ilnaGÖTTINNEN DES JUGENDSTIL. Eine kurzweilige Ausstellung im Schloß Karlsruhe bis 19. Juni 2022, Teil 6

Claudia Schulmerich

Karlsruhe, (Weltexpresso) -Zurück zu Paris. Die Fuller zeigt in ihren Choreographien mit den meterlangen Seidenstoffen ein Urmotiv des Jugendstils französischer Richtung: die Rundung, die Bewegung, die fließende Linie, die Linie überhaupt. Das zeigt uns, daß wir doch noch einmal auf Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede von ART NOUVEAU und JUGENDSTIL eingehen müssen.

Doch dies in gebotener Kürze. Die länderspezifischen Bezeichnungen für diesen Stil, den eines eint: nämlich die Abkehr, ja den Widerwillen gegen den Historismus als zusammengestückelte, mehr tot als lebendige Architektur- sowie Formgeschichte! Die Franzosen nannten ihn deshalb die Neue Kunst, auch floralen Stil, die Engländer Modern Style, der auf der Arts- und Craftsbewegung aufbaute, die Italiener Liberty, die Spanier Modernismo, die Wiener Secessionsstil (weil die neue Kunstrichtung durch Austritt der Künstler aus der reaktionären Akademie durch Abspaltung die Trennung von ihr sprachlich esa.intausdrücken sollte) und die Deutschen nahmen die gleichzeitige Gründung der Zeitschrift JUGEND zum Anlaß, den ihr zugrundeliegenden neuen Stil in Architektur, Möbel, Zeichnung, Malerei etc. Jugendstil zu nennen, dessen höchste Ausprägung ein Gesamtkunstwerk in einem Stil war, in München durchaus floral gemeint, wie es dann aber die Künstlerkolonie in Darmstadt stärker auf Wiener, englische und schottische Wurzeln bezog, wobei der rührige Landgraf von Darmstadt, Fürst Ernst Ludwig dafür aus Wien den Secessionisten Josef Maria Olbrich geholt hatte, was eben auch eine Stilentscheidung war, wie sie bis heute die einzigartige Künstlerkolonie auf der Jugendstilhöhe zeigt.

Aber wichtiger als die länder- und stadtspezifischen Ausprägungen des Jugendstils war die Abkehr vom Historismus und ein neues Modell von Kunst und Leben, was man Ästhetisierung des täglichen, ja des alltäglichen Lebens nennen könnte. Das 19. Jahrhundert hatte ja erstmalig durch Industrialisierung und Massenproduktion Individuelles aus den Häusern, den Wohnungen und Haushalten vertrieben. Der Jugendstil wagnerwar ideologisch nicht historisch rückwärts gewandt, wollte aber zurück zum traditionellen Handwerk und einer individuellen und doch stilistisch einheitlichen Formensprache. Letzten Endes ist der Jugendstil der letzte Stil, der noch eine ästhetische Vereinheitlichung von Leben und Leuten in Haus, Wohnung, Möbel, Besteck u.a., Kleidung etc. wollte, aber auf Individueller Basis, wie die Wiener Werkstätten beispielsweise und wirklich auf beispielartige Weise aufzeigten. Das Ornament nahm eine wichtige Funktion ein, die die Sprachen der Natur nachbilden sollten.Und das Ornament hielt auch Einzug in den Öffentlichen Nahverkehr! Sowohl die Pariser Metro-Stationen von Hector Guimard (Foto rechts) , die noch original sind, wie auch die der Wiener S-Bahn, der Stadtbahn von Otto Wagner (Foto links), der nicht nur die Eingänge konzipierte, sondern alles, die Trassen, die Bauten..., zeigen, wie schön und wie öffentlichwirksam diese waren.  


indienUnd was ist nun mit Ilna Ewers-Wunderwald, (1875-1957), Malerin und Illustratorin? Sie gehört zu den Jugendstilfrauen, die man normalerweise heute nicht kennt , die aber damals eine Rolle spielten und in der Ausstellung aus dem Vergessen ins Licht treten. Und genau dies ist eine der Besonderheiten dieser Ausstellung, daß sie nicht nur auf den hergebrachten Wegen so typisch Jugendstiliges zeigt, sondern uns auf Künstlerinnen aufmerksam macht, die damals eine große Wirkung entfachten, auf ihre Art GÖTTINNEN DES JUGENDSTILS.

