Serie: Anläßlich der Munch-Ausstellung in der Frankfurter Schirn: seine Werke in Oslo (1/3)
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das Munch Museum liegt in Stadtnähe auf der grünen Wiese. Wir haben es am 22. September 2007 besucht, was die Eröffnung der Munchausstellung in der Schirn vergegenwärtigt hat.
Wer den Maler Edvard Munch auch nur ein wenig kennt, der weiß, daß ihm die Angst im Nacken saß und die eindrücklichen Angst- und Einsamkeitsbilder auch daher rühren, daß es dem Maler, einem der Väter der Moderne, gegeben war, die subtilen Seelenströmungen mit dem Pinsel so auf die Leinwand zu bannen, daß nicht nur der Inhalt, sondern auch die Form das Grenzenlose der Angst ausdrücken.
Wer sich also zu einer Ausstellung der „Meisterstücke“ begibt, weiß, daß er Gespenstisches aus den Abgründen und Urgründen der Seelenlandschaft zu erwarten hat, die Gespenster zwischen Mann und Frau, Leben und Tod, Materie und Geist. Das alles ist aber nichts gegen das, was einen wirklich dann im Munch Museum in Oslo erwartet und wo man mit Schaudern denkt: „Armer Edvard Munch. Hier hättest Du in Deinem eigenen Museum reißaus genommen, noch ehe Du es betreten hättest.“
Sieht das Gebäude von außen noch normal aus, gegenüber dem schönen Park mit den naturkundlichen Museen gelegen, gleicht es im Inneren einem Hochsicherheitstrakt. Ach ja, da war doch was? Schon zweimal ist das Museum spektakulär ausgeraubt worden, weil es ungenügend gesichert war. Aber jetzt das? Man kommt hinein und muß erst einmal wie am Flughafen, aber auch wie im Prado Museum in Madrid seine Mitbringsel durchleuchten lassen und sich selbst auch. Damit aber nicht genug. Als nächstes ist der Zugang mit einem elektronischen Lesegerät für die Eintrittskarten gesichert. Vorher geht die Türe nicht auf. Dann steht auf dem Flur hocherhoben, imposant und furchteinflössend eine große Tribüne in Schwarz, auf der steht ‚Security’ geschrieben und zwei Männer überwachen den sehr übersichtlichen Zuschauerstrom. Am Dienstagnachmittag sahen wir dort oben fünf Leute auf einen Schlag. Spätestens hier hätte der angsterfüllte Munch sich abgewandt.
Wir aber wollen seine „Meisterstücke“ sehen und gehen weiter und gelangen an eine Sicherheitsschleuse, wie wir sie aus jüdischen Einrichtungen kennen, wo das zweite Tor erst aufgeht, wenn das, durch das man eintrat, geschlossen ist. Aus gutem Grund, denn jüdische Einrichtungen haben leider immer noch, erst recht jetzt wieder, mit Aggressionen und Anschlägen zu rechnen. Aber hier im Munch Museum? Jawohl, dort im Museum. Diese Schleuse spricht echten Gefährdungen Hohn, um das mal ganz deutlich zu artikulieren.
Dann endlich stehen wir im ersten Ausstellungsraum! Beim Rausgehen fällt noch auf, daß das Glas der Eingangstür eingeschlagen ist. Das wirkt nun wirklich so, als ob jemand die Geister, die er rief, nicht mehr los wird. Denn diese Sicherheitsschranken machen einfach aggressiv, bauen Aggressionen erst auf. Man hat keine guten Empfindungen, sich als Kunstinteressierter wie im Gefängnis zu fühlen. Wie heißt es? Da wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet. Weil das Munch Museum damals vorsintflutlich ungesichert war und aus Schlamperei ausgeraubt wurde, muß jetzt Angst und Schrecken vor dem Kunstgenuß verbreitet werden. Wo sind wir eigentlich?
