Katharina Klein
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Nach technischer Runderneuerung des Gebäudes präsentiert das MGGU – Museum Giersch der Goethe-Universität zu seiner Wiedereröffnung eine umfassende Retrospektive der Frankfurter Fotografinnen Nini (1884–1943?) und Carry Hess (1889–1957). Ihre in Zeitungen, Illustrierten und Büchern, als Autogrammkarten oder als Sammelbilder in Reklamealben vielfach publizierten Fotos prägten die populäre Bildpublizistik der 1920er Jahre entscheidend mit – insbesondere ihre beeindruckenden Aufnahmen moderner Frauen.
Die Ausstellung ist vom 11. März bis 22. Mai 2022 zu sehen. Mit ca. 120 Originalfotografien von 27 Leihgebern – von öffentlicher und von privater Seite – rekonstruiert die Ausstellung erstmalig Leben und Werk der beiden Schwestern, deren Fotoatelier zu den renommiertesten Adressen seiner Art in der Weimarer Republik zählte, heute aber nahezu vergessen ist. „Mit dieser Ausstellung knüpfen wir an die Tradition unseres Museums an, indem wir erneut den Fokus auf bislang weniger beachtete Künstlerinnen und Künstler lenken. Das beeindruckende fotografische Werk von Nini und Carry Hess lohnt die Entdeckung“, so Birgit Sander, Direktorin des MGGU.
Das Atelier Hess, seit 1913 in bester Lage am Rathenauplatz ansässig, war zunächst spezialisiert auf Porträtfotografien. Im Laufe der 1920er Jahre zählten dann zahlreiche Prominente wie Max Beckmann, Alfred Döblin, Paul Hindemith, Thomas und Katia Mann oder Mary Wigman zur Kundschaft der Fotografinnen. Renommee weit über ihre Heimatstadt Frankfurt hinaus erlangten die beiden Frauen auch durch ihre Theater-, Architektur-, Mode- und Aktfotografien. Gut vernetzt, erfolgreich und selbständig verkörperten die beiden Fotografinnen selbst den Typus dieser unabhängigen und engagierten „Neuen Frau“ der Weimarer Republik.
Aufgrund ihrer jüdischen Herkunft wurden Nini und Carry Hess Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung. In der Reichspogromnacht 1938 zerstörten SA-Trupps ihr Atelier und vernichteten dessen gesamte Ausstattung und das Archiv. Nini Hess wurde in Auschwitz vermutlich 1943 ermordet. Ihre Schwester Carry, die nach Frankreich emigriert war, starb 1957 in Chur (Schweiz) nach einem entwürdigenden Kampf um finanzielle „Wiedergutmachung“, die ihr kurz zuvor gewährt worden war.
Zur Ausstellung
Die Ausstellung folgt einem thematisch strukturierten Rundgang. Sie beginnt mit einem chronologischen Einstieg und den frühen Jahren des Atelier Hess‘ nach dessen Gründung 1913. Alsbald feierten beide Fotografinnen Erfolge mit einem neuen, individuellen Porträtstil, der die Dargestellten psychologisch zu durchdringen vermochte und den sie fortan gekonnt weiterentwickelten. Die Entfaltung dieser Produktivität war eng mit der Einbindung beider Frauen in das pulsierende kulturelle Leben Frankfurts jener Zeit verbunden – schon bald entwickelte sich das Atelier Hess zu einer Art Salon, in dem sich Kulturschaffende versammelten und so den Radius der Kundschaft immer mehr erweiterten. Der Rundgang der Ausstellung setzt sich fort mit Räumen zur Porträt-, Theater-, Tanz- und Aktfotografie – gegliedert nach diesen Gattungen. Ein besonderer Akzent liegt dabei auf dem theaterfotografischen Schaffen, mit dem Nini und Carry Hess das innovative Bühnengeschehen in Frankfurt festhielten – ihre Theaterfotografien stellen ein kongeniales Pendant zum „Frankfurter Expressionismus“ im Theater dar.
Die Ausstellung setzt im Folgenden einen weiteren Akzent auf der vielfältigen medialen Weiterverbreitung der Fotografien von Nini und Carry Hess: Gezeigt werden Beispiele in Illustrierten, Zeitungen, Büchern, Reklamealben oder als Autogrammkarten. Diese bildpublizistische Arbeit stellte eine wichtige Einnahmequelle beider Fotografinnen dar, sie steigerte nochmals erheblich die Popularität und Bekanntheit des Ateliers. Mit dem Blick auf das persönliche Schicksal von Nini und Carry Hess, auf ihre Verfolgung und Vernichtung durch die Nationalsozialisten endet die Ausstellung. In diesem Kontext thematisiert sie auch den Umgang in der Nachkriegszeit mit der durch die Verbrechen der Nationalsozialisten bedingten Schuld und verweist auf Initiativen in der jüngeren Gegenwart zur Erinnerung an das Leben und Schaffen der Fotografinnen.
Ausstellung und Katalog basieren auf intensiven, langjährigen Recherchen und leisten einen bedeutenden Beitrag zur Aufarbeitung der Geschichte des Frankfurter Kulturlebens während der Weimarer Republik. Sie schließen ein wichtiges, bislang jedoch kaum beachtetes Kapitel der Kunst- und Kulturgeschichte. Zugleich bereichert diese erstmalige differenzierte Aufarbeitung und Präsentation des fotografischen Werks von Nini und Carry Hess auch die Geschichte der Fotografie. Als das Museum der Goethe-Universität sehen wir es zudem als unsere besondere Aufgabe an, dem Publikum zu vermitteln, wie grundlegend wichtig Forschung und Wissenschaft für unsere Erinnerungskultur sind. Zur Ausstellung werden vielfältige Bildungs- und Vermittlungsangebote in analoger und digitaler Form angeboten.
Kurator und Kuratorin der Ausstellung: Eckhardt Köhn und Susanne Wartenberg
Foto:
©dw.com
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