Hanswerner Kruse
Berlin (Weltexpresso) - Nach fünfjähriger Renovierung wurde im Herbst die Neue Nationalgalerie wiedereröffnet. Dieses Monument der Moderne des Star-Architekten Mies van der Rohe (1886 - 1969) präsentiert mehrere Ausstellungen, die sowohl das Bauwerk als auch die zeitgenössische Kunst feiern.
Draußen vor dem gläsernen Gebäude und in seiner riesigen Halle sind monumentale, farbig lackierte Stahlskulpturen des Bildhauers Alexander Calders (1898 - 1976) aufgestellt. Die tonnenschweren Platten wirken leicht und schwebend durch ihre einfachen floralen oder geometrischen Formen und die Befestigung auf kleinen Sockeln. Infolge der Rundumverglasung schwindet die Grenze zwischen drinnen und draußen. Die Skulpturen dieser Ausstellung „Minimal / Maximal“ sind so stark, um sich mit den umliegenden Bauten oder den dunklen Wolken zu messen.
Man kann um Calders Objekte flanieren und sie aus immer neuen Perspektiven wahrnehmen oder sich auf einer Bank sitzend den Werken meditativ annähern. Der Künstler wollte einst Erfahrungsräume schaffen und forderte zum unmittelbaren Erleben seiner Skulpturen auf. Auch die großen und kleinen Mobiles vermitteln per se schwebende Leichtigkeit und werden durch Luftströmungen oder Aktionen des Publikums bewegt. Außerdem sind winzige Drahtgebilde zu sehen, die mit Holz, Stoff oder Kork verbunden sind. Es sind keine Modelle der großen Arbeiten des Künstlers, sondern seine Fantasien als Miniaturen: mobile Skulpturen oder Begleiter zum Mitnehmen.
Im Untergeschoss sind Ausstellungen zur Geschichte oder künstlerischen Auseinandersetzung mit dem Bauwerk zu sehen. Doch die größte und bedeutendste zeigt zur Wiedereröffnung 250 Werke aus der Sammlung der Nationalgalerie: „Die Kunst der Gesellschaft 1900 - 1945.“ Neben dem Eingang zur Schau verweist sinnbildhaft das chaotisch wirkende, aber farbenfrohe Gemälde „Bogenschützen“ auf das frühe 20. Jahrhundert, das geprägt war von Dynamik, Diversität und Gleichzeitigkeit.
Zunächst sieht man dann wegweisende Werke der klassischen Moderne: Düstere expressionistische Arbeiten Max Beckmanns oder bitterböse Anklagen von Otto Dix und George Grosz. Diese Bilder prangern zwar das Grauen an, doch sie sind künstlerische Zeitbilder, keine Propaganda. Man freut sich, sie wie alte kritische Freunde wieder zu treffen. Aber die Kunstschaffenden gestalteten auch ihre Hoffnungen und Fantasien.
Im Surrealismus oder in anderen Stilen nahmen ihre Phantasmagorien alternativer oder traumhafter Welten Gestalt an. Plötzlich stößt man in der Schau auf die große wundersame Skulptur „Capricorne“ von Max Ernst, neben sofort erkennbaren Arbeiten von Miró oder Salvador Dalí. Dazwischen hängt Leonor Finis zartes surrealistisches Werk „Zwei Frauen“: Die emanzipierte Frau mit Flammen in den Haaren stellt sie selbst dar, sie wird von einer, sie bewundernden Voyeurin beobachtet. Die gering geschätzten Künstlerinnen dieser Zeit mussten sich in der männlich dominierten Kunstszene mühsam durchbeißen; zu sehen sind ihre wenigen Werke der Sammlung oder Leihgaben.
Das Untergeschoss der Nationalgalerie weist keine strenge Raumteilung auf, oft trifft man auf Durchgänge und neue Verbindungen. Die Ausstellung ist nach Motiven geordnet, etwa „Stadtsplitter“ oder „Freiheit der Expression“, es gibt keine chronologische oder stilistische Struktur. Dadurch wird die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Strömungen der Avantgarde deutlich. In einem ersten Streifzug kann man sich alten vertrauten oder neuen anziehenden Werken kursorisch widmen. Überraschungen sind möglich, wie die Entdeckung eines kaum bekannten Bilderfrieses mit 12 theatralischen Gemälden von Edvard Munch.
