DÜRER. Kunst – Künstler- Kontext im Frankfurter STÄDEL, Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Aufgepaßt. Es geht nicht um Dürer und Frankfurt, auch dazu gäbe es viel zu sagen, sondern um DÜRER in FRANKFURT. Kurator Jochen Sander eröffnet mit einem gleichlautenden Beitrag auch den unten näher beschriebenen Katalog der Ausstellung.
Dabei geht es uns nicht nur um seinen Aufenthalt in der Main- und Messestadt, sondern eben auch um die Aufträge, die von hier erteilt wurden. 1520, da war er schon 39 Jahre, kam Dürer auf dem Weg in die Niederlande zusammen mit Ehefrau Agnes und Magd Susanna in Frankfurt vorbei. Acht Tage hatte die Fahrt, ab Bamberg auf dem Main gedauert. Zwei Tage blieben die Nürnberger. Zwar führte Dürer ein Tagebuch, aber darin sind für Frankfurt nur die Ausgaben angegeben, weder ein Stadtprogramm, was er in dieser noch intakten mittelalterlichen freien Reichsstadt hatte angeschaut, noch wen er getroffen hatte.
Allerdings ist festgehalten, daß sein Frankfurter Auftraggeber, der vermögende Patrizier Jakob Heller, der schon 1507 ein Altargemälde bei Dürer in Auftrag gegeben hatte, die Anwesenheit des Künstlers beachtete: „Auch schenket mir herr Jacob Heller den wein in die herberg.“ zitiert Jochen Sander den Künstler. Der Vorgang, den man als 'Ehrenwein' kennzeichnet, zeigt wie außerordentlich angesehen Dürer auch nach der Lieferung seines sogenannten Heller-Altars 1509 noch elf Jahre später beim kunstsinnigen Kaufmann war.
Doch war für Heller Kunst kein Selbstzweck. Er hatte das Altarbild für einen Seitenaltar der Frankfurter Dominikanerkirche bestimmt, damit er für sich und seine Frau das Seelenheil rette und ein späteres Totengedächtnis dort stattfinde. Für Gott wollte er eben den besten Künstler haben – und bekam ihn. Der Auftrag wurde 1507 erteilt und man kann die Auseinandersetzungen um den Preis, die alles verzögerten, nachlesen. Dürer wußte um den Wert seiner Mitteltafel des Heller-Altars, der Marienkrönung und befand, daß er etwas geleistet habe: „das nit viel leut khönnen machen“, wie er Heller noch 1507 schrieb. Er hatte die teuersten Farben genommen und sehr sorgfältig gearbeitet. Für kein anderes Gemälde Dürers sind so viele Vorzeichnungen erhalten, die in der Ausstellung zu sehen und im Katalog dokumentiert sind, betont Sander.
Kann man sich vorstellen, daß sich Dürer 1520 auf der Durchreise in Frankfurt seinen Heller-Altar in der Dominikanerkirche nicht angeschaut hat? Nein, eigentlich nicht. Er hat oder hätte gesehen, daß Jakob Heller den Altar um die beiden Standflügel von Mathis Gothart Nithart, gen. Grünewald, hatte erweitern lassen, die im übrigen so gelungen sind, daß sie atemlos machen. Doch geht es hier und heute um Dürer. Dieser Heller-Altar sprach sich ob seiner Schönheit herum und als 1604 Herzog Maximilian I. von Bayern seine Kunstsammlung mit der Mitteltafel, der Marienkrönung des Düreraltars aus Frankfurt, aufwerten wollte, konnte er sie erwerben, wenn er eine Kopie zur Verfügung stellte. Das geschah, sie wurde angefertigt von dem Nürnberger Maler Jobst Harrich, der sich auf Dürerkopien spezialisiert hatte.
