Surrealismus in Paris“ in der Fondation Beyeler in Basel

 

von Caudia Schulmerich

 

Basel (Weltexpresso) – Max Ernst begrüßt einen in der großen Halle mit seiner gewaltigen Bronze, genannt Capricorne aus dem Jahr 1948/49, der Nationalgalerie in Berlin gehörend, ein anderer Guß steht in Mannheim, erinnert man sich, weil alleine die Dimensionen und der Name einen zum Denken und Nachdenken reizen. Was es bedeutet? Am liebsten möchte man sagen: „Schauen Sie doch selbst!“, das ist zwar ungehörig, denn dazu sind Schreiberlinge da, von den Ausstellungen zu berichten, sie zu erklären. Andererseits ist der Surrealismus nun ausgesprochen die Kunstrichtung, die der Assoziation des einzelnen verpflichtet ist, dernach durchaus richtig wäre, daß zwei Menschen zwei völlig unterschiedliche Erklärungen hätten und niemand falsch liegt, weil die Gedanken und Gefühle frei sind.

 

 Wenn einen vor dem eigentlichen Eingang dann auf einer Wand eine Unmenge von Namen entgegenstrahlen, dann ist daran wichtig, dem Besucher die Vielfalt der Künstler deutlich zu machen, die für die Bewegung des Surrealismus stehen und daß diese eben nicht wie im Ausstellungstitel angedeutet auf Dalí, Magritte und Miró beschränkt ist. Interessant übrigens, daß die Ausstellung mit diesen Namen wirbt. Man fragt sich, warum Max Ernst nicht dabei ist und so mancher andere auch, der künstlerisch gleichwertig ist. Der Katalog spricht dann nur noch von „Surrealismus in Paris“, was der Ausstellung angemessen ist, wenngleich man hinzufügen müsste: in ihren Bildern, Plastiken und einzelnen Gegenständen und ganz wenig Schriften. Dies ist ein Kunstausstellung!

 

Gleich zu Beginn hängt Chirico, der Ahn. An der Wand steht, daß er in den 20ern von den Surrealisten verstoßen worden sei, neu für uns, die wir ihn nie zu den Surrealisten zählten, aber seine metaphysischen Gemälde als Fundgrube für den Surrealismus empfinden. Hier hängen nun diese frühen Werke, die eher wie gemalte Collagen wirken, bei denen man die typischen Versatzstücke erkennt, und die aus den USA und England stammen.

 

Aber dann sieht man einen typischen rätselhaften, deshalb magischen Chirico „Die Freuden des Dichters“ von 1952 und liest Privatsammlung Schweiz, was für viele weitere Bilder gilt und man hat ein Prinzip der Ausstellungsmacher erkannt, daß sehr viele Bilder aus privatem Besitz ausgestellt werden. Und nun stellt uns eine weitere Wandlegende zufrieden: „Vor-surrealistischer italienischer Maler mit weit reichendem Einfluß auf die Gruppe der Surrealisten.“ Ja, das ist richtig, er ist einer der Ahnen und gleichzeitig hat er viele überlebt

Was unter Surrealismus zu verstehen sei, wird dann auch an der Wand erklärt. Der Text beschreibt die Entstehung der Bewegung und analysiert diese. Erst die gesellschaftlichen Folgen des Ersten Weltkriegs, dann Dada als Protestbewegung, der der Surrealismus den politischen Anspruch auf Veränderung der Gesellschaft, auf Revolution beigibt.

 

„Ein zentrales Mittel ist die Befreiung der Literatur und Kunst vom Diktat des kontrollierenden Bewusstseins“, sagen die sich auf Freud und die Psychoanalyse Berufenden. Das Bonmot von Lautréamont von der „Unvermutenden Begegnung einer Nähmaschine und eines Regenschirms auf einem Seziertisch“ ist weit bekannt, daß Man Ray dies 1932/33 in einer Zeichnung in Szene setzte, weniger. Überblickt man die gesamte, sehr umfangreiche Ausstellung, so kommt einem vor, daß Max Ernst der Künstler ist, der hier am meisten ausgestellt wird. Gefühlt sozusagen, denn neben dem Raum, der ihm gewidmet ist, was für die meisten bekannten wie Dalí, Picasso, Miró, Yves Tanguey …gilt, hat er auch Anteil in zwei Kabinetten, die die Ausstellungskonzept der Hängung nach Künstlern abändern, in dem sie konzentriert zwei Sammlungen zeigen: einmal die Werke der Förderin des Surrealismus und einjährigen Gattin von Max Ernst, Peggy Guggenheim, zum anderen die von Simone Collinet, auf die wir noch kommen.

