Erste monographische Ausstellung des Théodore Géricault (1791-1824) in Deutschland, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – In Frankfurt treffen nun beide Zielrichtungen - Genauigkeit der Physis wie der Psyche - aufeinander, weil es anders als beim FLOSS gelungen ist, seine sogenannten Monomanen, von denen einst zehn vorhanden, fünf noch bekannt sind (die man 1991 in der großen Gericaultschau in Paris sehen konnte), jetzt vier in der Schirn hängen. Das ist durchaus sensationell.

 

 

Hintergrund dieser Reihe ist die damalige Annahme, die man wissenschaftlich erhärten wollte, von der Parallelität von Physis und Psyche, was bedeutet, daß man direkt vom Äußeren auf das Innere schließen kann, die Gestalt, die Gestik, die Mimik sie geben den Geist und die Seele des Menschen wider. Die Verbrecheralben mit den Ohren ohne Läppchen – dann nämlich war man genetisch zum Verbrechen geboren – haben das dann völlig überzogen und die heute schon lange überholte, aber damals als wissenschaftlicher Ansatz ernstgenommene Theorie ad absurdum geführt. Wobei wir gar nicht so erhaben tun müssen, denn schließlich waren die Nazis in Deutschland die Letzten, die mit dem Lineal Köpfe und Nasen vermaßen, um daraus 'minderwertige Juden' herauszufiltern.

 

Das soll ja nur sagen, daß die Nachwehen dieser Ansicht bis heute in manchen Köpfen weiterleben. Vor allem sollten Geisteskranke in ihrem Ausdruck ins Bild gezwungen werden, um einen diagnostischen Ansatz möglich zu machen. Das Zeitalter war elektrisiert durch die Mechanik des Ordnens und Zuordnens. So sollte man an den Bildnissen von Geisteskranken anhand ihrer körperlichen Phänomene die jeweilige Krankheit herauslesen können. Wer nun von den vier ausgestellten Monomanien Géricaults – die einer Neidischen(?), eines des Glücksspiels, eines des Diebstahls und die des Kindraubs – Abstruses, Absonderliches und vor allem Geisteskrankes erwartet, der kennt den Maler Géricault nicht!

 

An diesen vier Bildern, es gibt weitere Porträts, kann man ihn aber gut kennenlernen. Sein Interesse gilt wirklich dem Inneren des Menschen, das durch seine Physis zum Ausdruck kommt. Diesen Ausdruck aber malt er nicht entlarvend durch übertriebene Mimik oder Gestik. Er stellt Menschen dar, deren Gemütsverfassung man erfährt. So ist der Monomane des Diebstahls ein schwermütiger bärtiger Mann, mit intensivem Blick ins Nichts, der des Kindsraubs kommt uns wie ein überarbeiteter Kaufmann vor, der skeptisch gleich die Bilanzen prüfen wird, traurig auch er, die beiden Frauen sind in die Jahre gekommene, leicht verwahrloste Greisinnen, etwas verwirrt die eine, mit wachem Blick die andere. Nichts da, bei keinem der Bildnisse, der uns an Geisteskranke gemahnte. Es sind ältere und alte Menschen, die in die Jahre gekommen, die nicht nur auf dem Buckel, sondern in ihrem Gesicht tragen.

 

Dabei war der Mann, der Maler Géricault, gerademal 18 bis 22 Jahre alt, als er dies alles malte, denn am 26.Januar 1824 war er schon tot. Das Leben so kurz und dann noch so viel über den Tod gemalt, das geht nahe.

 

 

Bis 26. Januar 2014,

danach vom 21. Februar bis 25. Mai im Museum voor Schone Kunsten in Gent

 

Katalog:

 

Géricault. Bilder auf Leben und Tod, hrsg. von Gregor Wedekind und Max Hollein, Hirmer Verlag München 2013

 

Der mit 224 Seiten kompakte Katalog hat ein angenehmes Format und wirkt durch die Gestaltung des weißen Einbandes mit dem großformatigen Abbild eines Modells, eines Schwarzen vor grünlichem Hintergrund, nachgerade elegant. Da Géricault – er ist wirklich insbesondere ein Maler für Kunsthistoriker! - den Deutschen weithin unbekannt ist, was man nicht glauben mag, aber so ist, ist der Katalog schon aus diesem Grund wichtig, weil einzig.

 

Für die Ausstellung liefert er das nach, was diese gar nicht leisten kann, nämlich die Einbettung in die zeitgeschichtlichen Entwicklung der Malerei in Frankreich sowie die Herleitung seiner Themen aus dem 17. Jahrhundert und später, wo beide Phänomene, die genaue Lage der Organe und die Struktur des Körpers einerseits und die Abhängigkeit der Seele und Geistes vom Körper, bzw. deren Identität andererseits, wissenschaftlich begründet werden sollte und auf jeden Fall durch Maler, Zeichner und Skulpteure über Jahrhunderte konkret abgebildet wurde.

 

Im Katalog kann man dann auch Vertiefungen zur Phrenologie nachlesen und sich mit

Charles Le Brun, Johann Caspar Lavater, William Hogarth und auch Johann Heinrich Füssli beschäftigen, die einerseits dem Wahnsinn ein Gesicht geben wollten, andererseits einfach fiese und gemeine Ausdrucksstudien gestalteten, um ihre Ansichten über die Triebstruktur des Menschen in dessen Gesichtsausdruck wiederzufinden. Was wir nicht fanden, war eine Zusammenhang mit den Charakterköpfen von Messerschmidt, was aber den Rahmen auch sprengen täte. Von den vier Essays, die zusätzlich zur Gliederung der Ausstellung entlang in Kämpfe, Körper, Köpfe und Krisen verschiedene Fragestellungen vertiefen, hat man viel. Für uns allerdings ist ausschlaggebend das wenig zu sehende Bildmaterial, vorneweg das von Géricault, das den Kauf des Katalogs schon fast erzwingt.