David Hockney im Museum Wiesbaden bis zum 19. Januar, Teil 2
Claudia Schulmerich
Wiesbaden (Weltexpresso) – Rapunzel heißt ja dieser Salat, der umgangssprachlich Feldsalat genannt wird. Der wuchs im Garten der Zauberin, in den vom Fenster ihrer Wohnung aus eine immer älter werdende Frau hineinschauen konnte. Sie und ihr Mann hatten sich so viele Jahre Kinder gewünscht und nun überkam sie diese Lust auf die grünen Blätter.
Dabei war sie nicht schwanger. Aber als ihr Mann des Nachts heimlich den Zaun überstieg und ihr vom Rapunzelsalat brachte, bekam sie nur noch Lust auf mehr. Aber beim zweiten Mal überraschte ihn die Hexe, schimpfte mächtig und erst als er ihr gestand, seine Frau sei süchtig nach diesen Rapunzeln, gestattete sie ihm mitzunehmen, soviel er wollte – unter einer Bedingung: das dann geborene Kind gehöre ihr.
So geschah es und die Hexe nannte die Kleine Rapunzel und nahm sie mit sich. Mit 12 Jahren war sie schon wunderschön, so daß die Hexe sie in einen Turm im Wald einschloß, wo es nichts als eine Öffnung in der Mauer gab, ein Fenster. Und wenn die Hexe RAPUNZEL rief, dann ließ diese ihr Haar herunter, auf der die Hexe hochstieg. Hoho, kein Wunder, daß Hockney dies Märchen, das noch nicht zu Ende ist, anzog. Vor allem die Hexe. An der kann man sich krummlachen! Ein Mannweib mit Haaren am Körper und vor allem dem Gesicht, einmal sieht man sie im Garten halbnackt graben, ein andermal sitzt sie wie die Jungfrau Maria mit dem Jesulein, nur ist sie häßlich, die Hexe und das Baby soll Rapunzel sein, dessen Haar sich anfängt zu kräuseln. Die Hexe beschäftigt den Zeichner Hockney eindeutig mehr als alle anderen Personen, das RAPUNZEL eingeschlossen.
Aber wir sehen auch den Turm, mit der Öffnung und die blonden Flechten – golden sollen sie sein, die Haare! - der Rapunzel, an denen die Hexe hochstieg. Ha, und die nächste Zeichnung zeigt den feschen Reiter, er ist des Königs Sohn, auf seinem Knappen vor der Haarpracht aus dem Fenster. Der hatte nämlich die Hexe belauscht, rief das nämliche:
„Rapunzel, Rapunzel,
laß Dein Haar herunter.“
Und so geschah es und er stieg hoch. Das sieht man nicht, aber ahnt es, wenn die Zeichnung von Hockney den Kerl von hinten zeigt und die Haare im Winde flattern. Und kaum sah er sie und sie ihn, so ward es um beide geschehen. Sie wollen Mann und Frau werden, ganz offiziell. Sagt das Märchen.
Sie aber verplappert sich und daraufhin schneidet ihr die Hexe ihre schönen güldenen Haare ab. Zuvor allerdings hatte RAPUNZEL dem Königssohn aufgetragen, jedesmal einen Strang Seide mitzubringen, aus der sie eine Leiter flechten wollte. Aber nun wird es tragisch. Die hHexe nämlich hatte das Rapunzel in eine „Wüstenei“ gebracht, deren abgeschittenen Flechten aber am Fensterhaken festgemacht, so daß des Abends der Königssohn hochstieg, aber nur auf die rachelüsterne Alte stieß. Die verwünschte ihn und sagte ihm voraus, was gleich eintrat. Er stürzte sich aus dem Fenster, fiel in Dornen, die ihm die Augen ausstachen, weshalb er blind im Wald umherstürzte und irgendwelche Wurzeln und Beeren aus und laut weinte, weil er seine Rapunzel verloren hatte.
Ha,und schon wieder erleben wir, was das Märchen vorher nicht explizit ausdrückte, als es davon sprach, daß sie Mann und Frau werden wollten. Sie waren es nämlich faktisch längst und deshalb hatte Rapunzel in der Wüsteinei längst Zwillinge geboren, einen Knaben und ein Mädchen, die sie kümmerlich großzog, als zwei Jahre später der blinde Königssohn zufällig dorthin geriet und ihre Stimme hörte, die ihm lieblich und bekannt war.
„Zwei von ihren Tränen aber benetzten seine Augen, da wurden sie wieder klar, und er konnte damit sehen wie sonst. Er führte sie in sein Reich, wo er mit Freude empfangen ward, und sie lebten noch lange glücklich und vergnügt.“ Ende gut, alles gut!
Fragt man sich jetzt aber, was die sechs Illustrationen von David Hockney von diesem Märchen für den Betrachter transportieren, so zögert man. Nein, ihm geht es nicht um das Glück der beiden, das wäre auch nachgerade langweilig in der Darstellung. Glück ist sehr viel schwerer zu zeichnen, als einen einsamen Turm mit Haarflechten aus dem Fenster, die im Winde wehen. Die marienähnliche Gestalt der DIE GRÖSSER GEWORDENE RAPUNZEL in den Maßen 220 x 245 mm läßt schon die zukünftige Königin erahnen, so majestätisch schreitet sie, wie gesagt das offene güldene – nein, hier ist es nur als helles Haar auf kariertem Hintergrund wahrnehmbar – Haar wie eine Schleppe hinter sich herziehend.
Schaut man sich nun, nachdem man jede einzelne Radierung in den Zusammenhang des Märchens gerückt hatte, die sechs Blätter noch einmal an, folgt ein kleines Aha. Jetzt nämlich nimmt man beim ersten Blatt RAPUNZEL WÄCHST IM GARTEN in den Maßen 440 x 327 mm !!, stärker als den Garten selbst die Frau wahr, die oben im Turmzimmer durch ihr Fenster voller Lust in den Garten der Zauberin mit den Rapunzeln blickt. Nein, das Lüsterne dichten wir hinzu, weil es so im Märchen steht. Man sieht nur die Halbbüste einer ordentlich gekämmten und gewandeten Frau in einer Maueröffnung.
Das Ganze könnte auch ein Porträt sein, das am Turm aufgehängt ist. Dagegen spricht jedoch unsere Seherfahrung, so daß wir es für ein Fenster halten müssen und da auf einmal fällt es einem wie Schuppen vor die Augen, daß Hockney in dem ersten Bild schon das Schicksal der noch nicht gezeugten und erst recht nicht geborenen Tochter wiedergibt. Auch dieser Turm hat keinen Ausgang, nämlich keinen zum Garten der Zauberin, wohl aber zur anderen Seite. Auf einmal wirkt auch der Garten selbst bedrohlich.
Die schwarze Zypresse in der Mitte, wer hat denn so etwas im Garten stehen, und die linke Pflanze sieht geradezu fleischfressend aus. Genug. Man muß nur schauen und sich seinen Reim machen, vielleicht kommt man zu ganz anderen Märchen. Warum aber die grünen Rapunzel im Garten diese Lust, sie zu essen, auslösen, das ist vielleicht dann eine Schwangerschaftshysterie, aber dann wäre sie längst schwanger gewesen? Ach,nein, das Märchen ist viel märchenhafter, wenn erst diese Rapunzeln die Zeugung auslösen und das geborene Mädchen deren Namen erhält. Aber seltsam ist das schon.
Bis 19. Januar
Katalog:
David Hockney, Sechs Märchen der Brüder Grimm, hrsg. von Burkhard Kling, ursprünglich eine Ausstellung im Brüder Grimm Haus in Steinau, Jonas Verlag 2008