LYONEL FEININGER. “RETROSPEKTIVE", 27. Oktober bis 18. Februar 2024 in der Schirn Frankfurt , Teil 2
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Schirn-Kuratorin Ingrid Pfeiffer, die insbesondere für ihre aufsehenerregenden Ausstellungen von weiblichen Künstlern bekannt wurde, mußte sich sozusagen ihrem Ruf folgend rechtfertigen, weshalb sie sich jetzt mit Feininger beschäftige. Gerade, daß er seit 25 Jahren – die letzte 1998 in Berlin und München - keine Retrospektive gehabt habe, sei für sie ausschlaggebend gewesen, denn inzwischen sind Werkgruppen wie die 20 000 Fotografien aufgetaucht, u.a., von denen früher nicht gesprochen wurde und für sie sei Feininger heute der „bekannteste Unbekannte“. Es sei ähnlich gewesen, wie die von ihr kuratierte Modersohn-Becker-Schau, die sie auch in ihrer Ausstellung in der Schirn neu zu entdecken vermochte.
Auch das Privatleben von Feininger ist eben nicht nur privat. Er hatte 1901 die Pianistin Clara Fürst geheiratet, was in der musikalischen Tradition der Familie lag, hatte mit ihr zwei Töchter, aber 1905 die ebenfalls verheiratete Julia Berg (1881-1970) kennengelernt, beide trennten sich sofort von den jeweiligen Ehepartnern, heirateten, lebten und arbeiteten auf Augenhöhe, bekamen drei Söhne und blieben bis zum Lebensende zusammen. Julia war eine geborene Lilienfeld, also Jüdin, weshalb die Feiningers zu ihrem Schutz 1936 in die USA übersiedelten. Zuvor hatten sie ein europäisches Leben geführt, zusammen in Weimar Naturstudien betrieben, sie überredete ihn erst, druckgraphische Techniken auszuprobieren und dann zur Malerei, die sie selbst studierte. 1906 arbeiteten und lernten sie in Paris weiter, wo Andreas Feininger, selbst dann bekannter Fotograf, geboren wurde, es folgten die Söhne Laurence, Musikwissenschaftler und katholischer Priester, und Theodor Lukas, ebenfalls Fotograf und Maler.
1906 hatte das Paar in Paris Robert Delaunay und Henri Matisse kennengelernt. Er lernt dessen Eiffelturmserie kennen, bewundert diese und die kunsttheoretischen Hintergründe, sei es Futurismus, Rayonismus, Kubismus, was in der Abbildung ein bewegtes Bild ergibt, eine Momentaufnahme (Konkurrenz zur Fotografie), ein Verhuschtsein, geboren aus der Schnelligkeit der Bewegung. Doch hatte seine Bewunderung keine künstlerischen Folgen für ihn selber, denn die Malweise des gerade zum Maler avancierten Feininger ist eine völlig andere.
1907 hatte er DER WEIßE MANN – in der Ausstellung zu sehen! - gemalt, eine absolut schräge Malerei, wortwörtlich, weil die Figuren immer irgendwie schräg in der Luft hängen und übertragen auch, weil ihre Gestalt nicht realistisch dargestellt, sondern vergrößert, verkleinert, geschrumpft, aufgeblasen, geviertelt, viereckig, verschachtelt, verschoben und gerastert ist. Und das noch mit verschobenen Perspektiven. Er löst sich von der Abbildhaftigkeit der Welt. Es kommt noch etwas dazu, was in der Ausstellung bei so vielen Gemälden buchstäblich ins Auge springt: die Farben. Alle Maler seiner Zeit nutzen Primärfarben, er aber mischt die Farben und bekommt zum einen ein giftiges Gelb, ein sanftes Blau, ein melancholisches Grün, viele Farbschattierungen und zum anderen eine Farbfläche, die wie Kreidemalerei aussieht, nicht wie Ölfarbe auf Leinwand. Dazu noch mehr in der Ausstellung selbst.
Fortsetzung folgt.
Foto:
Lyonel Feininger, Selbstbildnis, 1915, Öl auf Leinwand, 100,3 x 80 cm, The Museum of Fine Arts, Houston, Ankauf des Museums finanziert durch den Caroline Wiess Law Accessions Endowment Fund, 2014.756
© The Museum of Fine Arts, Houston / VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Info:
Informationen über den im Verlag Hirmer erschienenen Katalog folgen