Im Katalog findet sich ein eigener Beitrag von Sven Brömsel, zwar kurz, aber aufschlußreich. Dem entnehme ich, daß sie wirklich (bis 1912) die Frau von Hanns Heinz Ewers, dem Einflußreichsten der Phantastischen Literatur ist, die eben nicht Fantasy ist! Phantastisch sieht auch die ganzseitige Abbildung im Katalog aus, die man eher als Zeichnung denn als Gemälde ansieht, eine sehr disziplinierte Horror Vacui Version von totaler Ornamentik in Goldgrundierung und das Ganze auf perspektivisch angeordneten weiß-schwarzem Bodenkacheln.Das Ganze sieht indisch aus, soll es auch, in der Mitte eine Göttin wie mit Pfauenrädern und rechts und links Assistenzfiguren: zwei Frauen, die auch einfach jugendstilig aussehen, aber noch einmal: nicht im floralen Stil! Der Stil erschließt sich sofort, auch die Tusche, Feder auf Goldgrund, aber der Inhalt nicht. Es ist die Göttin Kali, Symbol für den Tod und ekstatischen Tanz, der sich die Künstlerin selbst als Dienerin andient. Dieses Bild und andere sind Ergebnis ihrer Indienreise von 1910, zusammen mit ihrem Mann. 

In der Ausstellung wird sie als Freigeist vorgestellt, die sich nicht nur theoretisch und verbal gegen herkömmliche Konventionen wendete, sondern sich beispielsweise schon zwanzig Jahre, bevor dies Mode wurde, in Männerkleidung mit Kurzhaarschnitt und Rauschmitteln öffentlich zeigte. Allerdings hat schon 50 Jahre zuvor der Wiener Maler Johann Baptist Reiter eine ähnliche Avantgarde-Dame auf Leinwand verewigt. Ilna Ewers-Wunderwald war zudem vielseitig, neben Bildender Künstlerin war sie auch Kabarettistin und Übersetzerin. Ihre Vielseitigkeit hinderte nicht ihr Vergessen, wobei man hinzufügen muß, daß das Dritte Reich nicht unbedingt Frauenförderung und schon gar nicht ihr Sujet förderte. Daß sie überhaupt unter dem staatlichen Radar blieb, ist schon überlebenswichtig. 

Ilna Ewers-Wunderwald ist 1875 in Düsseldorf geboren und gehört zu den wenigen, die im Dritten Reich von den Nazis Verfolgten am Bodensee half, wo sie 1957 in Allensbach starb. Nimmt man es ernst, ist sie ihrer Zeit in ihren künstlerischen Mitteln voraus. Ja, schon, Jugendstil, aber doch in psychedelischer Ausformung, wie es eigentlich erst die 70er Jahre brachten. Dann lese ich, daß sie erst durch eine Ausstellung 2019 im Berliner Bröhan-Museum wiederentdeckt wurde.

Das ist schön, daß es erstens überraschende Wiederentdeckungen gibt und zweitens, diese auch sofort in Folgeausstellung wie dieser weiterwirken.

Fortsetzung folgt

Fotos:
©Badisches Landesmuseum
 
Info:
18.12.2021 –19.6.2022
„Göttinnen des Jugendstils“
Sonderausstellung, Schloss Karlsruhe
Di – So, Feiertage 10 – 18 Uhr,
25. und 31.12. geschlossen, 1.1. ab 13 Uhr geöffnet
12 Euro, erm. 9 Euro, Kinder 4 Euro
www.landesmuseum.de
Es gibt einen Katalog, den wir noch vorstellen