Nachtrag zu den brasilianischen Ausstellungen in der Schirn zur Buchmesse 2013, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Der Katalog, der erst weit nach Beginn der gleichnamigen Ausstellung in der Innenstadt von Frankfurt verfügbar war, macht das Dilemma deutlich, das sich aus der Dokumentation und kunstästhetischen Reflexion von temporärer Straßenkunst, hier 5. September bis 27. Oktober 2013, ergibt.
Sieht man die gerade verfertigte Straßenkunst, kann eine Dokumentation, die immer den Prozeß des Gestaltens im öffentlichen Raum mit zum Thema hat, was der Katalog leistet, noch nicht vorliegen. Schließlich muß man nicht nur alles fotografieren, sondern, da es sich nicht um im Atelier fertiggestellte Dinge handelt, sondern die Aktion selbst Hauptakteur ist, wenn Häuser oder andere Dinge als Reproduktions- oder Malfläche dienen, muß dieser Verfertigung des Kunstwerke imKatalog eine genauso große Rolle spielen, wie das Endergebnis, die wahrnehmbare STREET ART. Ein Katalog kann also erst einige Zeit nach der Erschaffung der Straßenkunst vorliegen.
Für uns besteht nun die Aufgabe darin, die damalige Wahrnehmung in einer mehrstündigen Busexkursion durch Frankfurt im Rahmen einer Pressekonferenz in dem großformatigen, aber nur128 Seiten starken Katalog wiederzufinden. Das verhindert erst einmal der Katalogumschlag. Der sieht sehr edel aus in Schwarz Weiß, eher Grau Schwarz, Ton in Ton, aquarellartig, aber mit haptischen Qualitäten und wiederum edel eingestanztem Titel. Seltsam, denn das, was die Stadt schmückte, war bunt und heftig, wobei das Schwarz Weiß grundsätzlich schon einen Teil dieser Kunst abdeckt.
Wichtig ist der Inhalt. Der ist sehr sinnvoll gegliedert und besteht aus einem rotunterlegten Einführungsteil, wo kunsttheoretisch diese spezielle Graffiti-Kunst, die nichts mit unserer aus N.Y. kommenden Graffiti-Kunst zu tun hat, historisch hergeleitet wird und in ihrer Divergenz eine Klammer erhält. Der eigentliche Katalog besteht dann in der Dokumentation der Frankfurter Produktionen von elf Künstlern in großformatigen Fotos, die teilweise auch weitere Beispiele aus Brasilien zeigen. Die Künstlerviten selbst sind nicht eigens dargestellt, dagegen werden die Künstler in der rotunterlegten Einführung in ihrem zeitlichen und künstlerischen Kontext eingeführt.
Die Fotos sind herrlich. Bei Herbert Baglione, der den Katalog anführt und die Fahrt durch Frankfurt an der Hauptwache abschloß, hat man durch die Draufsicht von oben fast noch einen sinnlicheren und auch schauerlicheren Eindruck, als selbst auf der Straße zu stehen. Da nämlich sah man zwar die riesenhaft schattenartigen und in die Länge gezogenen Gestalten wie aus einer anderen Welt gut, aber von oben fotografiert ist der Blick nicht nur stärker geweitet, als der eigene aus 160 cm Abstand auf den Boden, wo man einfach einen kleineren Blickwinkel hat und den Kopf drehen und wenden muß, um mehr zu sehen, was additiv ist und niemals den Eindruck hervorrufen kann, den der Blick von oben hier möglich macht. Es ist aber ein Zweites: Auf der Fotoabbildung: „Frankfurt Hauptwache 2013“ sind die Passanten zum Mitspieler geworden. Ihre Silhouetten laufen nämlich als Schatten den Menschlein voran, mutieren also zu kleineren, aber den aufgemalten Schattenwesen ähnlichen Gebilden, was eine einheitliche Wahrnehmung ergibt, mit absurden Ergebnissen wie dem, daß der Schatten eines Radfahrers zum Kreuz vor ihm wird. Auch die Detailaufnahmen, ebenfalls welche aus Sao Paulo, dieser an die Zwanziger Jahre erinnernden Diven mit starkem Bezug zu Horror und Dracula, sowie Sargkunst, haben eine starke Wirkung.
Nein, wir können nicht auf die anderen Künstler in gleicher Weise eingehen, bei denen die Farbe der wichtigste Träger wird, nur Alexandre Orion wird erneut nur in Schwarz Weiß wirken, einschließlich eines gelbstichigen Tunnelfotos aus Sa Paulo. Alle anderen Künstler kommen ausgesprochen bunt daher. Der Katalog ist für die, die STREET ART BRAZIL gesehen haben, fast ein Muß und für die anderen eine Möglichkeit, sich eine sinnliche Erfahrung auf dem Papier einzuverleiben.
Kataloge:
STREET-ART BRAZIL, Hrsg. Schirn Kunsthalle Frankfurt, Verlag der Buchhandlung Walther König, 2013
TNR 1499155/978-3-86335-418-3 zum Preis von 29,80 Euro
BRASILIANA. Installationen von 1960 bis heute, hrsg. von Martina Weinhart und Max Hollein, Verlag der Buchhandlung Walter König, 2013
TNR 1499036978-3-86335-419-0 zum Preis von 28 Euro