rainer merz katalogAuf die Schnelle: Gute Kunstliteratur, gebraucht, Teil 102

Claudia Schulmerich

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Arnulf Rainer, im Dezember 1929 in Baden bei Wien geboren, ist einer der großen Maler Österreichs, heute im Hintergrund. Das war zu Zeiten seiner aktiven Malerzeit anders, denn er gehört zu denen, die über Österreich hinaus ein wichtiger europäischer Künstler wurde, der – leider – eigentlich immer auf seine Übermalungen reduziert wurde, die andererseits ihn aber zu einem so bekannten Künstler gemacht haben.

Aber er hat Zeit seines Lebens auch sehr viele andere Werke geschaffen. Das kann man sich in Ausstellungen ansehen, aber noch interessanter ist, daß es in seinem Heimatort ein eigenes Arnulf Rainer Museum gibt, was leider hierzulande wenige wissen, wo immer wieder Werkphasen anderer Art ausgestellt werden.

Wir erinnern uns an zwei Ausstellungen, die man in Katalogen nachvollziehen kann. Die eine ist mit dem Titel TIEFE/WEITE (FRAGMENTE) deshalb besonders interessant, weil es eine Doppelausstellung ist, zusammen mit MARIO MERZ. Meine Güte, wie lange hatte ich den Namen des italienischen Künstlers, der so wie kein zweiter für die psychoanalytisch so einsichtige Nachkriegskunstrichtung der Arte Povera steht, nicht mehr gehört. Sehr lange nicht, was im Gegensatz steht zu Mario Merz‘ (Januar 1925 - November 2003) großer Bedeutung der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts! Meist werden dann seine Iglus genannt, die in der Tat den echten kuppelförmigen Schneehäusern nachgebildet sind als ideale organische Form. Allerdings sind seine Iglus aus den verschiedensten Materialien, die man sehr oft verblüfft zur Kenntnis nimmt, weil beispielsweise Steine oder Schiefer gar nicht der Rundung der Form entspricht. Auch Glas wird nicht gerundet, sondern seine Spröde steht im Widerspruch zur Kuppel. Aber darum geht es genau, das der Betrachter irritiert wird.

Während ich das schreibe, wird mir stärker sogar, als damals bei der Ausstellung, deutlich, warum Rudi Fuchs, der die Ausstellung konzipiert hat, die beiden zusammengebunden hat. Beide sind auf auf eine Ausrichtung ihrer Kunst festgeschrieben und damit auch reduziert worden: Merz auf die Iglus, Rainer auf Übermalungen. Diese beiden werden hier noch einmal als künstlerische Spitzen herausgestellt.


Arnulf Rainer und die Fotografie. Inszenierte Gesichter, ausdrucksstarke Posen von Christina Natlacen

Christina NatlacenArnulf Rainer und die Fotografie Inszenierte Gesichter ausdrucksstarke PosenDas war eine echt witzige Ausstellung und auch der Katalog kann das gut nachbilden. Eigentlich sind das ja Kinder, die sowohl Gemütszustände wie auch unterschiedliche Charaktere aus Freude an der Übertreibung in starker Mimik wiedergeben. Andererseits ist ja bei temperamentvollen Leuten immer schon eine ausdrucksstarke Mimik angesagt. Und jeder weiß, daß im Norden Gestik und Mimik strenger gehandhabt wird, als im Süden – wir reden jetzt von Europa! -, wo man zusätzlich mit Händen redet. Aber bei den hier gezeigten Fotografien geht es um viel heftigere Ausdrucksweisen, die man eigentlich Fratzen nennen müßten. Übrigens eine Richtung, die in der Kunst durch die starken Köpfe des Franz Xaver Messerschmidt schon einmal Furore machten, die man noch heute seinen Charakterköpfen im Belvedere in Wien ansieht.

Aber hier sind es Fotografien und dennoch reagiert man genauso wie bei den Bronzeköpfen. Man ahmt die Mimik unbewußt nach. Nun kann man das nur in Ausstellungen bewundern - bewundern, weil einfach das Nachmachen so unwillkürlich ist, was ja für Kinder die oft einzige Möglichkeit der Aneignung der Erwachsenenwelt ist, aber man muß sich schon fragen, welche Funktion die inszenierten Gesichter und ausdrucksstarken Posen haben. Das ist in diesem Zusammenhang aber die falsche Frage. Man muß die FOTOGRAFIE in den Mittelpunkt stellen. Und das Gesicht erst in zweiter Linie. Erst die Fotografie macht es interessant, die Gesichter zu studieren und ihre Möglichkeiten des Verzerrens u.a. darzustellen.

