Eine Ausstellung im Jüdischen Museum Frankfurt am Main
Corinne Elsesser
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Silbrig glänzende Objekte stehen im fahlen Mondlicht des Ausstellungsraums im Jüdischen Museum in Frankfurt. Sie muten fremd an, wie Artefakte aus einer anderen Zeit. Hinter einer Wand, die den Ausstellungsraum in zwei Bereiche trennt, stehen Vitrinen, die wie aus der Zeit gefallen an Schaukästen naturhistorischer Museen erinnern.
Die aus Warschau gebürtige Architektin, Künstlerin und Politikwissenschafterin Dr. Natalia Romik stellt ihr Forschungsprojekt zu einem Aspekt jüdischer Geschichte in Osteuropa vor. Es sind Verstecke, die während des 2. Weltkriegs vielen Juden in Polen und in der Westukraine als Unterschlupf dienten. Romik hat neun von ihnen aufgespürt, zu ihrer Entstehung recherchiert und die einstigen Bewohner und deren Nachfahren befragt. Fundstücke, Tagebuchnotizen, Briefe, Fotos werden gezeigt, aber auch eindrucksvolle 3D-Scans und endoskopische Aufnahmen vom Inneren dieser Räume, die häufig nicht mehr zugänglich sind. Hohle Bäume, Höhlen, Kanalisationsgänge, Keller oder ein Grab auf einem Friedhof in der Okopowa-Strasse in Warschau.
Auf den ersten Blick wirken die Bronzeobjekte frei geformt. An ihrer Schauseite sind sie mit Blattsilber überzogen, die Rückseite zeigt dagegen das roh belassene Material des Abgusses. Die Objekte bilden reale Architekturelemente ab, jeweils den Eingang eines Verstecks: Ein Stück einer Wand, eine Schranktür, ein Loch im Parkettboden eines Wohnhauses. Architektur ist hierbei nur das, was sichtbar blieb, die Räume selbst liegen im Dunkel und durften auch nicht als solche erkannt werden. Die Künstlerin weist damit auf die überlebenswichtige Unsichtbarkeit der Verstecke hin und der Glanz des Silbers verstärkt dies noch, da er die konkreten Umrisse verunklärt und die unmittelbare Umgebung widerspiegelt.
Nicht nur wird ein Aspekt jüdischer Geschichte während des Nationalsozialismus, der gemeinhin nicht im Fokus geschichtswissenschaftlicher Untersuchungen steht und wenig erforscht ist, ins Licht gerückt. Beeindruckend ist die ästhetische Umsetzung des Themas, die Romik vornimmt. An ihren Skulpturen bleibt stets die Intention für die künstlerische Form konstitutiv, das Architekturfragment öffnet den Blick ins Dunkel seiner historischen Entstehungsumstände.
Kuratiert wurde die Ausstellung von Dr. Kuba Szreder, Dozent für Kunsttheorie an der Akademie der Bildenden Künste in Warschau, und Stanislaw Ruksza, Dozent an der Kunstakademie in Szczecin (Stettin). Beide sind Teil eines interdisziplinären Forschungsteams um Natalia Romik, bestehend aus Künstlern, Kunstwissenschaftern, Anthropologen, Dendrologen, Geologen. 2022 war die Schau in der Nationalen Kunstgalerie Zacheta in Warschau gezeigt worden und anschliessend 2022/2023 im Zentrum für zeitgenössische Kunst TRAFO in Szczecin. Nun ist sie dank der Initiative von Prof. Dr. Mirjam Wenzel, Direktorin des Jüdischen Museums in Frankfurt am Main, erstmals ausserhalb Polens zu sehen.
Foto:
Josefseiche. Skulptur
©Jüdisches Museum
Info:
Ausstellung: "Architekturen des Überlebens", Jüdisches Museum Frankfurt am Main, Bertha-Pappenheim-Platz 1, Frankfurt bis 1. September 2024
Katalog: Architekturen des Überlebens, Hrsg. Mirjam Wenzel, Kuba Szreder, Natalia Romik, Aleksandra Janus, Katja Janitschek. Hatje Crantz Verlag, Berlin 2024, deutsche und englische Ausgabe, je 34 Euro.