Serie: Anläßlich der Munch-Ausstellung in der Frankfurter Schirn: seine Werke in Oslo (3/3)
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Das Nationalmuseum, in dem sich die Nasjonalgalleriet mit den Gemälden befindet, ist mitten in der Stadt in Universitätsnähe. Wir haben es am 22. September 2007 besucht, was die Eröffnung der Munchausstellung in der Schirn vergegenwärtigt hat.
Erst seit 2003 haben sich hier verschiedene Museen zu einem gemeinsamen vereinigt. Die Nationalgalerie besitzt die größte norwegische Bildersammlung und in einem großen Raum, der Nummer 38, sind dann quer durch alle Zeiten europäische Größen versammelt, wo einem dennoch schmerzlich bewußt wird, wie privilegiert wir Mitteleuropäer mit unserer Tradition der großen Kunstmuseen und der fürstlichen und bürgerlichen Sammlungen sind. Ein einziger Gerard David hängt hier, aber auch El Greco, Ribera und einige Rubens. Das war es.
Aber dann doch auch einige Renoirs und eine seine Bronzefiguren, die wir sofort erkannten, die Aphrodite. Die Dame kommt aus seiner späten rosa Periode, auch wenn sie aus Bronze ist, aber ihr kompaktes Fleisch hat der jüngere Renoir weder gemalt, noch skulptiert. Sie entspringt auch nicht den Fluten bei Zypern sondern es ist die Szene festgehalten, als ihr Paris den Apfel in seinem Urteil über die schönste Frau des Götterhimmels überreicht hat. Bestochen war er, sollte er doch mit ihrer Hilfe die schönste Frau der Welt erringen, diese Helena, was dann unmittelbar zum Krieg um Troja gerann. Hier steht sie, die Aphrodite, mit dem Apfel in der Hand und kann nicht anders. Wir schauen uns alles, selbst die endlosen Landschaften und Genrebilder des 19. Jahrhunderts in Ruhe an, bis wir an den Saal 24 gelangen, in dem die Munchs hängen.
Erschlagen sind wir sogleich ob der anzuschauenden Herrlichkeiten. Noch bei keiner Munchausstellung sahen wir so viele Meisterwerke auf einen Streich. Der Nationalgalerie ist es gelungen, von den verschiedenen, immer gleichen Sujets, die besten Exemplare geschenkt, vererbt, gekauft zu bekommen. Das fängt mit dem Selbstporträt nach der spanischen Grippe von 1919 an. Zur Erinnerung. Da war dieser schreckliche Kriegsausgang mit der todsuchenden Epidemie, die 1918 in Wien den stattlichen Klimt und den ganz jungen Schiele hinwegraffte und viele andere auch. Im Ganzporträt kann man sehen, wie mitgenommen Edvard Munch ist. Dennoch ist es ein glanzvolles Bild, demgegenüber die Fassung im Munchmuseum leicht verblaßt, die ihn noch älter und verhärmter zeigt.
Geradezu hinreißend ist sein Selbstporträt mit Zigarette von 1895, das erneut an das von Beckmann erinnert. So ging es uns schon im Munchmuseum, wo auch ein Selbstporträt, das von 1904, die Beckmannassoziation hervorrief. Aber dort notierten wir, daß sich die Selbstsicherheit, ja jungmännische Unverfrorenheit des jungen Beckmann nicht wiederfindet, daß sich aber die Form „moderner“ als bei diesem gestaltet, was auf den Umgang von Munch mit der Farbe zurückzuführen ist und dem Bild eine melancholische Wirkung gibt: kein Mann auf Draht, der im Leben loslegt, wie eben Beckmann, sondern einer, der Sicherheit erwartend auf den Gegenüber blickt, der nun wir sind. Ja, Herr Munch, was wollten sie uns 1904 sagen?
Auf eine solche Frage käme man beim besagten Selbstporträt von 1895 in der Nationalgalerie überhaupt nicht. Dort steht ein selbstsicherer junger Mann, lässig – eben wie Beckmann – die Zigarette zwischen den Fingern haltend und nichts und niemanden scheuend, auch keine roten Mähnen oder vampirähnliche Wesen. Was ist mit dem Mann im Maler bloß in den neun Jahren passiert? Das ist zu einfach gefragt, denn die Widersprüchlichkeit war Munch immanent.
So malt er auch kurz hintereinander in anderen und späteren Fassungen im Munchmuseum je einen selbstbewußten Munch, der triumphierend seinen Pinsel hält und dann einen, in dem er sich selber als menschlichen Pinsel gibt, lustlos, kraftlos vor der Weinflasche hockend. Munch ist eben nur im Doppelpack der Gegensätze zu haben. Um so mehr freut man sich an der kraftvollen, auch ästhetisch gelungenen Fassung in der Nationalgalerie. Wen aber die Selbstporträts, die vielen, so fesseln, wie uns (Zwischen Uhr und Bett, 1940!), der muß in das Munchmuseum, was sowieso in Oslo Pflicht ist. Auch hier also mit zwei Museen Edvard Munch im Doppelpack.
Auch das Gemälde der Schwester Inger von 1884 ist in der Nationalgalerie ein Meisterwerk, wir finden noch ein weiteres von 1892, ein ebenfalls sehr schönes Porträt von ihr im großen Viereck. Es sind einfach perfekte Bilder, die hier präsentiert werden, der Schriftsteller Hans Jaeger von 1889, das so bekannte Gemälde „Das kranke Mädchen“, von dem es ebenfalls viele Fassungen in vielen Techniken gibt, aber dieses, das von 1885-86, ist das anrührendste. Und wieder einmal „Die Tote im Krankenzimmer“, ähnlich dem erwähnten im Munchmuseum, aber irgendwie expressionistischer, flacher gemalt. Und hier die „Madonna“, die Fassung, die eine hinreißende und hingerissene Frau zeigt, ganz ohne Embryos und andere Beschädigungen weiblichen Selbstbewußtseins und Selbstvergessenheit. Hier ist ein Grundgefühl jeder Frau niedergemalt, wenn sie sich ganz als Frau fühlt.
