Kunsthaus Zürich zeigt den österreichischen expressiven Meister mit britischer zeitgenössischer Malerin ab Oktober, Teil 1
Hubertus von Bramnitz
Zürich (Weltexpresso) - Als erstes Museum zeigt das Kunsthaus Zürich das Werk Egon Schieles (1890–1918) zusammen mit Arbeiten der zeitgenössischen britischen Malerin Jenny Saville (*1970). In der zeitlichen Distanz von einem Jahrhundert entfaltet sich ein spannungsvoller Dialog zwischen zwei malerischen Positionen, die sich intensiv mit der Körperlichkeit befassen. Die Ausstellung mit über 100 Gemälden und Zeichnungen findet vom 10. Oktober 2014 bis 25. Januar 2015 statt.
Wurde in früheren Ausstellungen Egon Schiele zumeist in seinem historischen Kontext zum Thema gemacht, geht es hier um die Annäherung an und die Abgrenzung gegenüber einer zeitgenössischen Position. Schieles Werk gibt eine lose chronologische Abfolge vor. Savilles Gemälde treten vereinzelt, manchmal in kleineren Werk- oder Motivgruppen hinzu. Die Autonomie beider Positionen bleibt sichtbar. Mit einer großzügigen Hängung der extrem unterschiedlich großen Formate und dem Verzicht auf das Arrangement expliziter Bildpaare, fordert Ausstellungsmacher Oliver Wick die Wahrnehmung des Betrachters.
«VERKÖRPERLICHUNG» DER MALEREI
Dem Besucher springt die ungeschönte Körperlichkeit ins Auge, die künstlerisch derart explizit ausgeleuchtet wird, dass sich beim Betrachten nicht selten ein Gefühl von Scheu, manchmal auch regelrechter physischer Befangenheit einstellt. Oftmals wird die übersteigerte Leiblichkeit, bei Saville üppiges Fleisch, bei Schiele hagere Versehrtheit, mit der Erfahrung des eigenen Körpers und in Kombination mit dem eigenen Selbstbild zum Ausdruck gebracht. Schiele kehrt in seinem knapp ein Jahrzehnt umfassenden Werk immer wieder zum Selbst- und Aktselbstbildnis zurück.
Auch Saville, deren Gemälde bisher fast immer den weiblichen Körper zum Thema haben, arbeitet mit Modellen und dem eigenen Körper. Ihr Schaffensprozess bedient sich aber einer übertragenen Form. Sie malt nicht live vor einem Modell, sondern nach zuvor gemachten Fotografien, die zusammen mit vielen anderen Bildquellen den Ausgangspunkt bilden. Diese Inszenierung des Körperlichen, bei Schiele durch Pose und Mimik noch gesteigert, zeichnet sich bei beiden Künstlern durch extrem gewählte Blickwinkel, meist eine pointierte Untersicht, und eine gewollte «Ortlosigkeit» aus.
Demonstrativ werden Sehkonventionen hinterfragt. Die Darstellung von Leiblichkeit und Geschlecht erfolgt in ungeschönter Direktheit. Trotz des expressiven Eindrucks ist es keine spontane Selbstentäußerung, sondern eine minutiös geplante Malerei, die sich bei Schiele in einer gezielten Ansprache des Betrachters äußert, die durch Blickinszenierung und übersteigerte Selbstdarstellung erreicht wird. Saville bedient sich ähnlich appellativer Strategien, im Unterschied zu Schiele vor allem auch des Großformats, mit dem sie den Betrachter zu überwältigen versucht. Ihr geht es um eine Malerei, in der sich die Farbe wie das Fleisch verhält und das Gefühl des Körperlichen in Materialität und Taktilität übersetzt wird – eine «Verkörperlichung» der Malerei. Obwohl auch Schiele eine präzis durchmodellierte, geradezu plastisch aufgebaute Farbgebung anwendet, bleiben es bei ihm doch die Linie und die Kontur, die sein Bilddenken leiten. Gemeinsam ist den Bildern Schieles und Savilles, dass sie sich durch eine hermetische Abgeschlossenheit auszeichnen, die narrativen Inhalt vermeidet und so die Unausweichlichkeit des Körperlichen selbst betont. Fortsetzung folgt.
