Vor 200 Jahren legte Johann Friedrich Städel den Grundstein für Deutschlands älteste Museumsstiftung: das Städel
Sabine Börchers und Siegrid Püschel
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Am 15. März 1815 unterzeichnete der Frankfurter Kaufmann Johann Friedrich Städel sein Testament. Damit gründete er die älteste private Museumsstiftung Deutschlands und erwies sich auch beim Konzept der Institution als Visionär. Das weiß in Frankfurt fast jeder, denn regelmäßig ist das Städel das beliebteste Museum der Einwohner.
Diese Ausarbeitung kommt von der Stadt: „Im Namen Gottes“, so überschrieb Johann Friedrich Städel vor genau 200 Jahren seinen letzten Willen, mit dem er den Grundstein für eine der ältesten privaten Kunstsammlungen Deutschlands legte. Der am 1. November 1728 geborene Frankfurter zählte damals zu den drei reichsten Bürgern der Stadt. Geld und Firma hatte er von seinem wohlhabenden Vater geerbt. Als ebenso erfolgreicher Gewürz- und Spezialitätenhändler sowie als Bankier vermehrte er das Vermögen weiter.
Begeistert von holländischen Meistern
Städel ging schon als junger Kaufmann für Wareneinkäufe auf ausgedehnte Reisen, unter anderem nach Amsterdam, wo das Frankfurter Handelshaus eine Niederlassung hatte. Bei diesen Gelegenheiten dürfte er sich auch der Kunst gewidmet haben, schreibt der Kunsthistoriker Jochen Sander in der Festschrift, die zum 200. Geburtstag des Museums erscheint. Städel war besonders begeistert von den holländischen Meistern des 17. Jahrhunderts, er kaufte aber auch flämische, deutsche, französische und italienische Arbeiten, vor allem Landschaften und Historienbilder. Bald füllten die Kunstwerke alle Wände seines großbürgerlichen Anwesens am Roßmarkt, das er auch gerne Besuchern öffnete.
Als er 1816, ein Jahr nach der Testamentsunterzeichnung starb, hinterließ er der neuen Stiftung „Städelsches Kunstinstitut“ nicht nur dieses stattliche Gebäude samt der 476 Gemälde, rund 4.600 Zeichnungen und knapp 10.000 Druckgrafiken darin, sondern auch sein Vermögen von 1,3 Millionen Gulden. Zunächst konnte sein Wunsch, Frankfurt das erste öffentliche Kunstmuseum zu schenken, allerdings nicht realisiert werden. Entfernte Verwandte des kinderlosen und unverheirateten Mannes hatten das Testament angefochten. Der elf Jahre währende Streit endete schließlich in einem Vergleich, so dass die Museumspläne doch noch umgesetzt werden konnten.
Erziehung und Bildung durch Kunst
Dabei ging es Johann Friedrich Städel um mehr als die Ausstellung seiner Werke. Im Sinne der Aufklärung sollte seine Kunst wesentlich zur Erziehung und Bildung des Menschen beitragen. Er widmete deshalb seine Stiftung den Bürgern der Stadt mit den Worten, sie möge die Bürgerschaft „zieren und ihr nützlich werden“. Dabei hatte er nie den Anspruch, seine Sammlung als abgeschlossen zu betrachten. Er ermöglichte den von ihm eingesetzten fünf Administratoren aus der Bürgerschaft, Werke zu verkaufen und sie durch qualitativ höherwertige zu ersetzen. Von seinen Gemälden sind daher heute nur noch 70 Bilder im Städel vorhanden.
Der Stifter legte zudem fest, dass in dem Institut angehende Künstler ausgebildet werden sollten und gründete damit die heutige Städelschule, die damals ein Teil des Museums war. Dort sollten die jungen Künstler Vorbilder für ihre Werke studieren können. Wie in einem mittelalterlichen Werkstattsystem arbeiteten sie mit ihren Lehrer eng zusammen. Auf diese Weise förderte Städel zugleich die zeitgenössische Kunst, eine für damalige Zeiten einmalige Idee, wie Thomas Gaehtgens, der Direktor des Getty Research Insitute in Los Angeles in seinem Text für die Festschrift betont: „Es entstand in dieser Epoche keine andere der Kunst gewidmete Institution, die Bildung und Ausbildung als Ziel einer privaten bürgerlichen Initiative definierte.“
Viele folgten Städels Beispiel
Noch bei der Übersiedlung des Museums vom Roßmarkt in ein nicht weit entferntes Palais in der Neuen Mainzer Straße im Jahr 1833 blieben Ausstellung und Ausbildung eine Einheit. Erst im Neubau am Schaumainkai, der nach Plänen des Architekten und Städelschul-Lehrers Oskar Sommer im November 1878 fertiggestellt und eröffnet wurde, erhielten die Schule und das Museum zwei getrennte Häuser. Bis heute bildet das neobarocke Museumsgebäude, an dessen Eingang die Statuen von Albrecht Dürer und Hans Holbein d.J. die Gäste empfangen, den Blickfang vom anderen Mainufer aus. Die mittlerweile eigenständige Städelschule liegt dahinter.