Wie das Leben so spielt. Der echte Dürer verbrannte 1729 bei dem Brand der Münchner Residenz. Der unechte Dürer, die Kopie der Marienkrönung überlebte im Historischen Museum der Stadt Frankfurt, die auch einen Teil der Flügelbilder des Retabels besitzt. Zwei weitere Grünewaldtafeln kamen in die Kunsthalle Karlsruhe, wo vor Jahren schon einmal die Frankfurter Teile für eine Ausstellung den Altar zusammenbrachten. Erstmalig allerdings ist nun, 504 Jahre nach seiner Aufstellung in der Dominikanerkirche, der Altar in Frankfurt mit allen auffindbaren, teilweise zersägten und gespaltenen Altarteilen in der Städelausstellung wiedervereinigt. Hinzu kommen erstaunliche viele Vorzeichnungen, unter denen, wie sich oft die Besucher wundern, auch die 'Betenden Hände' sind. Dabei handelt es sich allerdings nicht um die bekannte Zeichnungen aus der Albertina, die wie der Hase früher als Druck in jedem besseren deutschen Wohnzimmer hing und heute als eine beliebte Illustration auf Todesanzeigen herhalten muß, sondern um weitere Vorzeichnungen davon.
In der Ausstellung ist für diejenigen, die die unglückselige Verteilung der Heller-Altartafeln schmerzt, die jetzige Rekonstruktion ein Höhepunkt der Dürer-Schau. Geöffnet zeigt der Altar auf der Mitteltafel die Kopie der Marienkrönung, auf den Flügelinnenseiten befinden sich die Stifterbilder Jacob und Katharina unter den Martyriumsszenen ihrer Namenspatrone. Die Außenseiten zeigen in Grisaillemalerei die Anbetung der Heiligen Drei Könige und die Heiligen Petrus, Paulus, Thomas von Aquin – dem der Alter geweiht war – und Christophorus; diese sind eine Arbeit der Dürerwerkstatt. Hinzu kommen die Standflügel, die wie erwähnt von Grünewald sind, die auf den Vorderseiten die Heiligen Laurentius, Elisabeth von Thüringen, Cyriakus und eine heute nicht mehr bekannte Heilige tragen und auf der Rückseite grünes Blattwerk und Kapitelle. Eine Predella fehlt genauso wie die Kenntnis der genauen Aufstellung aller Teile, weshalb die im Städel vorgenommene als wahrscheinliche Variante gilt. Zur Gesamtaussage des Altars, wie auch zu vielen Details gibt es unterschiedliche Aussagen, die wir hier nur andeuten.
Der oben beschriebene Sachverhalt ist in der Kunstgeschichte bekannt. Sehr viel weniger weiß man von Dürers Gesellenreise, auf der er auch in Frankfurt, einer damals (wie heute) bedeutenden Messestadt, Station machte. Wie wichtig allerdings die Frankfurter Messe für einen aufstrebenden Künstler war, machte Dürer vor. Denn er nutzt die Messe als Umschlagplatz für seine Druckgraphik, die von Frankfurt aus nach ganz Europa ging. Spätestens 1498, als seine Illustrationen zur Apokalypse des Johannes erschienen, war Dürer ein in ganz Europa gemachter Mann. Er hatte in seinen Holz- und Kupferstichen, die vielfach aufgelegt werden konnten und im übrigen auch leicht zu transportieren waren, eine neue Bildsprache gefunden, die zu besitzen Mode wurde. Für die Verbreitung der Drucke ist Dürers Frau jahrelang zu den Frühjahrs- und Herbstmessen nach Frankfurt gefahren, die Mutter versorgte die Messe in Nürnberg. Sicher liegt in der weiten Verbreitung von Werken Dürers auch die Ursache, daß er niemals wiederentdeckt werden mußte, weil alle fünf Jahrhunderte über sein Ruhm als besonders kreativer, vielseitiger und 'teutscher' Künstler erhalten blieb.
Jochen Sander geht auch darauf ein, auf welchem Wege weitere Dürerwerke nach Frankfurt kamen und hier blieben. Die Dürers des Städel und des Historischen Museums sind bekannt, weniger daß auch das Museum für Angewandte Kunst und die Frankfurter Universitätsbibliothek Dürerwerke besitzen. Letztere auch seine Bücher, die in der Ausstellung in Vitrinen zu sehen sind. Fortsetzung folgt.
