischen, in Amsterdam lebenden Künstlerin Marlene Dumas (*1953) ein. Dieses setzt auf ebenso eindringliche wie überraschende Weise einen zeitgenössischen Kontrapunkt zu Géricaults Meisterwerken. I

 

Théodore Géricault, 1791 in Rouen geboren, hat trotz seiner kurzen Lebenszeit ein großes OEuvre geschaffen, das zahlreiche Höhepunkte aufweist. Allen voran das (nicht leihfähige) „Floß der Medusa“ (1819), in dem sich der Künstler in empathischer Zuspitzung einem Ereignis zuwendet, das Menschen der kreatürlichen Bedingtheit ihrer Existenz ausgesetzt zeigt. Durch eine Bearbeitung als Historiengemälde potenzierte Géricaults Gemälde den politischen Skandal, der dadurch ausgelöst worden war, dass die französische Regierung die Schiffbrüchigen der Fregatte Medusa nicht retten ließ. Die Hinwendung zu Extremen kennzeichnete auch das persönliche Leben Géricaults, der sich in eine aussichtslose Liebesgeschichte mit der Ehefrau seines Onkels verstrickte. Seine ungeheure Lust am Reiten führte zu einigen Reitunfällen, an deren Folge er 1824 im Alter von nur 32 Jahren nach schwerem Leiden starb.

 

Die grundlegenden, uns heute vehement beschäftigenden Fragen, wie weit Bilder gehen dürfen, ob und welche Grenzen sie überschreiten sollen, wovon überhaupt Bilder möglich sind, werden in ihrer ganzen Eindringlichkeit erstmalig bei Théodore Géricault sichtbar. Obwohl er damit unbestritten zu den zentralen Künstlerfiguren des 19. Jahrhunderts gehört, gab es in Deutschland noch nie zuvor eine Einzelausstellung zu diesem ersten großen romantischen Maler Frankreichs. Mit unserer Ausstellung „Géricault: Bilder auf Leben und Tod“ können wir dies nun endlich nachholen“, so Schirn-Direktor Max Hollein.

Théodore Géricaults Kunst ist geprägt von Anstrengung und Kraft. Die Anstrengung galt dem Versuch, das Leben zu fassen. Die Kraft liegt in der Bereitschaft, alles auf eine Karte zu setzen. Im Dialog mit Werken von Goya, Delacroix oder Menzel zeigen seine innerhalb der Ausstellung vertretenen Arbeiten eine akribische Beobachtung und emphatische Durchdringung des tragischen Schicksals des modernen Menschen. So entstehen Bilder auf Leben und Tod, die in ihrem radikalen Realismus eine Schlüsselstellung in der europäischen Kunstgeschichte einnehmen“, kommentiert Ausstellungskurator Gregor Wedekind (Johannes Gutenberg- Universität Mainz) die künstlerische Herangehensweise des Malers.

 

Die von der Schirn Kunsthalle Frankfurt und dem Museum voor Schone Kunsten Gent organisierte Ausstellung gliedert sich in vier Themenbereiche: Der mit „Kämpfe“ überschriebene erste Themenblock führt Géricaults frühe Darstellungen von Kriegsgeschehen zusammen, insbesondere seine Auseinandersetzung mit dem Schicksal von Soldaten, in der Ausstellung gezeigt anhand von wichtigen Studien zu den großformatigen Werken „Der Offizier der Jäger der kaiserlichen Garde beim Angriff“(1812) und „Der verletzte Kürassier zieht sich aus dem Gefecht zurück“ (1814) aus dem Louvre sowie zentralen Lithografien wie der „Rückkehr aus Russland“ (1818, Bibliothèque Nationale de France, Paris).