In Oslo im Munch Museum und jetzt geht’s um die Bilder. Sagen wir es gleich, interessant ist es sehr. Die Sommerausstellung, die aus den Beständen des Museums gehängt wurde, wird im Oktober von der nächsten Ausstellung aus eigenen Beständen abgelöst. Die eigenen Bestände machen viele Ausstellungen möglich und wenn diese Ausstellung nun „Meisterstücke“ heißt, muß man dazu sagen, daß es sich größtenteils um sehr frühe Werke handelt, die allermeisten noch nie bei den europaweiten Munch-Ausstellungen zu sehen waren, wir von daher eine kunsthistorisch äußerst interessante Ausstellung betrachten, die ‚Meisterwerke’ zu benennen, am Thema aber vorbeigeht, denn die eigentlichen Meisterwerke, die noch „schöneren“ Munchs hängen im Nationalmuseum in der Innenstadt, in der Nasjonalgalleriet, die wir noch vorstellen werden.
Schon das erste Bild im ersten Saal im Munch Museum gibt den Ton und die Farbe vor. Es ist „Der Tod und das Mädchen“ von 1893. Man sieht auf einen weiblichen Akt mit stark modulierter Hinterfront. Die Haare, die ewig rote und bis zur Taille herabfallende Mähne der Sünderin oder doch wenigstens potentiellen Verführerin – sie umschlingt ein Wesen, das man nur durch den Titel als Tod identifiziert, dann aber sieht man das Skelettartige an ihm, rechts da sind zwei Embryos, abgetrieben? Das Ganze in fahlen Farben, matte Fleischfarbe sie, vergilbt er, schattenbeigegrau die Kleinen und links das Schilf und Schlangenformen in Blau, Graublau und giftigem Braunrot. Es ist eines dieser Beispielbilder von Edvard Munch, der 1863 geboren hier als Dreißigjähriger sein ewiges Thema präsentiert, das ja eigentlich unser aller Thema ist: Der Kampf ums Dasein im Werden, der Kampf der Geschlechter und der verlorene Kampf gegen den Tod.
Stilistisch ist dieses Bild einzuordnen in die Weiterentwicklung des frühen Naturalismus hin zu einer symbolistischen Formensprache, die die 90er Jahre bestimmt und die hier gehäuft hängen. „Die tote Mutter“ von 1893 erinnert an Hodlers tote Gefährtin, die über 20 Jahre später gemalt wird, wo auch eine starke Horizontale das Gemälde strukturiert und wenn das gesagt wird und immer wieder die Bezüge zu anderen Malern angesprochen werden, so zeigt dies nur die Sprache der Zeit auf.
Hier hat man nicht nachgeahmt, sondern die gleichen ästhetischen Kriterien verwandt, die zu ähnlichen Bildstrategien führten. Das wird einem noch mit Klimt und Schiele und Beckmann genauso gehen, die man auf einmal in den Werken von Munch wiederentdeckt. Immerhin hatte Munch ein besonders langes Leben und hat sich in den Zeitströmen malerisch verändert und die Zeiten mit ihm. Gestorben ist er erst 1944, als in Deutschland die moderne Kunst ermordet, zumindest K.O. geschlagen war und im Ausland längst der aus Amerika flutende abstrakte Expressionismus galt. Fortsetzung folgt.
www.munch.museum.no
www.nationalmuseum.no
Munch-Literatur:
Ulrich Bischoff, Munch, Taschen
Arne Eggem, Edvard Munch, Stenersen Verlag 1995
Rosemarie E. Pahlke, Munch revisited, Kerber Verlag 2005
Edvard Munch in der Nationalgalerie, Oslo 1998
Dieter Buchhart (Hg.), Ziechen der Moderne. Edvard Munch, Ausstellungskatalog Hatje Cantz 2007
Munch im Munch Museum Oslo, Messer Verlag, Scala London, 1998
Reiseliteratur:
Michael Möbius/Annette Ster, Norwegen, DuMont Richtig Reisen, 2006
Allgemeine Informationen
Norwegen: Innovation Norway/Norwegisches Fremdenverkehrsamt, www.visitnorway.de
Oslo: Visit Oslo, www.visitoslo.com/de
Bergen: Visit Bergen, www.visitbergen.com
Flåm: Visit Flåm, www.visitflam.com
Anreise per Schiff
Color Line, www.colorline.de