HOLBEIN UND DIE RENAISSANCE IM NORDEN, bis 18.Februar im Frankfurter Städel, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Nun ist es ja nicht so, als ob Jochen Sander, Prof. an der Frankfurter Uni, Stellvertretender Direktor und Sammlungsleiter für Deutsche, Holländische und Flämische Malerei vor 1800 am Städel sowie Kurator dieser Ausstellung, ein Neuling wäre auf diesem Gebiet. Unter Fachleuten gilt sein Katalog zur von ihm konzipierten Ausstellung DIE ENTDECKUNG DER KUNST. Niederländische Kunst des 15. und 16. Jahrhunderts in Frankfurt 1995 in der Tat als Meilenstein, wurden doch hier zum ersten Mal in Deutschland die kunstwissenschaftlichen Erfordernisse mitsamt Provenienz in einem Katalog angewandt, die heute Standard sind.
Damals fragten wir ihn in einem langen Interview nach der Profession des Kunsthistorikers. Er antwortete: „Wenn Sie mich persönlich fragen: Kunstgeschichte hat zwei Wortbestandteile, Kunst und Geschichte., Sie können entweder sagen, ich bin Kunsthistoriker oder ich bin Kunsthistoriker. Ich selber würde für mich immer sagen, ich bin Kunsthistoriker. Mich interessiert in der zurückliegenden Kunst die Besonderheiten zu erkennen, historische Bedingtheiten zu fassen versuchen und aus der Verfremdung einerseits und dem Wiedererkennen andererseits zu sich selber, zur Gegenwart zu finden. Was mich als Kunsthistoriker, der im Bereich der Malerei arbeitet, spezifisch interessiert, ist die Möglichkeit ...einem Künstler nachträglich in seinem Schaffensprozeß am jeweiligen Bild über die Schulter zu gucken, rekonstruieren zu können, wie er vorgeht und fundamentale Gestaltungsveränderungen in der Ausführung festzustellen, die Sie dann interpretieren können, in dem Sie sich fragen: Warum tut er das?“
Liest man das heute, 18 Jahre später, ist man mittendrinnen in der neuen Ausstellung, die zwar auch wunderbare Bildnisse bringt und einfach den Schönheitssinn anspricht und – ja, so muß man es sagen – einen deshalb glücklich macht, die aber im tiefsten Sinn eben eine kunstgeschichtliche Ausstellung ist, nicht nur eine über Künstler und seien sie so einzigartig wie die beiden Hans Holbeins, Vater (1464-1524) und Sohn (1473–1531) oder eben auch der bis heute weithin unterschätzte und nur den Kennern als Heroe bewunderte Hans Burgkmair (1473-1531). Denn RENAISSANCE IM NORDEN zeigt uns eine Kunst, die sich aus ihrer Zeit heraus neu erfindet, die auf der Basis bewährter Techniken auf die Entwicklung der Gesellschaft reagiert, wo mit dem städtischen Bürgertum sich eine neue Schicht etabliert, die sich gerne mit Bildern an der Wand schmückt, auch mit ihren eigenen. Daß die Kunst dennoch dem Kult, der Verherrlichung des Göttlichen in vielen Facetten weiterhin dient und die Kirche als Auftraggeber wichtig bleibt, gilt so lange, bis die heute als Begriff bemühte Zeitenwende wirklich eintritt.
Nach dem Ende von Ostrom, dem Fall von Byzanz, der Eroberung des christlichen, Griechisch sprechenden Konstantinopels 1453 durch die muslimischen Osmanen, floh ein Strom von Gebildeten und Gelehrten nach Westen, die meisten nach Venedig und Ravenna, wie Kardinal Bessarion, im Gepäck die gelehrten Schriften und die Klassiker der Antike, was in Verbindung mit dem seit 1450 durch Gutenberg erfundenen Buchdruck zu einer ungeheuren Flut an Übersetzungen aus dem Griechischen führte, was in Venedig dann zur Sache des Aldo Manutius wurde, dem bedeutsamsten Drucker, wie überhaupt Venedig damals das Mekka der Erneuerer war und Anziehungspunkt für Kunst und Wissenschaft.
Wenn wir oben von Jochen Sanders Ausstellung ENTDECKUNG DER KUNST mittels der Niederländer, denen aus den Niederen Landen, sprachen, so führt er seinen damaligen Ansatz nun für die Oberen Lande fort, denn Augsburg war der Knotenpunkt zwischen Nord und Süd, schaut man sich das auf der Karte an, so geht es von Augsburg über Tirol und das Trentino direkt nach Venedig. Sander selbst spricht von Augsburg als dem Hotspot des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation. Und das hat mindestens zwei Gründe. Augsburg war seit der Regierung des Rudolf von Habsburg als römisch-deutscher König als Stadt der Hoftage, später Reichstage noch wichtiger geworden. Später wird Augsburg sogar die Stadt der Reformation und auch selbst protestantisch werden, denn dort bekennen sich die protestantischen Reichsstände auf dem Reichstag (Karl V.) am 25. Juni 1530 zum Augsburger Bekenntnis (Confessio Augustana) und auf dem Reichstag 1555 zum Augsburger Religionsfrieden (Ferdinand II.)
Daß in Augsburg so gehäuft die Reichstage stattfanden, hat hauptsächlich mit den Fugger zu tun, die wie die Welser zu den wichtigsten Finanziers Europas wurden. Erstere hatten sich aus vielfachen gewinnbringenden Unternehmungen (Bodenschätze, Fernhandel der Luxusgüter) zum wichtigsten Finanzier des Kaisers gemausert, in der Ausstellung kommt Jakob Fugger der Reiche vor, der damals der bedeutsamste Unternehmer und Bankier Europas war. Seine Bildnisse von Dürer und Lorenzo Lotto und der Farbholzschnitt von Hans Burgkmair sind bekannt, zwei davon sind in der Ausstellung zu sehen, eine Zeichnung von Holbein d.Ä. gibt es nur in Wien, denn das Kunsthistorische Museum Wien hat diese Ausstellung zusammen mit dem Städel gestemmt. .
Die sind die äußeren Bedingungen, zu denen die Augsburger Maler-Familien Holbein und Burgkmair als entscheidende Faktoren zum Aufblühen der Kunst hin zur Renaissance führen. Und dies nicht als reine Bilderausstellung, sondern im Kontext mit, ja Abhängigkeit von der Stadt Augsburg uns vor Augen zu führen, ist die kunsthistorische Tat des Jochen Sander, die man nicht hoch genug bewerten kann. Ein Meilenstein eben.
Fortsetzung folgt.
Foto:
Jochen Sander auf der Pressekonferenz
©Redaktion
Info:
Eine Ausstellung des Städel Museums, Frankfurt am Main und des Kunsthistorischen Museums Wien
Ort: Städel Museum, Schaumainkai 63, 60596 Frankfurt am Main
Tickets: Di–Fr, Sa, So + Feiertage 18 Euro, ermäßigt 16 Euro; Dienstags-Special: jeden Dienstag 15.00–18.00 Uhr 9 Euro; freier Eintritt für Kinder unter 12 Jahren. Gruppen ab 10 regulär zahlenden Personen: 16 Euro pro Person. Für alle Gruppen ist generell eine Anmeldung unter Telefon +49(0)69-605098-200 oder Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein! erforderlich.
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