Fotografie im Städel Museum von den Anfängen bis 1960 bis 5. Oktober 2014

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Fotografieausstellungen haben in Deutschland die meisten Besucher und vor allem viele ganz junge Besucher. Das hat Gründe. Denn halten diese zu den bunten Gemälden an der Wand noch Abstand und erst recht zu den Skulpturen, so ist doch das Foto Teil unserer täglichen Welt.

 

Seit mit dem Handy nun auch noch fotografiert werden kann, die sogenannten Selfies sind der Renner, fragen sich noch mehr: wo fängt eigentlich ausstellungswürdige Fotokunst an, wo hört sie auf.

 

 

Die erste Fotoausstellung der Welt in Frankfurt

 

Wo Fotokunst anfängt, ist zeitlich ganz einfach zu bestimmen. Mit den Anfängen der Fotografie im 19. Jahrhundert nämlich. Diese Anfänge allerdings waren viel früher, als viele vermuten. Und das Städel gehörte zu den ersten Museen, die gleich von Beginn an Fotografien sammelten. Tatsächlich fand hier 1845 die wohl erste Fotoausstellung der Welt statt! Das waren dann in weiteren Ausstellung 1859 und 1860 erst einmal abfotografierte Kunst, bis sich die Fotografie von der Malerei emanzipierte – und diese dafür mit jemandem wie dem Engländer William Turner Geschwindigkeit zu malen begann: Rain, Steam and Speed. Die bis heute bestehende Konkurrenz Malerei und Photographie, wie man damals schrieb, war eröffnet.

 

 

Die Bewegung kommt ins Bild

 

Daß das Foto den Paragone der Bilder – so nennt man seit der Renaissance den Wettstreit der Künste – gewönne, machte sich erst an der Bewegung fest. Denn Fotos konnten die Bewegungsabläufe von Menschen und Tieren exakt festhalten. Deshalb hatte die französische Daguerreotypie um 1840 auf Dauer keine Chance, brauchte man doch dazu eine extrem lange Belichtungszeit. Für reine Architekturaufnahmen war das sinnvoll, denn die anfänglich auf Silberplatten, dann versilberten Kupferplatten festgehalten Daguerreotoypien waren von einer Schärfe und Detailgenauigkeit, die heute noch Bestand haben. Doch dann kam mit Eadweard Muybridge die Bewegung ins Bild: eine Sensation.

(Hier sehr groß das Bild 1)

 

Wir sind wirklich glücklich, daß das Städel die hier abgebildete Serie eines einen Stein tragenden Mannes besitzt. Bitte schauen Sie sich die einzelnen Abläufe an. Jeder Mediziner, jeder Physiotherapeut kann noch heute das Muskelspiel, das Aufsetzen und Abrollen der Füße und das Balancieren beobachten. Wo Sie anfangen, oben oder unten, rechts oder links? Sie bekommen es heraus! Mit wissenschaftlicher Genauigkeit hatte Muybridge 1872 die exakte Beinstellung eines galoppierenden Pferdes festgehalten: die Serienfotografie war erfunden. Wie machte er das? Nicht mit den heutigen schnellen Verschlüssen Klick-Klick-Klick, sondern für jedes Bild hatte er einen eigenen Fotoapparat aufgebaut, der mittels elektrischer Drähte von den Pferden berührt wurden und die einzelnen Apparate auslöste. Die eigentlich Sensation war dann, daß er so beweisen konnte, daß das Pferd beim Galoppieren einen Moment lang alle vier Beine in der Luft hat, was wir mit unseren Augen nicht sehen können. Aber die Fotografie beweist es.

 

 

Aber auch der Stillstand rührt das Gemüt

 

Auch das Gegenteil, die Ruhe und das Einhalten in der Bewegung, kann die neue Kunstform leisten. Haben Sie schon einmal eine solche schöne Ansicht von Venedig gesehen? (Irgendwo hier das Bild 2)Da fallen einem doch sofort auch die Filme mit und ohne Gondeln ein, denn über dem Bild liegt etwas wie Ewigkeit. Spiegelglatt leuchtet das Wasser der Lagune und im Jahr 1875 waren es nicht die Touristen, die auf dem Canale Grande herumkutschiert wurden, sondern hier geht es ums Transportieren. Wir meinen, daß es Kohlen sind. Was meinen Sie?

 

Am Bekanntesten aus der Sammlung sind die Porträts. Aber gerade deshalb haben wir Unbekannteres herausgesucht, denn wenn Albert Renger-Patzsch, einer der weltberühmten deutschen Fotografen, 1954 einen Buchenwald (Bild 3) ablichtet, dann fühlen wir erneut Stille. Atmosphärisch dicht, die kahl werdenden Bäume, hinten verschleiernder Nebel, der Wald ist so schön, wie er schrecklich sein kann, wenn hier ein Mord passiert zum Beispiel. So haben nämlich Bilder längst Macht über unser Bewußtsein gewonnen, daß wir automatisch sowohl einen Märchenwald sehen und die Elfen erwarten, aber auch das Gegenteil. Wenn ein Bild Gewalt über unser Bewußtsein erringt, uns also erst einmal zum automatischen Assoziieren verführt, dann nennen wir das Metapher. Der Wald ist so eine Metapher.

 

 

Innehalten in der Bewegung

 

Und dann gibt es noch etwas, wo unser Verstand zu rätseln beginnt. Das ist immer dann so, wenn Dinge in der Makrofotografie (Bild 4) extrem vergrößert werden, wie hier die Zähne eines Reißverschlusses. Ein Reißverschluß – auch er eine zeitgleiche Erfindung um 1851 – ist gerade durch seine funktionale Bewegung und das Innehalten gekennzeichnet. Inne hält man dann, wenn man, den Schieber zwischen den Fingern, beim oberen Ende angekommen ist. Denn dann ist der Reißverschluß zu. Der Fotograf jedoch, erneut Albert Renger-Patzsch hält um 1928-33 den Moment fest, wo der Reißverschluß noch offen steht und man hier genau seine Funktionsweise auch ohne den Schieber erkennen kann. Der führt nämlich das Rechte ins Linke und das Linke ins Rechte und durch die deutlich erkennbaren Verdickungen verschließen die ineinanderfügenden Reißverschlußzähne dann die Öffnung. Bis ein Zahn kaputt geht. Aber das kennen Sie alles selbst.

 

P.S. 1839 gilt als Erfindungsdatum der Fotografie in Paris. LICHTBILDER ist also auch eine Erinnerungsausstellung zum 175ten Geburtstag der Fotografie. Kurator Felix Krämer ist stolz auf die Schenkungen und die Erwerbungen bedeutender Konvolute, aber auch stolz auf das, was das Städel von Beginn an gesammelt hat. Wie auch das Städel selbst mit seiner Galerie der Bilder, ist die Fotosammlung didaktisch ein Schatz, weil sie die Entwicklung der Fotografie sehr gut dokumentiert. Diese Ausstellung zu sehen lohnt sich!

 

 

 

 

Foto: Eadweard Muybridge (1830–1904)

Mann, einen Ball tragend, aus der Animal Locomotion Serie, 1887

Lichtdruck auf Tonplatte auf Velin, 24,3 x 31,7 cm

Städel Museum, Frankfurt am Main -– ARTOTHEK