60. Biennale in Venedig (5)
Hanswerner Kruse / Hannah Wölfel
Venedig (Weltexpresso) - „Venedig kann sehr kalt sein“, wie Patricia Highsmith wusste - aber auch sehr anstrengend. Deshalb haben wir es nicht geschafft, täglich unsere Eindrücke von der 60. Biennale aufzuschreiben und holen es jetzt peu á peu nach.
Wir bleiben im Folgenden bei den Pavillons in den Giardini, mit denen wir unsere ersten Eindrücke beschrieben. Viele dieser Länderbeiträge in den festen Häusern der Nationen, haben das Thema „Fremde überall“ der zentralen Ausstellung aufgegriffen. Sehr einfach und dennoch besonders berührend sind die Beiträge im polnischen und österreichischen Pavillon:
Geflüchtete Menschen aus der Ukraine wurden von den Polen eingeladen, knapp ihre Geschichte (auf Video) zu erzählen und Kriegsgeräusche vorzutragen: „WEE UJUU MMM MMMMMH“ ruft einer immer wieder in die Kamera, später jemand anders „UUUUUUUUUUUUUUU WWW“. Das Publikum wird jeweils aufgerufen mit „Repeat me“ und die Leute können die Geräusche mitmachen. Was hier aufgeschrieben etwas seltsam wirkt, erschafft in der Atmosphäre des Pavillons Gänsehaut. Für die ukrainischen Menschen ist es überlebenswichtig, Sirenengeheul, fallende Bomben oder Raketenbeschuss zu unterscheiden.
Es ist erstaunlich, die Besucher und Besucherinnen nehmen die Aufforderung zum Mitmachen ernst und ahmen die vorgetragenen Geräusche nach. Auf einfache, unspektakuläre Weise können wir so die Schrecken des Krieges vage erahnen!
Im Österreichischen Pavillon ist die aus Russland geflohene Künstlerin Anna Jermolaewa zu Gast. Aufgebaut sind hier die Bank am Wiener Westbahnhof, auf der sie nach ihrer Flucht eine Woche lang schlief und die Telefonzellen, aus denen sie nach Russland telefonierte. Blumenbuketts symbolisieren und erinnern nicht nur an Protestaktionen russischer Bürger, sondern auch an die portugiesische Nelkenrevolution oder die Kornblumenrebellion in Weißrussland. Und auf einem Video tanzt eine Ballerina Szenen aus dem „Schwanensee“, dem Ballett, das in der UDSSR immer wieder in Ausnahmesituationen gezeigt wurde.
Auch diese Gestaltung des Pavillons ist wenig spektakulär, aber in seiner Schlichtheit bewegend. Hochinteressant sind die Klänge von Elvis bis zu den Beatles, die im Hintergrund laufen. Da die westliche Musik verboten war, hatten findige Techniker Schallplatten auf Röntgenbilder (!) geprägt, die über Plattenspieler zu hören waren, aber nur eine kurze Lebensdauer hatten.
Einer unserer Lieblinge ist der Französische Pavillon, bereits draußen laufen auf einer riesigen Leinwand surreale Explosionsbilder. Im Gebäude versinken wir sogleich in Gespinsten von farbigen Zweigen und bunten Lianen, zu sanfter rhythmischer World Music und riesigen Unterwasservideos im Hintergrund. Es riecht gut. Hier auf dem Meeresgrund begegnen wir hybriden Gestalten, Rochenfrauen und männlichen Kraken. Wie Tiefseetaucher treiben wir in den Tiefen des Atlantiks und der Karibik, denn über dieses Meer zogen einst die Kolonialherren. So die Idee des Künstlers Julien Creuzet, der aus Martinique stammt und der erste afro-karibischer Gestalter des französischen Pavillons ist.
Auffällig die Fröhlichkeit und Traumhaftigkeit, mit welcher der Künstler an die Kolonialzeit erinnert und jetzt diverse Kulturen friedlich zusammenbringt. Auch wenn er durchaus kritisch mit der Verunreinigung der Meere und der Bedrohung der dort lebenden Wesen umgeht - jedoch steht das nicht im Vordergrund. Es wird uns bei den weiteren Rundgängen auf der Biennale immer wieder auffallen, dass die verbissenen und vorwurfsvollen Postkolonialisten meistens weiße Menschen sind, denen jede Form von Humor und die Bereitschaft zur Versöhnung fehlt.
Über seine Arbeit sagt Creuzet (im KUNSTFORUM):
„Man kann die Installation am besten flanierend in einem Moment der Ruhe genießen. Jeder wird seinen eigenen Weg gehen, mit den Augen, den Ohren und der Nase...“
Wird fortgesetzt!
Fotos:
© Hanswerner Kruse / Hannah Wölfel
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