Hanswerner Kruse / Hannah Wölfel
Venedig / Frankfurt (Weltexpresso) - Die 60. Biennale in Venedig ist eröffnet. Vor dem noch gar nicht eröffneten israelischen Pavillon randalieren und grölten dennoch hasserfüllte Hamas-Anhänger. Ansonsten hält sich der organisierte Antisemitismus in Grenzen, denn die Boykottbewegung (BDS) gegen Israel und jüdische Kunstschaffende, konnte sich hier nicht durchsetzen.
Das große Ausstellungsgebäude in den Giardini (Foto links) ist bunt und wild von einer indigenen Gruppe bemalt worden, die kein Geheimnis daraus macht, dass alle bei der Arbeit ziemlich bekifft waren.
Ansonsten rappelt, kracht und bimmelt es überall, die Atmosphäre ist laut und schrill. Es wird viel getanzt oder Theater gespielt, die Grenzen zwischen Performance und Leben verschwimmen. Getrommel und Gerüche betören die Sinne... Trotz der finsteren Zeiten in denen wir derzeit leben, ist die aktuelle Biennale ein buntes, vielfältiges und fröhliches Kunstfestival.
Wie immer in den letzten Jahren, wollten wir zur Vorabschau für Journalisten und VIPs und danach zur Eröffnung der Biennale anreisen, aber aufgrund eines Unfalls mussten wir unsere Reise verschieben. Auch wenn wir - zunächst - nicht selber in die Giardini und in das Arsenale kommen konnten, kommentieren wir die Eröffnung und formulieren erste Eindrücke aufgrund der Berichterstattung in den deutschen Medien.
Seit vielen Jahren ist die Kunst-Biennale zweigeteilt: In eigenen Pavillons im Giardini stellen etliche Länder ihre Kunstschaffenden vor, im Arsenale, der gigantischen alten Schiffswerft, sind einige Länder temporär vertreten. Hier wurde in der Vergangenheit großartige zeitgenössische Kunst - oft beliebig - präsentiert, die Kuratoren wählten, wenn überhaupt, die Themen ihrer Projekte selber.
Im großen Palast in den Giardini und in vielen, vielen Hallen der Arsenale werden seit jeher Kunstwerke präsentiert, die vom jeweiligen Kurator zum - von ihm gewählten Thema - der großen Biennale-Ausstellung ausgewählt wurden. Auf dem letzten Kunstfestival vor zwei Jahren hieß es „The milk of Dreams“ der Kuratorin Cecilia Alemani. In diesem Jahr postulierte der brasilianische Ausstellungsmacher Adriano Pedrosa „Fremde überall“. Er lud 332 Ausstellende ein, die im Westen weitgehend unbekannt sind und meist noch nie auf der venezianischen Biennale vertreten waren.
Mit seinen ausgesuchten Werken von Fremden, Queeren, Indigenen und Außenseitern setzt Pedrosa die Konzeption der letzten Biennale fort. Damals hatte Alemani viele vergessene oder nicht beachtete Künstlerinnen ausgegraben und vorgestellt, vertreten waren auch viele übersehene Kreative aus dem globalen Süden (obwohl der Begriff vor zwei Jahren noch nicht so hemmungslos heruntergekommen war). Angepasst ans Thema bespielten erstmalig schwarze Künstlerinnen den US-amerikanischen oder britischen Pavillon. Südamerikanische Kunstschaffende waren reichlich vertreten.
Das Thema „Fremde überall“ ist also nicht urplötzlich vom Himmel gefallen, wie jetzt viele Medien suggerieren. Uns graulte bei der Vorstellung der Biennale-Konzeption vor einer Wiederholung der letzten unsäglichen documenta. Die Neue Züricher Zeitung grämte sich vorab: „Pedrosas Ausstellungskonzept passt aber vor allem zum zeitgeistigen Mainstream und hat etwas Anbiederndes. Der Kurator riskiert damit, politischem Aktivismus ein Forum zu bieten.“
Doch Kurator Pedrosa ist ein studierter Mann und erfahrener Ausstellungsmacher, der ganz offensichtlich zwischen ungewöhnlicher Kunst und gutem Willen oder Agitprop unterscheiden kann.Seine Konzeption hebt sich deutlich ab von dem Chaos, das die infantile Truppe aus Indonesien in Kassel anrichtete. So jedenfalls unser erster Eindruck!
Auch wenn diese Biennale sehr „politisch“ wirkt, werden wir dort voraussichtlich keiner postkolonialen Politpropaganda ausgesetzt. Aber darüber schreiben wird demnächst.
Fotos:
© Veranstalterin la biennale di venezia