 

Bis dahin haben wir erst einmal die Dokumente in der großen Vitrine studiert, die Briefe, die Lebensmaske von André Breton, dem Vater und Mutter der Bewegung in einem, von Juan Benoit geschaffen. Kringelig gelacht haben wir uns und dabei heftig mit dem Kopf genickt bei Valentine Hugo, tatsächlich eine Frau unter der Männerbewegung der Surrealisten. Und genau dieses Phänomen thematisiert sie. Hübsch angerichtet auf Spitzendeckchen unter Glas hängen dort zwölf Männerköpfe an der Wand, die Tafel daneben spricht aber nur von zehn Künstler, ja, alle, die Sie auch kennen und die in dieser Ausstellung an den Wänden hängen. Seiner Bedeutung gemäß ist allerdings Breton gleich dreimal in unterschiedlichen Größen dabei. Ja, das ist gut gemacht.

 

Wir treffen auf Andre Masson, der beim männlichen Kopfsalat übrigens nicht dabei war und auch über den Surrealismus hinaus als Maler des Vor- und Unbewußten andere Dimensionen erreicht. Joan Miró ebenfalls bei der Kopfgruppe fehlend, ist hier stark vertreten, aber mit dem Surrealismus doch nur in verspielter Weise verbandelt. Das Licht scheint auf bei seinen Bildern, buchstäblich, weil dieser Raum in den nördlichen Garten schaut, wo dieser Herbsttag so unglaublich sonnig ist, daß die Bilder leuchten.

 

Als geschlossene Anstalt dann die Collection Simone Collinet mit reichhaltigem Besitz sehr verschiedener und früher Gemälde und immer wieder Breton, der Charisma gehabt haben muß, wenn ihn die Kollagen so häufig malten, skalpierten oder fotografierten. Man Ray hat eine Simone Kahn abgelichtet, inszeniert müsst man sagen, ein schöner Frauenkopf mit viel Haar. Ist das die Simone Collinet fragen wir uns, wie wir immer erst alles anschauen und als Bilder aufnehmen, ehe wir uns den Erklärungen zuwenden. Und dort lesen wir denn, ja, sie war es, aber erst einmal war sie von 1921 bis 1931 die Ehefrau von Breton, ehe sie 1938 den Politiker der Linken heiratete. Sie war an allem beteiligt und erhielt die Hälfte der ehelichen Sammlung. Bretons Teil ist heute verstreut, ihrer noch relativ geschlossen. Dieser Raum hat eine besondere Aura, weil die Bilder miteinander sprechen, finden wir.

 

In einem weiteren Raum, wo auch Victor Brauners hängen, sind in der Mitte Gegenstände gruppiert, die dem Bereich entstammen, der gerade in der Frankfurter Schirn als „Surreale Dinge“ erheblichen Publikumszuspruch erhielten, weil sie zwischen Gebrauchsgegenständen und Phantasieprodukten changierend für Witz sorgten. Das gilt auch für hier, wo Bellmer für seine Puppen eine eigene Ausstellungsfläche erhält. Dann kommt Picasso. Ein Surrealist? Na ja, der Kontinent Picasso steht für alles, was in der ersten Hälfte des 19.Jahrhundert als Stilentwicklung vorhanden war.

 

Auch Giacometti ist hier eingruppiert und tatsächlich erinnern auf einmal einige Skulpturen an Gebilde von Max Ernst, aber weniger amorph, stärker an Stierhörner oder sonstiges erinnernd. Und noch einer, René Magritte, dessen große Austellung in der Wiener Albertina noch Werke für Basel übrig ließ. Übrigens auch wiederum viele aus Privatsammlungen. Magritte hat Chirico im Gemüt, wenn er seine durchaus surrealen, aber für uns nicht surrealistischen Werke schafft. Erneut denken wir, daß die vielen Wurzeln des Surrealismus, die Traumwelt, das Unbewußte eben nicht nur Amorphes oder wie bei Tanguey oder auch Ernst Wasserwelten hervorbringt, die es symbolisieren, sondern im Gegenteil die grelle Sonne, der scharfe Schatten, die Überwirklichkeit die größte Unheimlichkeit wird. Und daß unter diesem Aspekt dann wieder Dalí wirklich einer ist, der beides, den Gehalt und die Form zusammenbringt.

 

Bis 29. Januar 2012

 

Katalog: Surrealismus in Paris, hrsg. von Beyeler Museum und Philippe Büttner, HatjeCantz 2011. Wer sich ernsthaft mit Surrealismus beschäftigen will, hat hier eine kompakte Grundlage, die neben einer Einführung gleich die schwergewichtigsten Werke und Künstler mitliefert. Aber auch wer einfach das Gesehene noch einmal auf sich wirken lassen will, hat hier ein Buch für’s Leben. Eben.