Erste monographische Ausstellung des Théodore Géricault (1791-1824) in Deutschland, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Wer nur ein wenig Ahnung hat von Kunstgeschichte, hat vom FLOSS DER MEDUSA schon gehört und dem unglaublichen Skandal, den dieses Bild im Pariser Salon von 1818/1819 auslöste, zeigt es doch eine kannibalische Szene in wildbewegter See, die durchaus einen historischen, für die französischen Verantwortlichen politisch mehr als peinlichen Hintergrund aus dem Jahr 1816 hat.

 

Hat Géricault das Floß aus diesem Grund gemalt, so wie genau 50 Jahre später Eduard Manet mit ERSCHIESSUNG DES KAISER MAXIMILIANS den politischen Verursacher. Napoleon III. decouvrieren wollte – und hat! Deutlich nein. Auch wenn Géricault an die Verantwortlichen appellieren und der Welt zeigen wollte, welche inhumanen Folgen eine unzulässige, weil mangelhafte Ausrüstung eines Schiffes hat, wird ihm doch in der Darstellung auf der 716 x 491 Zentimetern großen Leinwand das Körperhafte, die Drehung und Wendung der Körper einschließlich der verdrehten Gliedmaße, die sich zu einer Pyramide aufschichten, das Wesentliche. Gut, auch die Szene wie Menschen Menschen verspeisen, wobei man sofort an schon Gestorbene denkt. Géricault, als einer der Begründer der französischen Romantik wie des Realismus bezeichnet, war versessen darauf, dem Körper und seinen Teilen auf den Grund zu gehen. Körper, das heißt hier nicht nur der Mensch, sondern auch sein Lieblingstier: das Pferd.

 

Das FLOSS DER MEDUSA – Meduse hieß das gestrandete Schiff, dessen 149 Insassen auf diesem Floß Rettung finden sollten, von denen 15 überlebten! - ist aus dem Louvre nicht nach Frankfurt gekommen und wird überhaupt nicht mehr reisen. Zu strapaziös – so behaupten wir mal – waren die ständigen Ausstellungen in London. Die Engländer waren schon im 19. Jahrhundert verrückt nach diesem Bild. In Frankfurt aber hängen nun die Studien dazu, die wie die zahlreichen anatomischen Studien von Pferden zeigen, daß es Géricault ganz genau wissen wollte, wie verdrehte Gliedmaße im Inneren ihren Muskelaufbau haben und wie von den Körpern abgetrennte Teile von Menschen und Pferden ein Eigenleben beginnen und nicht wie Leichenteile wirken, sondern kraftvoll für sich stehen, als schöne Stilleben toter Körperteile sozusagen. Das muß man schon verdauen, darf aber auch dem Maler attestieren, daß er in dem Zeitalter, das in das wissenschaftliche hineinwuchs, eben auch die malerische Wiedergabe von lebendigen und toten Körpern und ihren Teilen wissenschaftlich genau nehmen wollte.

 

Das muß man so deutlich ausdrücken, weil Géricault jegliche Morbidität abgeht und damit auch die Skandalisierung des Sujets. Das daß trotzdem oft scher erträglich anzuschauen ist, hat damit zu tun, daß in unserer Welt nur die Spezialisten, die Notärzte, die Pathologen und die Kriminalisten mit so etwas zu tun haben. Wir wollen das gar nicht so genau wissen, was uns im Innersten zusammenhält. Insofern kann man bestimmt anmerken, daß Géricaults Interesse eigentlich das Natürliche ist, weil es so zugeht im Leben, während wir das Wegschauen bevorzugen, aus moralischer, ästhetischer und bequemer Praxis.

 

Was nämlich Géricault am Gerippe des Körpers sowie des Apparates von Gelenken, Muskelsträngen, Sehnen, Bändern und Nerven, das ihn in Gang hält, und auch am tiefdunkelroten Fleisch über die Physis des Menschen im Malen beschreiben und entdecken wollte, der biologische Mensch pur, genau diese Fragestellung beantwortete er auch in seiner Malerei hinsichtlich seiner psychischen Merkmale. Dazu gleich mehr.

 

Bis 26. Januar 2014,

danach vom 21. Februar bis 25. Mai im Museum voor Schone Kunsten in Gent

 

Katalog:

 

Géricault. Bilder auf Leben und Tod, hrsg. von Gregor Wedekind und Max Hollein, Hirmer Verlag München 2013

 

Der mit 224 Seiten kompakte Katalog hat ein angenehmes Format und wirkt durch die Gestaltung des weißen Einbandes mit dem großformatigen Abbild eines Modells, eines Schwarzen vor grünlichem Hintergrund, nachgerade elegant. Da Géricault – er ist wirklich insbesondere ein Maler für Kunsthistoriker! - den Deutschen weithin unbekannt ist, was man nicht glauben mag, aber so ist, ist der Katalog schon aus diesem Grund wichtig, weil einzig.

 

Für die Ausstellung liefert er das nach, was diese gar nicht leisten kann, nämlich die Einbettung in die zeitgeschichtlichen Entwicklung der Malerei in Frankreich sowie die Herleitung seiner Themen aus dem 17. Jahrhundert und später, wo beide Phänomene, die genaue Lage der Organe und die Struktur des Körpers einerseits und die Abhängigkeit der Seele und Geistes vom Körper, bzw. deren Identität andererseits, wissenschaftlich begründet werden sollte und auf jeden Fall durch Maler, Zeichner und Skulpteure über Jahrhunderte konkret abgebildet wurde.

 

Im Katalog kann man dann auch Vertiefungen zur Phrenologie nachlesen und sich mit

Charles Le Brun, Johann Caspar Lavater, William Hogarth und auch Johann Heinrich Füssli beschäftigen, die einerseits dem Wahnsinn ein Gesicht geben wollten, andererseits einfach fiese und gemeine Ausdrucksstudien gestalteten, um ihre Ansichten über die Triebstruktur des Menschen in dessen Gesichtsausdruck wiederzufinden. Was wir nicht fanden, war eine Zusammenhang mit den Charakterköpfen von Messerschmidt, was aber den Rahmen auch sprengen täte. Von den vier Essays, die zusätzlich zur Gliederung der Ausstellung entlang in Kämpfe, Körper, Köpfe und Krisen verschiedene Fragestellungen vertiefen, hat man viel. Für uns allerdings ist ausschlaggebend das wenig zu sehende Bildmaterial, vorneweg das von Géricault, das den Kauf des Katalogs schon fast erzwingt.