 

Neben Sujets aus dem Umfeld von Krieg und Kampf finden sich auch einige jener wenigen Arbeiten, die sich der Beziehung zwischen Mann und Frau widmen, darunter „Satyr und Nymphe“ (1817, Princeton University Art Museum) oder „Satyr und Bacchantin“ (um 1817/18, Musée des Beaux-Arts, Rouen). Die sexuelle Begegnung der Geschlechter als einer potenziell oder tatsächlich gewaltsamen gestaltet der Künstler teils im Gewand der mythologischen Erzählung und so, dass sie von Ringkämpfen kaum zu unterscheiden ist. Diese Motive visualisieren so auf ihrem Feld, was andere Arbeiten in dieser ersten Abteilung – vor allem die Meisterlithografien der Londoner Suite (1821, Bibliothèque nationale de France) – als den Klassenkampf, den Kampf zwischen den Rassen, den Kampf um Leben und Tod zwischen Mensch und Tier etc. thematisieren.

 

Im zweiten Themenbereich steht Géricaults Studium der „Körper“ im Mittelpunkt. Es diente dem Maler nicht nur dazu, seine Fähigkeit zur Darstellung von Figuren zu schulen, vielmehr ging Géricault schon früh dazu über, das Ausdruckspotenzial des Körpers zu steigern und die Auswirkungen einer existenziellen Erfahrung wie der des Schiffbruchs in Körpersprache zu übersetzen. Die sogenannten Anatomischen Fragmente, die Géricault in seinen Bildern in stilllebenhaften Arrangements inszenierte, lassen sich dazu mit der medizinischen und bildkünstlerischen Tradition anatomischer Darstellungen wie denen von Jacques-Fabien Gautier d’Agoty (1746), Jacques Gamelin (1779) oder George Stubbs (1756–1758, Royal Academy of Arts, London) konfrontieren.

 

Die Ausstellung zeigt, inwieweit Géricault mit der herkömmlichen Ikonografie und den moralisierenden Darstellungstraditionen brach und – vermittelt durch die stark erweiterten anatomischen Kenntnisse über den menschlichen Körper sowie den zunehmenden Einfluss medizinischer Vorlesungen auf die Künstler – eine sehr eigenständige künstlerische Herangehensweise entwickelte. Das Entsetzliche wird nicht beschönigt, doch die Kunst verleiht ihm Kraft und Schönheit, wodurch der Betrachter den Tod zum Ausgangspunkt einer melancholischen Intensivierung seines Empfindens nehmen kann. Wie bei dem Werk „Floß der Medusa“ hat der Betrachter es bei den Körperfragmenten nicht mit einem Realismus aus dem Hörsaal der Anatomie zu tun, sondern vielmehr mit einem Transfer des Abscheulichen und Ekelhaften in den Bereich des Ästhetischen. Géricault verfolgt hier einen Ansatz, der nicht der Lust am Morbiden geschuldet ist, sondern dem Willen, den zeitgenössischen Erfahrungen von Wirklichkeit gerecht zu werden.

 

Der dritte Abschnitt der Ausstellung ist mit „Köpfe“ betitelt und präsentiert u. a. Meisterwerke wie eine Porträtstudie aus dem Getty Museum in Los Angeles oder den „Kopf eines weißen Pferdes“ (1816/17) aus dem Louvre in Paris. In seinen Kopfstudien lässt Géricault die ältere, auf Charles Le Brun zurückgehende Tradition der „Expression des Passions“, also der auf Lesbarkeit angelegten Kunde des Gesichtsausdrucks, hinter sich. Er versucht, die Errungenschaften der anatomischen Forschungen seiner Zeit mit einer psychologischen Durchdringung der Dargestellten zu verbinden. Dabei ist er sicherlich nicht unbeeinflusst von Johann Caspar Lavaters Physiognomik wie auch von dem zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Europa sich schlagartig ausbreitenden Modephänomen der Phrenologie, jener neurologischen Erkundung eines Zusammenhangs von Begabungen und Gehirnform, die in einer pseudowissenschaftlichen Vermessung und Kartierung des Schädels, der Kranioskopie, gipfelte und die großen Einfluss auf die Kunst hatte.

