rom 1810Die Geschichte eines Künstlerstammbuchs, Christiane Lukatis, Michael Imhof Verlag, Teil 1/2

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Meistens meldet sich die Kunst durch Ausstellungen, die je spektakulärer sie ausfallen, desto mehr Aufmerksamkeit erregen, wobei die Kenner sich die Kataloge mitnehmen, denn visuell Geschautes nachzulesen, Hintergründe kennen zu lernen, Korrespondenzen zu verfolgen und vor allem die Ausstellungsstücke noch einmal, auch im Detail anzuschauen, macht glücklich.

Aber die Ursache dieses Glücks entfällt derzeit. Die Museen bleiben zu, die Bedürfnisse nach Kunst aber bleiben. Wir sind deshalb dazu übergegangen, die Kataloge der Ausstellungen, die zwar vorhanden, aber öffentlich nicht zugänglich sind, zu besprechen. Eine andere Möglichkeit sind Kunstbände, Monografien über Künstler oder themenbezogene Bücher mit schönen Bildern. Und da, scheint es uns, gibt es derzeit ein geringeres Angebot als früher. Darum freut man sich über eine so ungewöhnliche Publikation wie diese besonders: TREFFPUNKT ROM 1810. Die Geschichte eines Künstlerstammbuchs, die nachvollzieht und im Bild zeigt, was eigentlich seit 23. Oktober in der Graphischen Sammlung der Kunstlandschaft Kassel zu sehen ist und bis 24. Januar hängen bleiben sollte, sich aber im Herbst 2021, dann in Rom in der Casa di Goethe, fortsetzen soll.

Aha, ROM 1810, da weiß man gleich, um was es sich handeln muß: die Lukasbrüder, Nazarener, Overbeck, Franz Pforr, Schnorr von Carolsfeld, Koch..., aber was ist mit dem Künstlerstammbuch? Und nun kommt eine tolle Geschichte, die Sie in diesem Buch nachlesen können und müssen, falls Sie sich die dazugehörige Sonderausstellung in Kassel im dann hoffentlich „offenen Januar“ (nicht) anschauen können. Da dieses Künstlerstammbuch seit dem Frühjahr 2019 mit Hilfe vieler Geldgeber den Kasselern gehört, kann man es sicher dort später erneut sehen.

Die tolle Geschichte kommt gleich, doch muß man zuvor ein Künstlerstammbuch erklären?

Die Bildender Künstler, sowohl in Ausbildung wie auch Lehrende, aber auch Mitstudenten, das Malen, das Schreiben, der Bronzeguß, ...alle Kunst hatte damals stärker als heute den Handwerksgedanken noch in der Ausbildung vertreten. Angelehnt an die Wanderzeit im Handwerk, sind damals auch angehende oder ‚fertige‘ Künstler auf Wanderschaft gegangen (Dürer in Oberitalien und Venedig ist ein bekanntes Beispiel) und haben woanders weiterstudiert, vor allem aber die Freunde besucht, im 18. und 19. Jahrhundert ganz gewiß die Freunde in Rom.


Rom

Seit langem galt Rom als unabdingbarer Aufenthaltsort für künftige Künstler, um das Auge...zu schulen. So vergab die Pariser Académie royale de peinture et sculpture seit 1666 einen Preis an Künstler, der zu einem mehrjähriger Aufenthalt in Rom an der dortigen Académie de France berechtigte, den 1774 der Maler Jacques-Louis David (1758–1825) erhielt, der wie seine Zeit klassizistisch malte. Aus dem Norden war der dänischen Bildhauer Bertel Thorvaldsen (1770–1844) gekommen, der den Freiraum in Rom nutzte, wie auch die Deutschrömer. So wurden mit einem Oberbegriff die deutschen Künstler genannt, die seit Mitte des 18. Jahrhundert nach Rom gekommen waren: Anton Raphael Mengs, Jacob Philipp Hackert, auch !!!Johann Wolfgang von Goethe . Zu einem feste Kreis wurden die Deutschrömer, die die Antike und ihr Wiederauflebven in der Renaissance verherrlichten, mit dem Österreicher Joseph Anton Koch (1768-1839) u.a..

Doch, wenn man ROM 1810 hört, dann kommt die nächste Künstlergeneration und Künstlergruppe hinzu. Im selben Jahr machten sich nämlich Franz Pforr, Friedrich Overbeck, Ludwig Vogel u.a. von Wien aus auf den Weg, um in Rom italienische Vorbildern nachzuahmen, allerdings ganz andere als es die Deutschrömer im Sinn hatten. Diesen jungen Leuten, viele noch Kunststudenten,  ging es um die mittelalterliche Malerei und Plastik, die alten Kirchen, alles, was vor der Renaissance, vor Rafael im Sinne christlicher Kunst geschaffen wurde. Weil sie zudem die schon Dürer um 1500 genehme Haartracht trugen, den gescheitelten Mittelscheitel und lange Haare à la Jesus Christus wurden sie NAZARENER genannt. Was lange zuvor ein ebenso romsüchtiger Kunsttheoretiker wie Johann Joachim Winckelmann mit Blick auf die griechischen Skulpturen ‚edle Einfallt, stille Größe‘ benannt hatte, galt für sie auch, die zurückgezogen in Bruderschaften lebten und arbeiteten und immense Bedeutung für die Romantik des 19. Jahrhunderts gewannen.

