kirche mrgDie Fresken von Landasberg, Teil 1/2

Ernst Hilmer

Landasberg/Haibach (Weltexpresso) - Das weißgetünchte Kirchlein mit dem etwas verrutschten Zwiebelturm sieht man schon von Weitem, wenn man der Straße von Straubing nach Bad Kötzting im Bayerischen Wald folgt. Ein besonders schöner Blick auf den Weiler Landasberg und die vom Menachtal aufsteigenden Berghänge eröffnet sich vom alten Kirchhof von Haselbach. Das Dorf mit der dem Heiligen Jakob geweihten Kirche und die Kapelle mit der Darstellung des Totentanzes aus dem 17. Jahrhundert sind ein schöner Ausgangspunkt für den Wanderer, dem es die Landschaft des Vorwaldes mit den verstreuten Bauernhöfen angetan hat.

Überraschende Entdeckungen eröffnen sich dem, der nicht zielgerichtet durch die Landschaft hastet: Wegkreuze und Marterl als Erinnerung an schwere Zeiten laden ein zum Verweilen und Gedenken. An scheinbar gottvergessenen Einöden findet er Höfe mit eigenen Kirchlein und Kapellen, Kulturdenkmäler, deren Wert man lange unterschätzt hat. So eine ist die Kirche St. Johannes der Täufer auf dem Landasberg.

Der Besucher, der Einkehr und Sammlung sucht, geht durch eine unscheinbare Tür aus behauenen Granitquadern. Heute wie damals vor 600 Jahren, als ein Mann in noch jüngeren Jahren, in der üblichen Tracht der Pilger, über die Schwelle des Kirchleins geschritten sein mag, die Kapuze in Andacht zurückschlug und sich umfangen ließ von der Mystik des halbdunklen Raumes.

Er versucht sich zu sammeln und noch einmal die Bilder in sich vorüberziehen lassen; das, was in diesen letzten Tagen geschehen war, bevor er die Reichsstadt Regensburg Hals über Kopf verlassen musste. Er will sich prüfen im Angesicht des Gekreuzigten, ob er recht gehandelt hatte. Doch er vermag sich nicht zu versenken im Anblick des schlichten romanischen Kreuzes über dem Altar, unweigerlich wird sein Blick hingezogen zu den Malereien an der Wand des Kirchenschiffs zu seiner Linken. Die Farben sind überwiegend in erdnahen Tönen gehalten, sie lassen aber die wenigen Abbildungen, die in leuchtendem Grün, Rot oder Golden-Gelb gehalten sind, umso stärker hervortreten. Kein Jahr dürfte vergangen sein, dass das Fresko angefertigt wurde. Überwältigend schön das Panorama aus Menschen, Pflanzen, Himmelswolken und geflügelten Wesen. Ein überdimensional dargestelltes Kruzifix trennt die Szene deutlich in einen rechten und linken Teil. Etwas bedrückt den Fremden an dem Bild, er kann sich zunächst nicht erklären, was ihn beunruhigt.

Er sucht einen Halt zu finden, einen Punkt des Anfangs in der überbordenden Erzählung, die der Künstler in schönsten Farben an der Wand des Kirchenschiffs entfaltet hat. Schließlich verfängt sich seine Aufmerksamkeit an der Darstellung der Paradiesszene: Adam und Eva im Augenblick der Sünde.

Sie stehen beide unter einem fein gezogenen Baum mit reifen Früchten, Eva, dargestellt mit ausgeprägt weiblichen körperlichen Merkmalen, Adam zugeneigt. Sie reicht ihm mit der Rechten einen Apfel. Mit der Linken, hinter ihrem Rücken, dem Mann verbergend, hält sie eine Teufelsmaske. Oder, es ist gar keine Maske. Wohl eher ein Kopf, der Kopf eines bärtigen Mannes, die Schädeldecke zweimal gespalten, wie von zwei Schwerthieben. Und die Finger des nackten Weibes krallen sich in die Kerben des losgetrennten Hauptes.

Der Fremde erschrickt. Ihm ist plötzlich, als erkenne er in dem Getöteten und vom Rumpf Getrennten die Gesichtszüge seines Lehrers und Freundes, Kaplan Grünsleder. Für ihn hatte er die Feder geführt, für ihn, der die berühmten Traktate und die Predigten des Jan Hus aus Prag ins Deutsche übersetzt hat. Wie Dürstende hatten sie doch die Botschaft aufgenommen, wie leidenschaftlich wurden die Thesen des Böhmen in der Fakultät diskutiert! Gegen die persönliche Bereicherung der Bischöfe, die Anmaßungen der Priester, den Ablasshandel. Alle seien Brüder und Schwestern im Herrn, ohne Standesunterschiede. „Niemand ist Prälat und Herr, wenn er sich im Zustand der Sünde befindet“, so lasen sie in den „Prager Predigten“.  Bis Ulrich Grünsleder verhaftet wurde. Und jedem seiner Schüler abverlangt wurde, jedermann zu denunzieren, der sich zu Hus´ Lehre bekannte. In dem Jahr der Haft Grünleders hatte er, Heinrich, die Verbindungen nach Prag aufrechterhalten können und die ersehnten Nachrichten unter Freunden verteilt. Und er war dabei, als sie ihn, seinen Lehrer und Freund, zum Scheiterhaufen führten, festzurrten und das Reisig mit einer Fackel entzündeten. Der letzte Blick des Unglücklichen galt ihm, er wusste es, ihm, Heinrich, der sich vermummt in der schweigenden Menge verbarg, die sich am Domplatz nach Sonnenuntergang zu dem Spektakel versammelt hatte. Jetzt, da der Urteilsspruch über den Vohenstraußer vollzogen war, gab es kein Verweilen mehr in der Reichshauptstadt, an jeder Ecke lauerte dort der Tod.

FORTSETZUNG FOLGT

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