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Bis 2.Februar 2014
Katalog:
Dürer. Kunst-Künstler-Kontext, , hrsg. von Jochen Sander, Prestel Verlag 2013
Eine fulminante Ausstellung braucht auch einen fulminanten Katalog. Den hat Jochen Sander im Verbund mit vielen Mitstreitern – darunter auch vom ehemaligen Städelmitarbeiter Stephan Kemperdick, jetzt Kustos in der Berliner Gemäldegalerie – geleistet. Und zwar in einer für den Ausstellungsbesucher und Leser besonders günstigen Form. Oft wird in Katalogen in erhofften tiefgehenden Analysen in seitenlangen Essays die Kunstgeschichte befragt und fortgeschrieben und im Katalogteil dann die Werke der Ausstellung nur abgebildet. Das ist hier anders.
Nach einer Einführung von Jochen Sander DÜRER IN FRANKFURT, erfolgen an Dürers Werkbiographie entlang in 17 Kapiteln die Hintergründe und Interpretationen der ausgestellten Arbeiten, die mit fortlaufenden Katalognummern versehen, dann auch direkt im Bild zu sehen sind. Dadurch verbinden sich Text und Abbildung glücklich. Gleich im ersten Kapitel von Karoline Feulner ZU TRADITION UND INNOVATION: DÜRERS GOLDSCHMIEDELEHRE ALS GRUNDLAGE FÜR SEINE DRUCKGRAPHIK, erfreut einen einfach auf den Seiten 29 und 30, wenn rechts die Federzeichnungen eines Heiligen Georg und Heilgen Christophorus zu sehen sind, und man links im farbigen Porträt einer in ihrem Stundenbuch lesenden Frau von Ambrosius Benson Dürers Schmuckvorlage als gewaltigen Anhänger auf der Brust der jungen Dame sehen kann. Für Kunsthistoriker eine Bestätigung, daß die Schmuckzeichnung ausgeführt wurde, wofür meist die Beweise fehlen. Die besondere Zeichenfertigkeit Dürers, das liest man später, geht eben auch auf seine Goldschmiedeausbildung des Entwerfens zurück.
In „Nach mir selbs kunterfet.“ BILDNISSE UND SELBSTBILDNISSE, dem vierten Kapitel, untersucht Stephan Kemperdick die Entwicklung der Porträts und Selbstporträts, eine der auffälligsten Merkmale Dürers, der sich schon mit 13 Jahren mit einem Silberstift zeichnete, bzw. sein Konterfei im Spiegel abzeichnete. Zwar sind die beiden 'großen' Selbstbildnisse, der sogenannte pelzverbrämte Christus aus München von 1500 und der Hübsche aus Madrid von 1498 nicht ausgestellt, aber beim Kataloglesen versteht man, daß es hier um etwas ganz anderes geht. Nämlich zu eruieren, welche Vorbilder der Zeichner, aber auch der Maler Dürer wirklich hatte, der bei Michael Wohlgemut Nürnberg in die Lehre ging Eindeutig niederländisch, faßt Kemperdick zusammen und führt zudem zum beeindruckenden Vaterbildnis aus Florenz, das letztes Jahr in Nürnberg zu sehen war, jetzt nicht nach Frankfurt durfte, dem Pendant der Barbara Dürer, die in Frankfurt hängt, aus, daß dieses wahrscheinlich gar kein Vaterporträt Dürers des Jüngeren sei, sondern ein Selbstbildnis Albrecht des Älteren. Das muß man erst einmal verdauen, denn es ist eine der schönsten Tafeln, „eyckischer als irgendein deutsches Porträt des 15. Jahrhunderts“, wie Kemperdick seinen Kollegen Winkler zitiert.
Schluß. Wir sind erst auf Seite 98, der Katalog umfaßt 400 Seiten und hat neben der Gewichtigkeit auch das entsprechende Gewicht. Das allerdings lohnt!