Weitere Rundgänge mit dem Audioführer oder der Lektüre der Wandzeitungen kann man empfehlen. Texte wie zur Rolle der Künstlerinnen in der frühen Moderne, bieten hilfreiche Erkenntnisse. Ohne theoretische Überwältigung verdeutlichen sie Kunstwerke in ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen. Dabei ist auch Staunen möglich, denn wer weiß schon, dass Max Ernst das „Action Painting“ Jackson Pollocks inspirierte? Gelegentlich zieht sich eine zweifelhafte moralische Unterströmung durch die Kommentare. Da werden etwa die Künstler der „Brücke“ als Mitschuldige der Kolonialisierung oder des sexuellen Missbrauchs ihrer jungen Modelle verdächtigt. Doch es erfolgte keine Zensur durch Anbiederung an einen pseudokritischen Zeitgeist. So kann man sich über diese hervorragende Schau mit ihren fantastischen Werken einfach nur freuen.
Fotos:
Oben:
© 2021 Calder Foundation, Foto Stephanie von Becker
Mitte:
Miniaturen: © 2021 Calder Foundation, Artist Rights Society (ARS)
"Zwei Frauen": © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jochen Littkemann
Unten:
Blick in die Ausstellung: © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / David von Becker
Das Untergeschoss der Nationalgalerie weist keine strenge Raumteilung auf, oft trifft man auf Durchgänge und neue Verbindungen. Die Ausstellung ist nach Motiven geordnet, etwa „Stadtsplitter“ oder „Freiheit der Expression“, es gibt keine chronologische oder stilistische Struktur. Dadurch wird die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher Strömungen der Avantgarde deutlich. In einem ersten Streifzug kann man sich alten vertrauten oder neuen anziehenden Werken kursorisch widmen. Überraschungen sind möglich, wie die Entdeckung eines kaum bekannten Bilderfrieses mit 12 theatralischen Gemälden von Edvard Munch.
Weitere Rundgänge mit dem Audioführer oder der Lektüre der Wandzeitungen kann man empfehlen. Texte wie zur Rolle der Künstlerinnen in der frühen Moderne, bieten hilfreiche Erkenntnisse. Ohne theoretische Überwältigung verdeutlichen sie Kunstwerke in ihren gesellschaftlichen Zusammenhängen. Dabei ist auch Staunen möglich, denn wer weiß schon, dass Max Ernst das „Action Painting“ Jackson Pollocks inspirierte? Gelegentlich zieht sich eine zweifelhafte moralische Unterströmung durch die Kommentare. Da werden etwa die Künstler der „Brücke“ als Mitschuldige der Kolonialisierung oder des sexuellen Missbrauchs ihrer jungen Modelle verdächtigt. Doch es erfolgte keine Zensur durch Anbiederung an einen pseudokritischen Zeitgeist. So kann man sich über diese hervorragende Schau mit ihren fantastischen Werken einfach nur freuen.
Fotos:
Oben:
© 2021 Calder Foundation, Foto Stephanie von Becker
Mitte:
Miniaturen: © 2021 Calder Foundation, Artist Rights Society (ARS)
"Zwei Frauen": © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / Jochen Littkemann
Unten:
Blick in die Ausstellung: © Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie / David von Becker
Info:
Termine:
Sammlung der Neuen Nationalgalerie: Die Kunst der Gesellschaft“ (1) bis 2. Juli 2023
Die Neue Nationalgalerie. Architektur und Baugeschichte bis 2. Juli 2023
Alexander Calder: „Minimal / Maximal“ noch bis 13. Februar 2022
Rosa Barba: In a Perpetual Now noch bis 16. Januar 2022
NEU Gerhard Richter: Künstlerbücher vom 10. Februar bis 29. Mai 2022