Hanswerner Kruse & Hannah Wölfel
Berlin (Weltexpresso) - In der Berliner Alten Nationalgalerie begann vor kurzem eine kleine Ausstellung, keine Retrospektive, mit der Absicht den Mythos des Künstlers Paul Gauguin (1848 - 1903) zu „dekonstruieren.“
In einem Saal sind mehrere typische Gemälde Gauguins aus seiner Tahiti-Zeit am Ende des 19. Jahrhunderts zu sehen: Auf zwei Bildern hocken dunkelhäutige Frauen mit mürrischen Gesichtern auf einem farbigen Boden (Bild oben). Daneben, im Werk „Die Vergnügungen des Bösen Geistes“, sitzt eine der Frauen auf der bunten Erde. Ihre Gesichtszüge sind streng, sie sieht ärgerlich aus, eine andere Indigene liegt abgewandt von ihr, die Haare bedecken das Gesicht. Ein düsteres Wesen, der böse Geist vor dem sich die Eingeborenen einst fürchteten, beobachtet die beiden. Durch die vage angedeutete Landschaft schlängelt sich diagonal etwas unheimlich Schwarzes. Dadurch deutlich abgetrennt sieht man schemenhaft tiefer im Bild spärlich bekleidete Gestalten. Vermutlich hat Gauguin damit das Paradies angedeutet, das er in Tahiti suchte, aber nicht mehr vorfand.
Seine indigenen Frauen auf allen Bildern wirken kräftig und rundlich, bekleidet sind sie oft mit grellbunter aber westlicher Kleidung. Sie sind nicht sexualisiert, ihre sinnliche Anmutung entsteht durch Gauguins flächig aufgetragene, unwirkliche Farbmodulationen. Er malte nicht naturgetreu, seinen leicht abstrahierten Kompositionen liegen eigene Erlebnisse zugrunde. Mit seinen neu entwickelten künstlerischen Mitteln drückt er Fantasien, verlorene Träume und Gefühle aus.
Auf diesen in der Südsee gemalten Bildern propagiert Gauguin keine Kolonialreklame, wie ihm die Ausstellungsmacher pauschal unterstellen. Stattdessen ist vielen seiner Werke die ästhetische Kritik am Kolonialismus immanent. Aus seinen Schriften weiß man außerdem, dass er von der französischen Besatzung kaum profitierte, sondern in bitterer Armut lebte. Sein Widerstand gegen das „ekelerregende Schauspiel“ der Kolonialisten und Missionare brachte ihm viel Ärger ein, ihm drohten Strafen und Gefängnis.
Dennoch prangt in der Ausstellung neben seinen Gemälden der gehässige Vorwurf: „Imperialistische Nostalgie“. Während „sich die Künstler des beginnenden 20. Jahrhunderts auf das Meer des nie Geahnten wagten“ (Adorno), bemüßigen sich heute postkoloniale Kunstrichter, Gauguins fehlende Abbilder der kolonialen Wirklichkeit
aufzudecken.
„Ich versuche, der verfaulten Zivilisation etwas Natürlicheres
gegenüberzustellen, das der Wildheit entspricht.“
gegenüberzustellen, das der Wildheit entspricht.“
Paul Gauguin
Der Künstler schuf keine „verklärten Bilder“, so der Vorwurf, und wollte kein verlorenes Paradies zurück. Sein neuer Stil ist nicht die Kopie einheimischer Folklore, keine „kulturelle Aneignung“ wie man ihm jetzt unterstellt. Bereits Jahre zuvor, in der französischen Bretagne, entwickelte er ähnlich eigenwillige, wenn auch nicht so farbige Malereien. Gauguin wollte nichts abbilden oder gar imitieren, sondern er wollte selbst ein „Wilder“ werden, um aus sich heraus Neues, Unbekanntes, noch nicht Dagewesenes zu schaffen. Er gerierte sich durchaus als amoralischer Unhold, konnte aber nur deshalb, wie er glaubte, seine individuelle innovative Kunst entwickeln.
Ansonsten werden allerlei überraschende keramische Arbeiten Gauguins präsentiert sowie mehrere ältere Bilder. Gleichsam um ihn herum wird mit Texten und Illustrationen die einstige Verklärung der „kindlichen Eingeborenen“ im 18. Jahrhundert und ihre Zurschaustellung durch die Kolonialmacht auf der Pariser Weltausstellung 1878 dokumentiert. Ein Raum ist vollgestopft mit später entstandenem Südseekitsch voller „Hula-Mädchen“ und Palmen. Die zeitgenössische Auseinandersetzung mit dem Künstler wird ebenfalls versucht: Zwei weiße Filmemacherinnen lassen in Videos, von ihnen als "passiv“ bezeichnete Indigene auf Gauguins Bildern, durch Models aufstehen und lebendig werden. Und eine prominente tahitianische Moderatorin konfrontiert im TV einige Landsleute undefinierbaren Geschlechts mit seinen Bildern, die denen aber erstaunlicherweise gut gefallen.
Soll man diese Ausstellung überhaupt besuchen?
„Why are you angry?“,
warum bist Du ärgerlich,
heißt die kleine Ausstellung. Der Titel stammt von einem Südsee-Bild Gauguins, das nicht gezeigt wird.
heißt die kleine Ausstellung. Der Titel stammt von einem Südsee-Bild Gauguins, das nicht gezeigt wird.
Ja, die Ausstellung ist ärgerlich:
Bereits zu Lebzeiten erboste sich der künstlerisch nicht anerkannte Gauguin über das „Geschrei“ zu seinen Bildern, die Nazis verachteten seine Arbeiten als „entartete Kunst“ und heute gibt es wieder ein Geschrei der selbsternannten „kritischen Kunstgeschichte“ - nicht nur zu seinen Arbeiten. Auch den Künstlern der Brücke, etwa Max Pechstein oder Karl Schmid-Rottluff, wurde vor kurzem im Berliner Brücke-Museum Rassismus und imperialistische Propaganda unterstellt. Diese „postkolonialen Gegenstimmen“ (Katalog) sind oft mangelhaft recherchiert, ideologisch überladen und haben mit Kunstkritik nichts zu tun.
Jedoch die alte Nationalgalerie auf der Berliner Museumsinsel ist allemal einen Besuch Wert. Dort kann man dann auch die immer noch spürbare Kraft der Kunst Gauguins erleben.
Foto:
Oben: Tahitianische Frauen © RMN-Grand Palais (Musée d'Orsay), Foto: Patrice Schmidt | Bridgeman
Mitte: Arearea no Varua Ino (Die Vergnügungen des Bösen Geistes) © Ny Carlsberg Glyptotek
Unten: The Woman with the Flower (c) Ny Carlsberg Glyptotek
Info:
Ausstellung „Paul Gauguin: Why Are You Angry?“, Alte Nationalgalerie Berlin noch bis 10. Juli
Katalog „Paul Gauguin - Why Are You Angry?“, mit zahlreichen Abbildungen sowie Text in deutscher oder englischer Sprache: 160 Seiten, 28 Euro
Mitte: Arearea no Varua Ino (Die Vergnügungen des Bösen Geistes) © Ny Carlsberg Glyptotek
Unten: The Woman with the Flower (c) Ny Carlsberg Glyptotek
Info:
Ausstellung „Paul Gauguin: Why Are You Angry?“, Alte Nationalgalerie Berlin noch bis 10. Juli
Katalog „Paul Gauguin - Why Are You Angry?“, mit zahlreichen Abbildungen sowie Text in deutscher oder englischer Sprache: 160 Seiten, 28 Euro