„Der Tag danach“ von 1894-95 ist so wunderbar wie der Tanz des Lebens und hier ist der „Schrei“, den wir im Munchmuseum als Pastell und als Druck bewunderten, als Gemälde in der Fassung von 1893. Und das bekannte mit den „Drei Mädchen auf der Brücke“ hängt hier auch. Doch, das fällt jetzt schon auf, daß alles diese Bilder vor 1900 gemalt sind. Also der junge Munch, noch keine vierzig! Aber gerade diese Periode erschien doch im Munchmuseum als angstbesetzte und angsteinflössende Zeit. Die Widersprüche wieder einmal. Nach 1900 gibt es vermehrt die malerische Auseinandersetzung mit „Der Maler und sein Modell“, die im Munchmuseum anzuschauen sind. Mal spricht aus den Bildern eine große Nähe, wie die Kopf an Kopf Variante von 1905, mal eine berufliche Distanz.
Es wäre ein Fehler, den Menschenmaler Munch nicht auch als einen Meister der Landschaft darzustellen. Hier ist es der Thüringerwald von 1905, der so expressionistisch daherkommt, wie es nur geht, mit seinen tiefgrünen hochschießenden Tannen und der aufgerissenen roten Erde zwischen grüngelben Hügeln und Wäldern, ja vor allem Wäldern. Auch die benachbarte „Deutsche Landschaft mit Burg“ ist tief expressionistisch. Munch verehrten ja auch diejenigen, die als Deutscher Expressionismus eine eigene Stilrichtung prägten.
Der „Tod des Marat I“ im Munch Museum von 1907 gibt Rätsel auf. Man sieht die unbenannte Charlotte Corday, die Mörderin, daneben stehen, aber irgendwie auch wie tot, leblos zumindest, erstarrt ob ihrer Tat. An Brüssel muß man denken, wo das Bild hängt, das J.L. David als seinen berühmten Marat in der Badewanne zum Gedächtnisbild einer ganzen Zeit geraten ließ. Es ist das, was man unser kulturelles Gedächtnis nennt und Munch muß vom Thema besessen gewesen sein, gilt es doch wieder dem Antagonismus von Mann und Frau, wo der Mann daran glauben muß. In der zweiten Fassung von 1907 steht die Mörderin quer vor dem Bett in Schräglage. Was sich sonst verändert? Das ergibt sich erst zwei Räume weiter. Dort gibt es das Porträt einer Hübschen. Sie trägt ein Hütchen der Zwanziger Jahre und ein ebensolches Gewand mit einer Rose am Herzen. Betitelt ist es mit Charlotte Corday, also die Mörderin des Marat. Wo sind hier die Sympathien? Das ist eindeutig.
Zu kurz gekommen sind trotz aller Länge über Munch die ganzen Eifersuchtsbilder, von denen ein hochexplosives im Frankfurter Städelmuseum hängt, zu kurz trotz der vielen Erwähnungen die Selbstporträts, die vor allem in den Altersfassungen gnadenlos einen verbitterten Alten zeigen, krank, beschämt, verbraucht, am Ende. Das mußte der Maler malen, damit er weiterleben konnte. Und zu kurz gekommen sind auch die Radierungen, die aber ebenfalls uns durch die Reproduktionen besser bekannt sind als viele, der hier im Munch Museum hängenden Bilder.
Aber diese Artikel sollten ja auch den Anreiz schaffen, sich Munch in Oslo original anzuschauen. Dann sehen Sie auch das eindrucksvolle Porträt von Rolf Stenersen von 1925. Wir haben keine Ahnung, kennen nur den Verlag und sehen im jungen Mann den Verleger. Mitten aus Graublau leuchtet ein sinnlicher Mund, blaue Augen durchbohren uns, die Haltung aber ist gebückt und er steht mit gefalteten Händen vor aus. Das interessiert uns, darüber möchten wir mehr wissen. Die Ausstellung ist aber zu Ende und wer weiß, wo es mit Munch und uns und Ihnen einmal weitergeht.
Die Frage von 2007 ist beantwortet: in Frankfurt, Paris und London!
www.munch.museum.no
www.nationalmuseum.no
Munch-Literatur:
Ulrich Bischoff, Munch, Taschen
Arne Eggem, Edvard Munch, Stenersen Verlag 1995
Rosemarie E. Pahlke, Munch revisited, Kerber Verlag 2005
Edvard Munch in der Nationalgalerie, Oslo 1998
Dieter Buchhart (Hg.), Ziechen der Moderne. Edvard Munch, Ausstellungskatalog Hatje Cantz 2007
Munch im Munch Museum Oslo, Messer Verlag, Scala London, 1998
Reiseliteratur:
Michael Möbius/Annette Ster, Norwegen, DuMont Richtig Reisen, 2006
Allgemeine Informationen
Norwegen: Innovation Norway/Norwegisches Fremdenverkehrsamt, www.visitnorway.de
Oslo: Visit Oslo, www.visitoslo.com/de
Bergen: Visit Bergen, www.visitbergen.com
Flåm: Visit Flåm, www.visitflam.com
Anreise per Schiff
Color Line, www.colorline.de