INFO:
FÜHRUNGEN
Zur individuellen Erschliessung des Themas steht Besuchern ein mehrsprachiger, im Eintritt inbegriffener Audioguide zur Verfügung. Ebenfalls kostenlos sind öffentliche Führungen. Sie finden mittwochs um 18 Uhr, freitags um 15 und sonntags um 11 Uhr statt. Private Führungen werden gerne auf Anfrage organisiert (T: +41 (0)44 253 84 84, Mo–Fr 9–12 Uhr). Das weitere Begleitprogramm und Angebote der Kunstvermittlung sind ab Oktober auf der Website zur Ausstellung publiziert.
PUBLIKATION
Um auch in Buchform die visuelle Kraft dieser Gegenüberstellung von Egon Schiele und Jenny Saville erfahrbar zu machen, erscheint der Ausstellungkatalog als Tafelband in einem besonders grosszügigen Format. Kunsthistorische Beiträge von Oskar Bätschmann, Maria Becker, Martin Harrison, Diethard Leopold, Helena Pereña, Franz Smola und Oliver Wick begleiten das Projekt. Das Buch erscheint in einer deutschen und einer englischen Ausgabe bei Hatje Cantz, gebunden, ca. 176 Seiten mit rund 160 Abbildungen und ist im Kunsthaus-Shop oder im Buchhandel (ISBN 978-3-906574-94-3) erhältlich.
KONZERT
Wien war um 1900 ein Zentrum der Avantgarde in Kunst, Literatur und Musik. Schönberg, der selber auch malte, revolutionierte mit seinen Schülern Webern und Berg die abendländische Musik, doch seine Walzer stehen in der Wiener Walzertradition. Am Sonntag, 30. November um 11 Uhr gastiert das Zürcher Kammerorchester im Kunsthaus. Tickets unter www.zko.ch
ALLGEMEINE INFORMATIONEN
Das Kunsthaus Zürich liegt im Zentrum von Zürich und ist mit öffentlichen Verkehrsmitteln bestens erreichbar: Kunsthaus Zürich, Heimplatz 1, CH–8001 Zürich. Tel. +41 (0)44 253 84 84, www.kunsthaus.ch
Öffnungszeiten: Di/Fr–So 10–18 Uhr, Mi/Do 10–20 Uhr, montags und am 25.12.14 geschlossen. Weihnachten (24./26. Dezember), Silvester/Neujahr (31. Dezember, 1./2. Januar 2015) 10 bis 18 Uhr geöffnet. siehe www.kunsthaus.ch
Eintritt inkl. Audioguide (d/e/f): CHF 22.-. CHF 17.- für Gruppen ab 20 Personen (Änderungen vorbehalten). Kinder und Jugendliche unter 16 Jahren gratis.
Vorverkauf: SBB RailAway-Kombi: Ermässigung auf Anreise und Eintritt: am Bahnhof oder beim Rail Service 0900 300 300 (CHF 1.19/Min. ab Festnetz), www.sbb.ch. Zürich Tourismus: Übernachtung inkl. Eintrittsticket. Tourist Service im Hauptbahnhof, Tel. +41 44 215 40 00, Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein!, www.zuerich.com. Magasins Fnac: Verkaufsstellen CH: Rives, Balexert, Lausanne, Fribourg, Pathé Kino Basel, www.fnac.ch; F: Carrefour, Géant, Magasins U, 0 892 68 36 22 (0.34 €/min), www.fnac.com; BE: www.fnac.be.
Fotos: in beiden Artikeln geht es um die Pendants: Selbstbildnis Schiele und langjährige Freundin Wally. Das letztere Bild hat ein anrührende Geschichte, auf die wir noch eingehen werden.
Egon Schiele
Selbstbildnis mit Lampionfrüchten, 1912
Öl und Deckfarbe auf Leinwand, 32,2 x 39,8 cm
Leopold Museum, Wien