 

Doch zu solchen Schematisierungen neigte Géricault nicht. Sein Interesse am Lebendigen berücksichtigt das psychologische, aber auch das soziale Gesicht der menschlichen Existenz. In der ebenso nüchternen wie unerschrockenen Darstellung von abgeschlagenen Köpfen schließlich maximierte der Künstler das Gewaltsame des Todes wie den im medizinischen, aber auch politischen bzw. juristischen Umgang damit liegenden Schrecken in ihrer Wirkung auf den Betrachter. Sein Interesse galt dabei gerade dem medizinisch nicht Erfassbaren und politisch nicht Einzuordnenden. Géricault malte Bilder jenseits von Bildern und Porträts jenseits von Porträts, in dem Sinne, dass er den Versuch unternahm, seelische Befindlichkeiten jenseits der systematischen Lesarten der Leidenschaften fassbar zu machen.

 

Den radikalsten Schritt in diese Richtung stellen seine fünf Porträts von Geisteskranken dar, die im Zentrum des mit „Krise“ überschriebenen vierten und letzten Themenbereichs der Ausstellung stehen. Zur Ausstellung kommen die vier berühmten Monomanen aus dem Museum voor Schone Kunsten Gent, dem Musée des Beaux Arts in Lyon, dem Pariser Louvre sowie dem Michele and Donald D’Amour Museum of Fine Arts, Springfield (Massachusetts), ergänzt durch eine zeitgenössische Arbeit von Marlene Dumas („Militärischer Monomane“, 2013). In der Entleerung ihrer Gesichter bezeichnen die Portraits von Geisteskranken jenen Umschlagpunkt, an den die Psyche des modernen Menschen durch ihre Überspannung gerät. Dabei steht Géricaults Kunst im Kontext einer Entwicklung, die um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert den Umgang mit psychischen Krankheiten veränderte. An die Stelle des physischen Zwangs, dem Psychiatriepatienten bis dahin unterworfen worden waren, trat eine moderne Theorie und Therapie der psychischen Krankheit, die eine völlig neue Auffassung von den Betroffenen und damit eine Veränderung ihrer Stellung in der Gesellschaft bewirkte. Um den direkten Zusammenhang von Géricaults Kunst mit diesen ideen- und wissenschaftsgeschichtlichen Umwälzungen aufzuzeigen, werden seine Bilder innerhalb der Ausstellung mit medizinischen und künstlerischen Darstellungen des Wahnsinns konfrontiert. Neben Zeichnungen, Illustrationsgrafik sowie einzelnen Gemälden anderer Künstler sind an dieser Stelle darüber hinaus die ersten fotografischen Repräsentationen von Psychiatriepatienten zu sehen, wie sie von Hugh Welch Diamond bzw. Henry Hering um die Mitte des 19. Jahrhunderts angefertigt wurden.

 

 

INFO I:

 

Die Ausstellung „Géricault. Bilder auf Leben und Tod“ findet vom 18. Oktober 2013 bis 26. Januar 2014 in der Schirn statt. Sie wird gefördert durch den Kulturfonds Frankfurt RheinMain im Rahmen des Projekts „Impuls Romantik“ und erfährt zusätzliche Unterstützung durch die Georg und Franziska Speyer’sche Hochschulstiftung und den Verein der Schirn Freunde e.V.

 

 

 

INFO II:

 

KATALOG: „Géricault: Bilder auf Leben und Tod“ (engl. Ausgabe: „Géricault: Images of Life and Death“). Herausgegeben von Gregor Wedekind und Max Hollein. Mit einem Vorwort von Max Hollein und Catherine de Zegher und Texten von Gregor Wedekind, Bruno Chenique, Bruno Fornari, Claude Quétel und Kristin Schrader. Deutsche und englische Ausgabe, je 224 Seiten, Hirmer Verlag München

 

 

www.schirn.de