Serie: Tutanchamun in Frankfurt am Main, Teil 3/5
von Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Erst beim Zusammenfassen des ersten halbstündigen Vortrags von Professor Wilfried Seipel am Abend des Ersten Freitags im Dezember, mit dem die Reihe der Abende und der Vorträge innerhalb der großen Tutanchamunschau begann, fällt einem dann im Nachhinein auf, wieviel Stoff geboten wurde. Wieviele seiner Zuhörer auch um 21 Uhr, dem zweiten Vortrag, erneut dabei waren, können wir nicht überblicken, auf jeden Fall waren die Reihen voll. Dazwischen und davor und danach kann man die Ausstellung selber anschauen, die ja Anlaß der Vortragsreihe ist.
Der zweite Vortrag stand ganz unter der Fragestellung, warum uns das Alte Ägypten derart interessiere, daß Ausstellungen, Filme, Bücher, Reisen und selbst das Schminken und die Mode einen solchen Zulauf finden und die Pharaonen als Symbolfiguren der ägyptischen Kulturgeschichte dienen. Daß dies keine moderne Errungenschaft sei, zeige schon die Ägyptomanie des 19. Jahrhunderts. Das sozusagen ist Allerweltwissen.
Daß aber diese nachgetragene Ägyptophilie schon antike Wurzeln hat, war für viele neu. Wilfried Seipel sprach von der „Grand Tour“ der griechischen Philosophen nach und durch Ägypten. Auch der Gesetzgeber Solon war auf jeden Fall dort und unsere Ägyptenrezeption prägt bis heute, was Herodot Mitte des 5. Jahrhunderts als Reiseschriftsteller über die Sitten und Gebräuche Ägyptens niederschrieb.
Wie sehr das Christentum durch Übernahme des Alten Testaments den Kontext Europa und Ägypten fortsetzte, zeigt dann das Mittelalter, was die Renaissance erneuerte und mit dem aus Kassel stammenden Athanasius Kirchner für das Barock Hochzeit feierte. Die wenigen Worte, die Seipel unter dem Stichwort Mysterienwelt Ägyptens zu Kirchner ausführte, lassen hoffen, daß es über diesen für die Ägyptologie so bedeutenden Mann einen eigenen Vortrag geben wird. Er hatte nicht nur als erster Grundlagen der Hieroglyphen entschlüsselt, die für Champollion die Voraussetzung zur Entzifferung wurden, sondern auch als erster erkannt, daß die koptische Sprache eine altägyptische sei, von der er annahm, daß schon Adam und Eva so gesprochen hätten. Die späte altägyptische Sprache erlernte er und verfaßte als erster deren Grammatik.
Ägyptische Sprache und Schrift standen dann auch im Mittelpunkt der Ausführungen Seipels, der nachwies, wieviel wir beidem verdanken, vom Kalender und astronomischen Untersuchungen bis hin zum Mönchstum. Warum allerdings die ägyptische Kunst unsere Ästhetik, unsere Anschauungen vom Schönen so bestimme, sei nur als Antwort eindeutig, nämlich, daß es so sei. Wilfried Seipel trug dann Lebensweisen und Lebensweisheiten von vor 4 500 Jahren vor – „Mit dem Ellbogen erreicht man nichts – und zeigte mit den damaligen Liebesgedichten nicht nur die hervorragende Stellung der Frau auf, sondern eben auch, daß es keinerlei hermeneutische Probleme beim Verständnis dieser Liebeslyrik gibt.
Für den Ägyptologen Seipel liegt die Botschaft des Alten Ägypten in der Tatsache, daß sich die Weltgeschichte in ihr wie in einem Reagenzglas unter einem Vergrößerungsglas spiegele, als Reflektion nämlich unserer eigenen Gedanken. Zwischen den beiden Vorträgen nutzten wir die Zeit zu einem Gespräch, deren Beantwortung der uns wichtigsten Fragen Sie hier lesen.
Fragen an den Vortragenden:
Herr Seipel, warum kann man diese Ausstellung empfehlen?
