David Hockney im Museum Wiesbaden bis zum 19. Januar, Teil 1
Claudia Schulmerich
Wiesbaden (Weltexpresso) – Papier ist zwar geduldig, heißt es, aber Zeichnungen auf Papier sind lichtempfindlich und haben in Ausstellungen nur eine kurze Verweildauer. Hier aber geht es um vom englisch-amerikanischen Künstler direkt auf die Kupferplatten gezeichnete Illustrationen von Grimmschen Märchen, die als 39 Radierungen noch bis zum 19. Januar im Wiesbadener Museum zu sehen sind.
Die Radierfolge SIX FAIRY TALES FROM THE BROTHERS GRIMM gehört sogar dem Hessischen Museum für Wissenschaft und Kunst selbst, wie Staatsministerin Eva Kühne-Hörmann auf einer Pressekonferenz Ende November bekanntgab und auch von der Geschichte des Kaufs berichtete. Der Direktor des Wiesbadener Museums, Alexander Klar, zeigte sich von dieser Sonderausstellung in zwei Räumen im zweiten Stock entzückt, denn der Name HOCKNEY zieht natürlich in einem Kunstmuseum erst einmal stärker als die Brüder Grimm. Allerdings macht es hier gerade die Mischung, die diese kleine feine Ausstellung zu etwas Besonderem macht.
Daß diese Blätter nun auch noch zum Abschluß des Grimmjubiläums gezeigt werden, hat auch etwas Symbolhaftes. Dabei sind die Radierungen allein Hockneys Idee gewesen. Sehr früh, nämlich 1969, als hierzulande sich kaum jemand um Grimmsche Märchen scherte, erst recht kein bildender Künstler, legte er den Stift an, nachdem er viele Jahr - so heißt es und warum soll man es nicht glauben – alle 220 Märchen der Brüder Grimm gelesen hat!!! Sind es 220? Da weiß er schon mehr als wir, denn, wenn wir ehrlich sind, haben wir es in unserem kulturellen Gedächtnis doch immer wieder mit den selben Märchen zu tun, die auch im Filmgeschäft einschlagen. Das SCHNEEWITTCHEN UND DIE SIEBEN ZWERGE, das ASCHENPUTTEL, HÄNSEL UND GRETEL, FRAU HOLLE, das ROTKÄPPCHEN, doch da kommen noch mehr und drei der insgesamt sechs illustrierten Märchenblätter sind weithin bekannt.
Das sehen wir Rapunzel, nein, nicht nur ihr Haar. David Hockney zeichnet ja nicht ein Bild, sondern eine Folge, so daß wir das eigentliche Märchen hier an den Wänden durch die Bilder erzählen könnten, denken wir – wenn wir es denn nicht kennten. Da gibt es die größer gewordene Rapunzel, die wie eine Prinzessin aussieht, im herrschaftlichen Profil nach rechts, das dunkle Kleid mit ovalem großen Ausschnitt auf dem Boden nachschleifend, die wie ein Heiligtum eine weiße Lilie mit zwei Blüten vor sich her trägt und deren langes blondes Haar ihr nicht nur den Rücken herunterfällt, sondern sich wie ein Schleier, wie eine Schleppe noch meterlang hinter ihr herbewegt.
Ach, Sie haben den Zusammenhang vergessen und nur noch den Turm mit den bis zum Erdboden heraushängenden Haaren in Erinnerung? Ja, den Turm mit der Fensteröffnung und der sich ergießenden Haarpracht gibt es hier auch sowie weitere Zeichnungen. Aber die sind Illustrationen und keine Bildergeschichte. Deshalb ist es sehr sinnvoll, auch den Katalog im Museum mitzunehmen, besser, schon vorher zu erwerben und mit ihm die 39 Radierfolgen entlang zu gehen.Denn dann können Sie rasch die Ihnen entfallenen und erst recht die fast unbekannten Märchen nachlesen.Von der Rapunzel nachher mehr.
Denn erst einmal sollen die Märchen vorgestellt werden, die in den 39 Radierungen hier hängen. Neben RAPUNZEL ist es das ebenfalls sehr bekannte RUMPELSTILZCHEN, das MÄHRCHEN VON EINEM, DER AUSZOG DAS FÜRCHTEN ZU LERNEN und drei Märchen, die nicht sooo bekannt sind: DAS MEERHÄSCHEN, FUNDEVOGEL, und OLL RINKRANK. Warum die Illustrationen als genuiner Bestandteil von Märchen so wichtig sind, hat mit der Geschichte der Märchen zu tun, die ihren Siegeszug erst 1825 antraten, als die illustrierte Ausgabe der Brüder Grimm Märchen erschien. Der erste Band war 1812 herausgekommen, hatte aber nur einen schleppenden Verkauf.
Und es waren die Engländer, die den Erfolg einleiteten. 1823 erschien nämlich dort eine Übersetzung von dreiunddreißig Märchen, die vom Karikaturisten George Cruikshank mit zwölf Illustrationen versehen und schnell vergriffen war. Im Kapitel MÄRCHEN UND BILDER im erwähnten Katalog kann man die Geschichte des Zusammenhangs von Wort und Bild sehr ausführlich nachlesen, was zu empfehlen ist. Wir aber stehen im Museum vor den Radierungen und nehmen uns jetzt RAPUNZEL vor. Fortsetzung folgt.
Bis 19. Januar
Katalog:
David Hockney, Sechs Märchen der Brüder Grimm, hrsg. von Burkhard Kling, ursprünglich eine Ausstellung im Brüder Grimm Haus in Steinau, Jonas Verlag 2008