kn artodance 1744Das Artodance-Ensemble im KulturWerk

Hanswerner Kruse

Schlüchtern (weltexpresso) - Endlich wieder vor einem Publikum auftreten: Es war ein bewegter und bewegender Tanzabend, den die Gruppe Artodance und ihre Choreografin Monica Opsahl auf der neuen, eigenen Bühne im Rahmen der KulturWerkWoche inszenierte.

Die große Bühne ist völlig schwarz, die Klänge sind dramatisch, die Tänzerinnen im Dunkel kaum zu erkennen. Bis die fünf Frauen sich im Stroboskop-Licht zeigen. Mitunter stoppt die wummernde Musik, Einzelne fallen zu Boden. Winden und drehen sich. Bäumen sich auf. Tanzen weiter, wenn die wilden Töne abermals erklingen: Sisyphustänze.

Manchmal sind die Klänge und Bewegungen sanfter, aber auch wenn die Tänzerinnen ähnliche Figuren schaffen, sind sie einsam und nur bei sich. Bisweilen agieren sie zusammen wie Roboterinnen. Versuchen sich aus der den starren Mustern zu befreien. Einzelnen gelingt das bisweilen, sie brechen  aus, sind fröhlich und entspannt. Dann erneut verstört und kontaktlos. Immer wieder extrem laute, bedrohliche Töne, stampfende wütende Tritte der Ballerinen. Erneutes Stürzen. Wälzen. Strampeln. Aufrichten.

Es wurden düstere Zeiten, als Corona an einem Freitag den 13. das kleine Ensemble mit dem ersten Lockdown erwischte. Doch Artodance präsentiert kein Corona-Ballett, keinen tragischen Totentanz. Die Schritte der Truppe changieren unaufhörlich zwischen gewohnten sanften oder wilden Bewegungen und freiem expressiven Ausdruck. In ihren Bewegungsbildern performen die jungen Frauen wie sie auf sich geworfen wurden, was mit ihnen geschah, als sie nicht mehr tanzen und auftreten durften. Kampfszenen gegen das Schicksal.

Man muss den Tanz nicht lieben und schon gar nicht „verstehen“, um die hier ausgedrückten Gefühle in sich selber nachzuempfinden: Erwischt werden. Isoliert sein. Sich wehren. Resignieren. Aufraffen und kämpfen. Etwas Glück finden. Durch die Gestaltung lösen sich die Emotionen vom Privaten und werden allgemein gültig. Diesen ersten Teil der Aufführung wollte Choreografin Opsahl vor einem Jahr in der KulturWerkWoche präsentieren, doch die musste wegen Corona ausfallen.

Nach der Pause ringen die Tänzerinnen mit Stühlen. In erregenden akrobatischen Aktionen werden die Sitzgelegenheiten zum Lebensraum, Gefängnis oder Rettungsboot. Unaufhörlich versucht die Compagnie, sich aus den Stuhlzwängen zu lösen. Milde Musik und sanfte Bewegungen. Hoffnungen, Erinnerungen, Träume werden getanzt - und das harte Erwachen im nächsten Lockdown. Zu kreischenden Tönen bizarre Figuren der Frauen. Doch während vier von ihnen tanzen, räumt eine vor die Bühnenwand viele Stühle, schafft Raum für ein Publikum. Mit leichten und anmutigen Szenen vor den leeren Stühlen endet die exzellente Choreografie.

Während der Darbietung spricht Monica Opsahl manchmal in Englisch aus dem Off über „The dance and me. Me and the dance.“ Poetisch erzählt sie von ihrer ersten Begegnung mit dem Ballett als Vierjährige bis zum aktuellen Auftritt ihres Ensembles. Glücklich lässt sie anschließend ihr Team und sich vom Publikum feiern, das sie aber auch dringend benötigt: „Endlich wieder vor Leuten tanzen, ohne Öffentlichkeit gibt es keinen Tanz!“

Stolz ist sie über die umgebaute, früher so genannte „KulturWerk-Halle“. Hierhin musste sie zwar mit dem „Ballettsaal“ umziehen, weil ihre Räume in der Bahnhofstraße gekündigt wurden. Doch nun hat sie viel mehr Platz, drei Säle mit eigener Bühne und eine Art Café im Eingangsbereich. „Die alte Disco heißt jetzt Stage. Bühne“, verkündete sie, „wir haben hier nicht nur für uns ein Haus der kulturellen Begegnung geschaffen.“

„Tanzt, tanzt, sonst sind wir verloren“, zitiert die Choreografin eine Redewendung von Pina Bausch, es sind Worte, die der Pionierin des Tanztheaters einmal von einem Zigeunermädchen in Griechenland gesagt wurden. Gemeint war, ohne Kontakt, ohne Begegnung, ohne Kommunikation im gemeinsamen Tanz sei man verloren.

kn artodance 2027

Die Tänzerinnen:
Maren Opsahl, Karlotta Kohlhepp, Julie Opsahl, Miriam Kreß, Meline Gottwald 

Foto:
Hanswerner Kruse

Info:
https://www.artodance.de