Hier sind wir nun schon mitten im Thema, das die Geschichte dieses Künstlerstammbuchs ausweist, was sich ja ‚ein‘ nennt, denn es gibt so viele, wie es Künstler und Künstlerliebhaber gab, die in Rom lebten, es besuchten, auf jeden Fall Kunst von dort mitbrachten, was für Zeichnungen natürlich leichter nach Hause mitzunehmen ging, als für Gemälde oder schwere Stein- oder Metallgußskulpturen. Wobei man zum Besitzer dieses Künstlerstammbuchs, den wir noch ausführlich vorstellen, sagen muß, daß er sich in Rom von Gottlieb Schick ebenso ein lebensgroßes Bildnis seiner Töchter auf Leinwand hat malen lassen, das auf seinem Schloß Allasch verbrannte, denn, wer ein Schloß sei eigen nannte, konnte auch den Transport eines Gemäldes finanzieren. Von diesem Bildnis wissen wir heute aber nur durch die vielfachen Skizzen von Schlick, der Haltungen und Umgebung erst zeichnerisch ausprobierte, bis er die für ihn ideale Stellung der beiden Mädchen für das Gemälde fand.


Blätter aus dem Künstlerstammbuch

Zuvor aber das höchst Ungewöhnlich, was dieses Künstlerstammbuch mit Spannung auflädt, von dem ja bisher überhaupt nichts in der Kunstwelt  bekannt war.

Jakob Pilipp Hackert (1737-1807) war schon zwei Jahr tot und auch vorher aus Rom nach Florenz gezogen, als sich Wilhelm von Blanckenhagen (Riga 1761 - Allasch 1840) im Frühjahr 1810 in Rom niederließ. Wobei man gleich sagen muß, daß Blanckenhagen – oft auch Blankenhagen, das ‚von‘ war vom Vater ‚gekauft‘ worden, so war das damals – selbst kein Künstler war, denn auch Kunstinteressierte, überhaupt die kulturelle Elite Europas hielt sich in diesen Jahren immer wieder in Rom auf. Wenn also DER SEE VON BRACCIANO MIT ANGUILLARA im Katalog zum Künstlerstammbuch auftaucht, weiß man, daß da noch mehr an Wissen über den Käufer nötig ist und eigentlich hätte man sich schon beim Bildnis seiner Töchter in Rom wundern müssen. Dazu später. Jetzt ist erst einmal wichtig, daß Wilhelm nämlich schon als 15jähriger Student in Leiden war, nach Paris und London reist. Und er war auch schon 1780 unter anderem in Rom. Später heißt es zwar im Katalog, zu diesem Datum sei wahrscheinlich sein Bruder in Rom gewesen, aber das ist unwichtig, weil Wilhelm von Blankenhagen aus dem fernen Baltikum auf jeden Fall noch zu Lebzeiten von Hackert diesen kennengelernt und von dieser gezeichneten Landschaft so angetan war oder sich sogar wahrscheinlich dieses Sujet bestellt hatte, das nun als Kat-Nr. 1 unter WEITERE EXPONATE auf Seite 156 veröffentlicht wurde, also weitere von Blanckenhaben erworbene Zeichnungen, die aber nicht das unmittelbare Künstlerstammbuch von 1810 ausmachen. Dieses Blatt - Feder in Braun und Grau, Pinsel in Braun, 57,5 x 73,4 - von Hackert 1781 datiert, ist noch klassisch orientiert, zeigt aber mit der Gruppe von drei Menschen vor der Landschaft schon mehr als nur 'Landschaft mit Staffage'.

P.S. Eigentlich wollten wir mit den Blättern aus dem Künstlerstammbuch fortfahren, aber zuvor ist es doch nötig, über die Bildungsreisen der europäischen Elite, dem hohen und niederen Adel, der sogenannten GRAND TOUR, und speziell über Wilhelm von Blanckenburg mehr zu erfahren.

Fortsetzung folgt

Foto:
Cover

Info:
Christiane Lukatis, TREFFPUNKT ROM 1800, Die Geschichte eines Künstlerstammbuchs, mhk, Michael Imhof Verlag 2020
ISBN 978 3 7319 1005 3