Außerdem geht es nicht nur um die Mimik. Auch Gesichtsbemalungen spielten eine Rolle, die ja gerade bei Naturvölkern eine wesentliche Funktion haben. Aber auch bei uns in der Moderne. Denken Sie an die Hollywoodfilme, wo als Beispiel JOKER die Clowntradition weiterführt. Automatenfotos sind das nächste. Und die sind immer zum Lachen. Gerade, weil man sie meist für offizielle Anlässe braucht und deshalb ein ernstes Gesicht macht.

Im zweiten Teil geht es einmal um den Ausdrucksträger Gesicht, Psychopathologie und um Arnulf Rainer und die performative Wende. Rainer hat ja abstrakt angefangen und sich ab 1965 figurativen Darstellungen zugewandt. Und dabei insbesondere dem Gesicht. Erst einmal hat er sich acht Jahre lang mit dem eigenen, dem bewegten, beschäftigt und dann lange mit Totenmasken, die ja von uns in der Regel sofort als Tote und nicht als Schlafende identifiziert werden und die er in einen pathognomischen Diskurs bringt, in dem er die Totenmasken übermalt. In diesen Diskurs gehört auch das Thema Grimassen, als die ich die ganze Zeit die übersteigerten Gesichtszüge nennen wollte, aber das zu gewöhnlich fand. Aber nun nennt der Künstler sie selber so. Das Grimassieren fotografiert er in vielen Ausprägungen und nimmt auch die grotesken Gebärden von Karl Valentin, die wir als Fotos nicht so gut kennen, aber beim Gesichtszuschnitt von Valentin auf einmal als logische Fortsetzung empfinden, hinzu. Da liegt es nahe, daß im nächsten Abschnitt Pathologie und Theater kommt, schließlich ist die absichtsvolle Mimik zu unterscheiden von der, die aus innerpsychischen Gründen erfolgt.

Rainer nimmt sich auch die Werke, die Autoporträts bekannter Maler vor. Klar, daß es dabei in der Regel um Zeichnungen geht und auch einsichtig, daß Rembrandt der Künstler ist, den er besonders im Auge hat.

In der Folge wird der ganze Körper zum Ausdruck genutzt. Die vielen Fotos kann man nicht beschreiben, aber wir müssen ein Versehen nachtragen. Fast auf allen Fotos, in denen es um Ausdruck von Gesicht und Körper geht, ist Arnulf Rainer sein eigenes Objekt. Bei den Ganzkörperbildern allerdings hat er andere Fotografen gebracht, meist war es Alexander Prinzjakowitsch.

Was einen Künstler bewegt, sich selbst so ständig zum Objekt seines Schaffens zu machen und sein Gesicht, seinen Körper in so häßliche Kontexte zu zwingen, das beschäftigte mich noch lange. Interessant schon, aber...

Der Katalog ist aufwendig und einfach gut gemacht. Ich war damals – und bin es heute – völlig verblüfft, daß schon damals – 2010 – der Verlag aus Petersberg bei Fulda diesen Katalog gestaltet hat. Den Baden liegt noch 50 Kilometer weiter als Wien. Ich muß den Verleger Michael Imhof unbedingt spätestens bei der nächsten Buchmesse fragen, wie das damals lief. Heute ist er ein so bekannter Kunstverleger, den so viele Museen gerne als Kataloghersteller verpflichten, daß man sich heute so etwas nicht mehr fragen würde. 2010 aber schon.

Fotos:
Cover

Info:
Mario Merz/Arnulf Rainer, Tiefe/Weite...Verlag der Buchhandlung Walther König, Köln 2013
ISBN 978 3 86335 382 7

Christina Natlacen, Arnulf Rainer und die Fotografie. Inszenierte Gesichter, ausdrucksstarke Posen, Michael Imhof Verlag 2010
ISBN 978 3 86568 227 7