Mit einem Abstecher begehbare Installation von Alicja Kwade – Schirn Kunsthalle Frankfurt Römerberg, bis 14. Juni 2015
Heinz Markert
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Wie wäre es, wenn über unseren Köpfen tatsächlich ein verkleinertes, aber doch gekonnt übermächtig nachgestelltes Planetensystem, in dem gar noch eine Uhr im klassischen Stil der alten Bahn sich mitbewegt, kreisen würde.
Das System wäre andauernd Anlass für ein gespanntes Hinschauen und Mitvollziehen der kreisenden, nicht enden wollenden Bewegung nach der recht stumpfsinnig, aber genial – weil in sich stabil - erscheinenden Gesetzmäßigkeit der kosmischen Mechanik. Die Anordnung wäre auch ein dauernder Hinweis auf die Dürftigkeit einer minimalen Zeiteinteilung durch die Uhr in Anbetracht des riesigen Weltraums. Aber wie es immer so ist, es gibt auch ein paar Verständnislose für die Versuchsanordnung künstlerischer Art.
Die meisten sind gebannt, ein paar schleichen sich weiter
In dieser oder ähnlicher Weise kann eine bewegte Anordnung seit dem vergangenen Mittwoch nachvollzogen werden in der leicht begehbaren Rotunde der Schirn Kunsthalle. In der Kuppel der Rotunde kreist ein an einem Seil festgeschlungener Stein – einem kosmischen Asteroiden ähnlich - , der sich im unmittelbaren Gegenüber zu einer in gleicher Weise bewegt aufgehängten Uhr befindet – gestaltet in der klassischen Form des Bahndesigns. Insofern die Zeitzählmaschine und die Steinform sich - wenn auch mit einer geringen Differenz - symmetrisch am Seil hängend umeinander drehen, ist von der Figur des Drehpendels zu sprechen.
Das Pendalartige und Kreisende ist das im Werk Vorgegebene: es ist Präsupposition. Ein turnusmäßiges Ticken der Uhr schlägt dem System aus kosmischem Stein und Zeitzählwerk den beständigsten Rhythmus. Ein gewisses Weh ist zu empfinden im Ohr. Ein wenig an körperlicher Anrückung dadurch auch. Unablässige Bewegung und rhythmische Wiederholung lässt uns dennoch gebannt nach oben schauen und die Bewegung anhaltend verfolgen. Man mag sich ihr gern widerstandslos überlassen.
Bewegung selbst ist eine unsterbliche Entiät, ein unerklärlich Vorausgesetztes. Ohne sie wären wir nicht so wie wir sind. Wir wären gar nicht da im Universum. Sie gilt, ohne dass damit Sinn garantiert wäre. Das auf Bewegung eingestellte Animalische mag sich nur ungern abwenden bzw. entziehen, ein maschinell tönendes Tacken des Sekundenzeigers ist feste, zugleich Sicherheit wie tönenden Zauber vermittelnde Größe.
Natur und Wissenschaft
Der in der Schirn-Rotunde bis 14. Juni beheimateten Installation „ Die bewegte Leere des Moments“ der Künstlerin Alicja Kwade sind schon verschiedene andere, durchaus ähnliche oder vergleichbare vorausgegangen, z.B. die mit dem konkav schwingenden Pendel im großen Kirchenschiff, an dessen Ende knapp über dem Boden eine dürftig leuchtende Glühbirne mitschwingt. Dieser Bewegung ist aufgrund der stringenten Pendelbahn tunlichst auszuweichen. Immer auch sind Installationen dieser Art zugleich Variationen auf das Pendel des Physikers Léon Foucault, das 1851 erstmals zum öffentlichen, begehbaren Erlebnis wurde. Auch mitzubedenken ist, dass das Foucaultsche Pendel die Erdbewegung mitvollzieht, d.h. sie ist auch sichtbar zu machen, wenn entsprechende Vorkehrungen getroffen werden. Eine der Schwestern dieses Pendels war während der letzten documenta im Trakt der Orangerie Kassel integriert.
Na, und wenn schon Weltraum und Zeitlichkeit - naheliegend, dass dann universale Gegebenheiten und Reflexionen wie: Ewigkeit und Zeitlichkeit, Dasein und Nichtsein, Wandel und ewige Wiederkehr des Immergleichen – was dem Beharren bedenklich nahekommt - durch eine Anordnung wie jene von Alicja Kwade Aktualisierung erfahren. Die Installation pendelt zwischen Heraklit (Wechsel und Werden) und Parmenides (unveränderliches, unvergängliches und unentstandenes Sein). Das Allgemeine daran ist dem aufgeklärten Menschenverstand schon einsichtig, aber die überzeugende Verdeutlichung und Sichtbarmachung ist die schwierige Aufgabe der Kunst - die sich dafür am besten eignet.
Die Anordnung lädt ein zu durchaus eigenen wie eigensten Interpretationen, vor allem aber zum sinnlichen Mitvollziehen des im Raum bewegten Werks zwischen den Geschäftigkeiten der Umgebung, wobei die Bewegung doch etwas mehr auf der Seite des Heraklit stehen dürfte.
INFO:
Die Künstlerin Alicja Kwade ist 1979 in Kattowitz, Polen geboren und arbeitet in Berlin. Dort studierte sie von 1999 bis 2005 an der Universität der Künste. Ihre Arbeiten wurden in den vergangenen Jahren in verschiedenen Einzel- und Gruppenausstellungen gezeigt, etwa im Hamburger Bahnhof in Berlin (2008), im Kunstverein Hannover (2012) oder im Haus Ester in Krefeld (2013/14). Vor kurzem hat sie eine Ausstellung in der Kunsthalle Nürnberg eröffnet.' ( aus der Presseinformation)
Der Ausstellungskatalog wird zum Vorzugspreis von 14 Euro erhältlich sein.
Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main, Römerberg, bis 14. Juni 2015