csm Schirn Presse Selma Selman Ausstellungsansicht 11 d068cd1933Ausstellung in der Schirn Kunsthalle Frankfurt bis 

Corinne Elsesser

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Ein seltsamer, ein unangenehmer Duft umfängt den Besucher beim Betreten der Ausstellung in der Galerie Ost der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Doch die eindrucksvoll inszenierte Installation aus verrosteten Metallteilen im zentralen Raum liefert sogleich die Auflösung, während der scheinbar daraus herrührende Duft sich bereits verflüchtigt.

Vier gebrauchte Mehrschalengreifer, wie sie auf Schrottplätzen Verwendung finden, beherrschen den Ausstellungsraum, der von einer grossen Filmleinwand begrenzt wird, auf der die Künstlerin Selma Selman zu sehen ist. Sie überquert eine Brücke und zitiert dabei Gedichte, unterlegt mit einem ohrenbetäubenden Techno-Sound. Die roh belassenen Metallgreifer hat sie umgedreht und elektronisch aufgerüstet, so dass sie sich immer wieder unerwartet wie Blütenblätter überdimensionaler Blumen öffnen und schliessen. "Flowers of Life" heisst diese Arbeit, die der Ausstellung den Titel gab und wie der Film "Crossing the Blue Bridge" zu ihren neuesten Werken zählt. Der begleitende Duft "The Most Dangerous Woman in the World" wurde eigens von den Parfümeuren Attiya Settai und Marc vom Ende von Symrise für die Installation entwickelt.

Das wäre eine starke und eindrucksvolle künstlerische Position wie sie in der Schirn lange nicht zu sehen war. Doch die aus Bihać in Bosnien gebürtige Künstlerin will vor allem Bezüge zum Kontext ihrer Familiengeschichte aufzeigen. So stehen die grossen Metallgreifer für die Erwerbstätigkeit ihrer Familie, die als Roma vom Schrotthandel lebt und der Geruch von Motoröl begleitete die Künstlerin seit ihrer Kindheit.

Am Beginn des Parcours übersieht man fast die winzig kleine Arbeit "Platinum (Axe)", eine golden schimmernde Miniaturaxt aus 33 Gramm Platin, die in einem Glaskubus schwebt. Sie ist Relikt einer Performance von 2021, in der Selman zusammen mit Familienmitgliedern wertvolle Edelmetalle aus Autowracks herauslöste und damit die profane berufliche Existenz ihrer Familie in eine künstlerische Aktion transformierte. Eine weitere Arbeit, "Motherboards (A Golden Nail)", ein mit 22 Gramm Gold beschichteter Nagel, ist lapidar in die Ausstellungswand gehauen und ebenfalls Resultat einer Performance mit der Familie 2023 im Martin-Gropius-Bau in Berlin. Der Titel weist auf die alle Bestandteile innerhalb eines Computers verbindenden "Motherboards" und zugleich auf das mittels Kuppelation aus den Platinen herausgelöste Gold, womit sich Roma ebenfalls beruflich beschäftigen. Begleitet werden die Objekte von zart und naiv mit Bleistift und Buntstift zu Papier gebrachten Zeichnungen, vorrangig Selbstportraits der Künstlerin.

Der experimentell anmutende Film "Crossing the Blue Bridge" hätte als künstlerische Stellungnahme für sich stehen können, doch auch hierin will Selman eine autobiographische Geschichte erzählen. Im Bosnienkrieg musste ihre Mutter die Alija-Izetbegović-Brücke überqueren und ihrer kleinen Tochter die Augen zuhalten, damit das Kind die herumliegenden Leichen und Tierkadaver nicht sehen konnte, während ihr selbst die Haare ins Gesicht wehten und sie die Orientierung verlor.

Aufgeladen mit persönlicher Lebensgeschichte, was eigentlich Hintergrundinformation wäre, wird die eindrucksvolle Installation zum statement einer Vertreterin der "grössten Minderheit in Europa", wie Selman mit einigem Stolz erklärt. Kurator Matthias Ulrich war die Künstlerin 2022 auf der documenta 15 aufgefallen, wo sie im Rahmen des fiktiven Projekts "Off-Biennale Budapest" ihre Arbeit "Don’t look into my Eyes" vorstellte. Sie lebt heute in ihrer Heimatstadt Bihać, in Amsterdam und in New York und stellt international aus.

Foto:
©schirn

Info:
Ausstellung: "Selma Selman. Flowers of Life", Schirn Kunsthalle Frankfurt, bis 15. September 2024.
Katalog: Selma Selman. Flowers of Life, Hrsg. Matthias Ulrich, Distanz-Verlag 2024, deutsch-englische Ausgabe, 32 Euro (Schirn), 40 Euro (Buchhandel). Erscheint im Verlauf der Ausstellung.
Am 14. September findet eine Performance der Künstlerin mit anschließendem Gespräch statt.