Sie bietet die einzigartige Möglichkeit, einen Gesamtüberblick über den Grabschatz des Tutanchamun zu bekommen. Über tausend Repliken - mit äußerster Qualität hergestellt, in Ägypten übrigens - zeigen den Schatz des Tutanchamun besser als es im Ägyptischen Museum der Fall ist. Natürlich die Replik ist etwas anderes als das Original. Aber wenn man jetzt auf den dokumentarischen Charakter, auf den Gesamteindruck abzielt, dann ist das – glaube ich – eine ideale Möglichkeit, auch für Jugendliche vor allem, sich mit dem Alten Ägypten zu beschäftigen.
Sie sind Ägyptologe. Ihre Studienzeit liegt schon etwas zurück. Gibt es seit damals neue Erkenntnisse und welche sind das?
Also, die Grundlinien des Ägyptenverständnisses haben sich nicht sehr geändert. Aber es ist natürlich eine Fülle von neuen Texten dazugekommen, vor allem die ptolemäischen Tempelinschriften sind neu ediert worden. Wir wissen alle jetzt sehr viel mehr über die Religion der Spätzeit, sehr viel mehr über die Sprache der Spätzeit, das sogenannte Neuägytische und die inzwischen als eigene Wissenschaften abgespalteten Zweige der Ägyptologie, wie die Demotistik oder auch die Koptologie haben heute neue Felder entwickelt, erobert könnte man fast sagen, die für das 7. und 6. vorchristliche Jahrhundert auch mehr Aussagen machen lassen über die Bevölkerung, über ihre Lebensumstände, über die Verwaltung und anderes mehr.
Wenn diese Ausstellung Originale hätte und wir eines verschenken dürften, welches Exponat wollten Sie?
Das ist schwierig. Ich finde sie alle wunderschön. Ich würde mich für eine dieser Tutanchamunstatuen entscheiden, wo der Pharao auf einem Boot steht mit der Harpune, das ist glaube ich jene Statue, die bei dem Einbruch ins Ägyptischen Museum am Tahrirplatz gestohlen wurde.
Bis zum Sommer 2012
HÖRZU WISSEN FORUM
Mainzer Landstraße 124/Güterplatz
Info:
Jeden ersten Freitag im Monat ist die Ausstellung von 19 Uhr bis Mitternacht geöffnet und es finden sowohl wissenschaftliche Vorträge wie auch Kurzvorträge und Führungen sowie Galeriegespräche rund um Tutanchamun und das Alte Ägypten statt. Am 2. Dezember kommt der Ägyptologe Wilfried Seipel, bekannt als Ex-Direktor des Kunsthistorischen Museum Wiens (KHM).
Es gibt darüberhinaus ein Festival der ägyptischen Kultur in Frankfurt, auf dem Autoren, Filmemacher, Musiker und zeitgenössische Kunst aus Frankfurts Partnerstadt seit 1979: Kairo zu Gast in Frankfurt sind und über das die Oberbürgermeisterin Petra Roth Schirmherrin ist.
Das gesamte Festivalprogramm, zu dem Ausstellungen, Lesungen, Vorträge. Ägyptisches Kino im „Cinema“ u.a. gehören, findet man unter
www.tut-ausstellung.com/frankfurt/veranstaltungskalender.html
Der Zufall oder die Vorsehung will es, daß Frankfurt und rundherum in den nächsten Monaten tatsächlich Frankfurt am Nil heißen kann, denn es gibt verschiedene Aktivitäten, vor allem aber zwei herausragende Ausstellungen, die beide Italien zu verdanken sind.
Bis zum 26. Februar 2012 findet im Archäologischen Museum in Frankfurt die „Reise in die Unsterblichkeit. Ägyptische Mumien und das ewige Leben statt. Eine wunderbare Ausstellung der florentiner Funde, über die wir berichtet hatten:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/199-der-tod-als-lebensversicherung
Das Historische Museum Speyer zeigt MEISTERWERKIE AUS DEM ÄGYPTISCHEN MUSEUM TURIN vom 11.3. bis 2.9. 2012, wobei die Pfälzer wieder einer Kinder- und Jugendausstellung hinzugeben ÄGYPTENS SCHÄTZE ENTDECKEN zum selben Zeitpunkt. Wir werden darüber berichten.
Erster Teil der Serie:
http://weltexpresso.tj87.de/index.php/kunst2/229-keine-originale-und-doch-echt
Zweiter Teil der Serie: