„ Die Entdeckung des Menschen: Das deutsche Porträt um 1500“ in der Hypo Kunsthalle München, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

München (Weltexpresso) – Ohne Wien wäre diese sagenhafte Ausstellung nicht möglich gewesen. Mit Wien ist das Kunsthistorische Museum gemeint, das einen großen Teil der über  170 Exponate auf Reisen schickt und in dem diese Ausstellung schon zu sehen war, die man bis zu ihrem Ende am 15. Januar in München dringend besuchen sollte. Denn mit ‚sagenhaft‘ ist gemeint, daß Sie dort fast alle die Porträts der deutschen Renaissance und viele des Spätmittelalters finden, die Sie aus Büchern oder den Museen kennen: hier aber auf einen Schlag zusammen sehen.

 

Machen Sie es uns nach und gehen Sie mit ruhigem Schritt erst einmal – um einen Eindruck zu bekommen – durch alle zwölf Räume, die nicht so sehr zeitlich, sondern unter thematischen Aspekten das Thema: Porträt und Bildnis gliedern. Sie werden merken, daß das in dieser Zeit zusammengehört, die zeitliche Entwicklung der Malerei, weil sie der soziologischen folgt, wenn vom ursprünglichen Herrscherporträt aus erst einmal die Aristokraten, dann aber nach und nach auch die bürgerliche Oberschicht und dann sogar ganz gewöhnliche Sterbliche abgebildet werden. An dieser Ausstellung könnte man auch die Geschichte der Stände schreiben und ebenso den Übergang vom Mittelalter in eine neue Zeit, die heute mit ‚neuzeitlich‘ auf den Begriff gebracht wird. Das Eindrucksvolle der Ausstellung ist, daß dieses Neue in Inhalt und Form zum Ausdruck kommt.

 

Hat man sich diesen Ausstellungüberblick erst einmal verschafft, in denen die Wände von blauen über rote und nußfarbene, dann grüne und wieder rote wechseln, auf denen von gleichfarbenen Brokatstreifen hinterfangen – wie in den spätmittelalterlichen Bildern die Heiligenfiguren selbst – hier die Gemälde sakralisiert werden, dann ist man eh schon abgehoben und dankbar, daß man diese Pracht an einer Stelle versammelt sieht und schiebt jegliche Überlegung, wie repräsentativ das eine oder andere Bild sei und vor allem, ob und was fehle, beiseite, weil diese Ausstellung einen Anspruch auf jeden Fall einlöst: zu beweisen, welchen Stellenwert das deutsche Porträt in der Malerei der Welt hat und wieviel andere Malerschulen, hier natürlich vor allem die Italiener, von den Innovationen der Deutschen noch lernten, nachdem sie die Ölmalerei der Niederländer für sich schon entdeckt hatten.

 

Wenn die drei Großen der altdeutschen Malerei Albrecht Dürer (1471-1528), Lucas Cranach d.Ä. (1472-1553)  und Hans Holbein d.J. (1497-1543) die Ausstellung in einer Vielzahl von hervorragenden Bildnissen dominieren, so entspricht das ihrem Können und dem Einfluß in der Kunstwelt. Sie sind wirklich groß und jeder hat eine eigene Handschrift, die etwas anderes in den Porträts betont. Für Dürer sind die Wiedergabe des im Körper gefangenen Geistes und ihre mentale Situation stets gleich gewichtig. Schonungslos läßt er uns teilhaben am Verfall des alternden Körpers, sein Vater von 1497 gilt als das erste Renaissanceporträt in der deutschen Kunst.

 

Einfach sind die Mittel von schwarzem Gewand, braunem, pelzgefüttertem Mantel, schwarzer Kappe und rötlichem Hintergrund. Gewaltig die Wirkung, wie die Augen inmitten des zerknitterten Gesichts hellwach und einigermaßen skeptisch uns anblicken. Das war vor 515 Jahren und er schaut uns heute noch genauso an, wie ihn Dürer erfaßte. Das sind dann schon Momente, wo einem der Atem stockt. Noch schärfer hat Dürer 17 Jahre später seine Mutter gezeichnet, deren Bildnis nicht hier hängt, das sich aber im angesichts seines Vaters deutlich mithineinschiebt und auch das bekanntere ist, vielleicht, weil es in Berlin hängt, während der Vater in der Nationalgalerie London zu Hause ist.

 

Eine andere Seite von Dürer zeigt das Herrscherbildnis von Maximilian I. mit dem Granatapfel, ein milde hoheitlicher Herrscher, datiert 1519, das unser Bild von ihm für die Nachwelt prägte, auch deshalb, weil er im selben Jahr starb. Daß sein Nachfolger und Enkel Karl V. unbedingt von Dürer auch porträtiert werden wollte, ist verständlich und wurde mehrfach ausgeführt. Überhaupt ist es Karl V., den man in verschiedenen Räumen der Ausstellung wiedersieht. Das paßt. Schließlich ist der 1500 geborene Kaiser auch  ein Symbol für die neue Zeit. Fortsetzung folgt.

 

 

Bis 15. Januar 2012

 

Katalog: Dürer, Cranach, Holbein. Die Entdeckung des Menschen: Das deutsche Porträt um 1500, Hirmer Verlag München 2011. Karl Schütz, der ehemalige Leiter der Gemäldegalerie des Kunsthistorischen Museums Wien und Kurator der Ausstellung hat im Katalog unter dem Tenor: „Das Unsichtbare sichtbar machen“ zum deutschen Porträt um 1500 eine Einführung verfaßt, in der die Funktionen des Abbildes noch einmal zusammengefaßt werden und der Hinweis erfolgt, was denn nun das Neue am Bildnis um 1500 sei und wie sich das bürgerliche Porträt aus einem der letzten Stifterbilder im alten Stil, Holbeins Darmstädter Madonna  entwickelt habe.

 

Stephan Kemperdick, der vor Jahren eine hervorragende Ausstellung des frühen Porträts in Basel gezeigt hatte, stellt im Katalog die Anfänge vor Dürer dar und betont darin, wie fließend die Übergänge sind und wie wenig jedes Bild von vorhinein als autonom gelten dürfe. Karl Schütz nimmt sich Albrecht Dürer vor und Jochen Sander, Stellvertretender Direktor des Städel Frankfurt und ausgewiesener Holbeinkenner, bewertet dessen Baseler und Londoner Jahre. Insgesamt sind so zwölf Ausarbeitungen zu einzelnen Themenkomplexen der Ausstellung zustandegekommen, die jede für sich einen neuen Aspekt der Bildnisse aufzeigen. Den Aufsätzen sind die jeweiligen Bilder der Ausstellung eingruppiert, was sinnvoll ist und dennoch in der Katalogfunktion übersichtlich, weil numerisch folgend bleibt. Dies ist deshalb so zu betonen, weil auch nach dem Ende der Ausstellung dieser Katalog ein Standardwerk über das deutsche Bildnis um 1500 werden wird.

 

www.hypo-kunsthalle.de