„Die große Illusion – Veristische Skulptur“ im Liebighaus in Frankfurt am Main, Teil 2/2
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Warum schauen die kleinen Kinder so gerne und so neugierig in die Gesichter der Umstehenden, zumal auch der ausgefallendst und schrulligst erscheinenden Erwachsenen? Sie wollen erfassen lernen, was in jenen vorgeht, was sich in ihnen abspielt, was sich in den Mienenspielen ausdrückt und wie sie zu bewerten sind.
Ob sie beispielsweise nett wären oder abweisend oder gar etwas Bedrohliches für das Kind signalisieren könnten.
Tatsache ist: für die meisten Erwachsenen ist das andere, das fremd erscheinende, wenig beachtete Gesicht – das eine unmittelbare Botschaft vermittelt und in dem vieles gleichzeitig nebeneinander erscheint – das, was sie in der Regel vermeiden. Sie vermeiden, es etwas länger als den Bruchteil einer Sekunde anzuschauen – ganz im Gegensatz zu Kindern!
Besonderer Wert der Ausstellung im Heutezeitlichen
Dem Besucher der Ausstellung, der nicht anders tickt als die beschriebene städtische Vielheit - im allgemeinen also eher durch städtische Interesselosigkeit am andern Gesicht geprägt – ging unmittelbar nach dem Ausstellungsbesuch etwas auf: dass nämlich die Erfahrung der Ausstellung, das Einlassen auf die veristischen Körpergebilde und Gesichtsformen und die menschlichen Antlitze besonders der ausnehmenden Gestalten wie: Helden, Krieger, heilige Personen, Büßer, Hochgestellte, aber auch schlichter, unprätentiöser oder fallibler menschlicher Erscheinungen, - den Effekt hatte, dass unmittelbar danach eine - noch ungewisse - Zeit lang den Gesichtsausdrücken und Mienenspielen sogleich wieder mehr Aufmerksamkeit geschenkt wurde, weil diese doch auch so manches erzählen können, auch wenn es gegebenenfalls nicht nur Erfreuliches ist - was sich wohl als das eigentliche Problem darstellen könnte.
Machendes (Künstler/innnen) und Gemachtes („Objekte“)
Alle gezeigten Werke des Verismus – der Begriff ist eigentlich mehr als Methodentitel zu verstehen - bestechen sehr aufgrund ihrer Perfektion, gleich aus welcher Epoche sie stammen; sie erinnern an den engen Verwandtschaftsgrad entblößter Körper, wobei entblößt eigentlich unverstellt meint, nicht kaschiert, es betrifft das Physische wie das Psychische, insbesondere aber das menschliche Antlitz. Weil wir – darf man wohl sagen - uns quasi selbst in den Objekten als Teil einer sehr ähnlichen Art wiedererkennen, begegnen wir wohl alle in den Gezeigten auch uns selbst, unserer allgemeinsten Natur, von welcher Entfremdung eintrat, ein Grund womöglich vielen Übels. Was unsere Gattung trennt, ist das relativ durchaus auch gleichgültige ideologische Material, mit dem wir uns dauernd immer nochmal ganz extra voneinander unterscheiden möchten, immer auf das Alleinstellungsmerkmal bedacht. Die Menschen werden sich anscheinend im Prozess des Fortschreitens immer fremder.
In unseren Tagen sind der Spezialwerkzeuge und Mittel so umfängliche geworden. Die menschliche Hand aber ist seit unerdenklichen Zeiten das eigentliche Zauberwerkzeug. Daher gibt es im gesamten Ausstellungsvolumen keinen Qualitäts- oder Rangunterschied zwischen Altem und Neuem, falls überhaupt so zu unterscheiden wäre. Es war schon immer der Anspruch der Künstlerinnen und Künstler, das Allerbeste - mit höchstem Anspruch an sich selbst - zu verfertigen, mit geradezu manischem Aufwand, um diese gleichartige, unverwechselbare Natur des Menschen - in gewissem Sinn seiner Hautnatur – zu Bewusstsein zu bringen. Der Trick ist, dass über den Umweg der Kunst dem, was eigentlich nicht so Kunst ist, sondern eigentlich doch vor allem Natur, eine Vermittlung und eine Apotheose in den ursprünglich einzigartigen Rang zuteil wird.
'Illusion' doppeldeutig
Eigentlich ist nicht 'Illusionismus' – im banalen Sinn schon gar nicht - das Beabsichtige, sondern das Konzept, dem Illusionismus des Illusionslosen Ausdruck zu verschaffen. Das führt dazu, dass Trennungen geringer werden, der Mensch in der Begegnung auf der Straße kann wieder als einer aus gleichem Holz geschnitzt, aus der gleichen Ursuppe geschöpft erscheinen - uns selbst ursprünglich ähnlich (was im Vorurteil bestritten wird). Zentrales Organ der veristischen Imitation und Wiedergabe ist die Haut, diese fleischpergamentähnliche Überspannung des Körpers. Die Haut ist etwas ganz Besonderes, aber eine nähere Definition wäre nicht zu liefern. Der Verismus gelangt über die Illusion der Hautoberfläche zu einer Realität und Auffassung höherer Art dieses Organs.
Die Haut wird auf der Grundlage von Holz, Stein, Marmor, Bronze, Wachs oder Kunstharz gewonnen, aufgebaut, durch Oberflächentechnik akribisch erzeugt, zu allerhöchster Präsenz entwickelt.
Die Ausstellung ermöglicht unter anderem auch ursprüngliche Farbgebungen wieder wahrzunehmen. Denn Farbe war in der Kunst der Antike ausdrücklich gerechtfertigt, war kein Ausdrucksmittel minderen Ranges. Das wird kommuniziert. Es ist im Gang durch die Räume auch möglich, vergleichbaren Techniken über die Jahrhunderte in ihren jeweiligen Konkretionen nachzugehen.
Foto: Ron Mueck (born 1958),Untitled (Man in a Sheet).
KATALOG: Die große Illusion - Veristische Skulpturen und ihre Techniken., Hg. Stefan rller, Beiträge von V. Brinkmann, M. Bückling, S. Roller, H. Theiss
280 Seiten, 255 Abbildungen in Farbe
24 × 30 cm, gebunden, Fadenheftung
ISBN: 978-3-7774-2253-4
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Mit dem Katalog sieht man immer mehr und vor allem werden einem die ausgestellten Künstler nahegebracht. Wir werden in einer weiteren kunsthistorischen Besprechung der Ausstellung darauf und auch auf die Techniken eingehen und die Katalogbeiträge inhaltlich vorstellen.
INFO:
Ausstellung: Die große Illusion – Veristische Skulptur im Liebighaus bis 1. März 2015
Liebieghaus Skulpturensammlung
Schaumainkai 71
60596 Frankfurt – Sachsenhausen
Telefon:
069/6500490
Telefax:
069/650049-150
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18.12. 18.00 Uhr, 20.12. 16.00 Uhr, 21.12. 15.00 Uhr, 27.12. 16.00 Uhr, 28.12. 15.00 Uhr, 3.1. 16.00 Uhr, 4.1. 15.00 Uhr, 8.1. 18.00 Uhr, 10.1. 16.00 Uhr, 11.1. 15.00 Uhr, 15.1. 18.00 Uhr, 17.1. 16.00 Uhr, 18.1. 15.00 Uhr, 22.1. 18.00 Uhr, 24.1. 16.00 Uhr, 25.1. 15.00 Uhr