Dem Beispiel des Stifters, sich für die Kunst zu engagieren, folgten in den 200 Jahren nach ihm viele Frankfurter Bürger. So gründete sich bereits im Jahre 1899 der Städelsche Museums-Verein, der heute mehr als 7600 Mitglieder zählt und mit dafür sorgt, dass die Städel-Sammlung weiter wächst. Etwa ein Drittel des gesamten Bestandes seien Schenkungen, schätzt der Städel-Direktor Max Hollein. 1907 gründete die Stadt zudem mit dem geerbten Vermögen eines Farbikbesitzers innerhalb der privaten Städelstiftung eine Städtische Galerie für Moderne Kunst.
Einzug und Verlust der Moderne
Der Kunsthistoriker Georg Swarzenski war zu Beginn des 20. Jahrhunderts der erste Direktor, der beide Institutionen leitete. Unter seiner Führung hielt die Moderne, insbesondere die französische Kunst des 19. Jahrhunderts von Courbet, van Gogh, Delacroix bis zu Monet und Degas, Einzug ins Museum. Er förderte auch die deutsche Moderne, insbesondere den deutschen Expressionismus. „Mit der Vereinigung von älterer und moderner Kunst unter einem Dach wurde das Museum am Schaumainkai eine europäische Attraktion“, schreibt Gaehtgens. Die Zahl der Besucher sei von rund 2000 in 1918 auf 56.000 im Jahr 1921 gestiegen.
Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten musste Georg Swarzenski miterleben, wie die Sammlung moderner Kunst als entartet diffamiert und zerstört wurde. Seit 1936 wurden 680 Kunstwerke entfernt, darunter Bilder von van Gogh und Max Beckmann. Die Städtische Galerie musste 76 Gemälde abgeben. Zugleich wurden dem Haus zwischen 1933 und 1945 insgesamt 779 Gemälde, vielfach alte Meister zumeist aus jüdischen Sammlungen und aus dem besetzten Ausland zugeführt. „Von diesen Erwerbungen sind gleich nach Ende des Krieges die Mehrzahl durch die Alliierten restituiert worden“, betont Max Hollein. Das 1943 geschlossene Museum konnte aufgrund zahlreicher Kriegsschäden erst 20 Jahre später wieder für die Besucher geöffnet werden.
Mehr Platz für Kunst
Heute umfasst die Sammlung des Städel 3000 Gemälde, mehr als 4000 Fotografien, rund 600 Skulpturen, 100.000 Zeichnungen und Druckgrafiken sowie eine Präsenzbibliothek mit rund 100.000 Büchern. Zwei Erweiterungsbauten aus den Jahren 1990 und 2012 sorgen für mehr Platz auch für den großen Bestand an Gegenwartskunst. Im Jubiläumsjahr steht ein weiterer umfassender Ausbau an, wenn auch ein virtueller. Seit kurzem können sich Besucher auf der Internetseite mit so genannten „Digitorials“ auf eine Ausstellung vorbereiten. Die Bandbreite des digitalen Museums reicht von der Städel-App über eigens entwickelte Computerspiele für Kinder bis zu Online-Kunstgeschichtskursen. Das Projekt sei eines der innovativsten im derzeitigen Museumsbereich, betont Hollein.
Bis heute hat das Städel Museum als Stiftung privaten Rechts das Erbe seines Gründers bewahrt und sich auf seiner Grundlage zu einem der angesehensten Kunstmuseen Europas entwickelt. Noch immer lenken fünf Administratoren seine Geschicke. „Die innere Verbindung der Bürgerschaft Frankfurts und des Rhein-Main-Gebiets zum Städel ist das Erfolgsrezept des Hauses“, betont Nikolaus Schweickart, Vorsitzender der Städel-Administration. Deshalb feiert das Haus das Jubiläum am 15. März mit einem großen Bürgerfest und das gesamte Jahr über mit hochkarätigen Ausstellungen.
INFO:
Am 15. März lädt das Städel zu einem großen Bürgerfest ein. Zwischen 10 und 20 Uhr wird es bei freiem Eintritt ein vom hr-Sinfonieorchester musikalisch begleitetes buntes Programm aus Führungen, Workshops und Veranstaltungen geben.
Die Festschrift „...zum Besten hiesiger Stadt und Bürgerschaft. 200 Jahre Städel“ mit Texten von Max Hollein, Jochen Sander, Thomas Gaehtgens, den Schriftstellern Florian Illies und Martin Mosebach unter anderem erscheint im März im Prestel Verlag.