Harry Croner im Märkischen Museum in Berlin
Helmut Marrat
Berlin (Weltexpresso) – Der Titel der Ausstellung, die noch bis Ende Juni 2015 in Berlins Märkischem Museum zu sehen ist, kommt nicht von ungefähr: Denn Harry Croner fotografierte am liebsten Theaterpremieren, Konzerte, Ballett, Opern-Inszenierungen, Gala-Veranstaltungen.
Das ist die eine berechtigte Erklärung für den Titel; die andere besteht darin, dass West-Berlin zu einer Bühne westlicher Freiheit wurde, ein Schaufenster des Westens, - oft ganz bewusst mit dieser Aufgabe betraut -, - denn was sonst hätte die westliche Stadthälfte Berlins sonst sein sollen, nachdem kar war, dass sich das politische Leben an den Rhein verlagert hatte.
Harry Croner, geboren am 16.3.1903 in Berlin, väterlicherseits mit jüdischem Hintergrund, begann nach der Mittleren Reife eine kaufmännische Lehre, die ihn auch mit der Werbe-Branche in Verbindung brachte. Von da war der Schritt zur Fotografie nicht mehr allzu weit. Mit dreißig Jahren, 1933, eröffnete er sein erstes Foto-Geschäft in Berlin-Wilmersdorf, das erst Ende des Krieges zerstört wurde.
1940 war Croner als Kriegsberichterstatter an die Westfront eingezogen worden, wo er dann auch den siegreichen Einzug der Wehrmacht nach Paris, der die durch den 1. Weltkrieg in Unordnung geratenen Kräfteverhältnisse korrigierte, ablichtete. Wegen seiner halbjüdischen Abstammung wurde Cromer anschließend jedoch als wehrunfähig entlassen und konnte so sein Geschäft wieder betreiben, bis auch hier Restriktionen der Nazis ihm nur noch die Laborarbeit übrig ließen und genehmigten. Diese Front-Verschonung dauerte aber nur bis Mitte 1944 an: Croner wurde in ein Arbeitslager an der französischen Kanalküste zwangsverpflichtet, das entsprechend dem Frontverlauf immer weiter zurückverlegt werden musste. Ein Jahr lang befand sich Croner anschließend in amerikanischer Gefangenschaft.
Zurück in Berlin widmete sich Harry Croner zuerst der beschädigten und teilzerstörten Stadt. Hier sind hochinteressante Fotos entstanden, die Vieles festhalten, was leicht hätte gerettet werden können, wenn es denn im Interesse der Bestimmenden gewesen wäre. Mit der Festigung West-Berlins festigte sich auch der Umfang der fotografischen Tätigkeiten Harry Cromers. Er fotografierte alles, was wichtig war, arbeitete für mehrere Zeitungen und Agenturen, denen er seine Fotos verkaufte. Er selbst bezeichnete sich in den 1960er Jahren als "Bildjournalist". Sein Credo war die dokumentarische Fotografie. Nicht Kunst zu machen, sah er als seine Aufgabe an. Dennoch gelangen ihm oft atmosphärisch dichte Fotos, denen ein künstlerischer Wert anhaftet.
Ein Begleitbuch für den späteren Gebrauch
Die Ausstellung im Märkischen Museum, - das in jedem Fall einen Besuch wert ist -, zeigt natürlich nur einen Bruchteil seiner Arbeiten. Nicht anders verhält es sich mit dem im Verlag M zuvor veröffentlichten Buch BÜHNE WEST-BERLIN, dem die Ausstellung gefolgt ist. Dieses Buch ist also kein Katalog dieser Ausstellung, auch wenn sich ein Großteil der Bilder überschneidet. Das Buch geht aber noch über die Ausstellung hinaus, was einen großen Gewinn bedeutet. Hier wie dort galt es, aus einem Bestand von 100.000 Positiven und über 1,3 Millionen Negativen repräsentativ auszuwählen; das Buch verfolgte dabei sogar die Absicht, die verschiedenen Motiv-Themen von Croners Arbeit proportional zum Gesamtbestand zu zeigen – anhand von nur und immerhin 300 Schwarzweiß-Abbildungen.
Diese Aufgabe hat das Buch überzeugend gelöst. Es enthält zudem drei lesenswerte Essays von Peter Schwirkmann (über die Geschichte der Bilder, vor allem West-Berlins), von Jacob Steinberg (über den biografischen Werdegang) und schließlich einige fototechnische Anmerkungen des Fotografen Friedhelm Hoffmann, der mit der Digitalisierung der Bilder und Negative beschäftigt war.
Buch und Ausstellung
Egal: Wer also die Ausstellung besucht oder auch nur das Buch durchblättert (oder auch beides) bekommt einen Ablauf des Lebens von West-Berlin präsentiert: Die kriegsbeschädigte Stadtlandschaft mit Bettlern und Trümmerfrauen; die ersten kulturellen Ereignisse wie die Aufführung von "Des Teufels General" von Zuckmayer mit O.E. Hasse als Fliegergeneral Harras, 1948 im Schloßparktheater; "Die Fliegen" von Sartre, im selben Jahr inszeniert von Jürgen Fehling am Hebbeltheater, oder Helene Weigel als Mutter Courage mit ihrem Marketenderinnen-Planwagen im beginnenden Berliner Ensemble, 1949.
In den 1950er Jahren kommen erste Mode-Schauen hinzu; die feierliche Eröffnung des wieder aufgebauten Schillertheaters 1951, mit einer ehrenden Reminiszenz an seinen vormaligen Intendanten Heinrich George, der vier Jahre zuvor in russischer Haft umgekommen war, indem sein Sohn Götz, gerade dreizehn Jahre alt geworden, den Sohn von Wilhelm Tell spielen durfte, dem in der berühmtesten Szene der Apfel vom Kopf geschossen wird. Das war auch ein rafinierter Publicity-Schachzug von Boleslaw Barlog, dem neuen Intendanten des Hauses; und es drückte sich auch etwas von Kaltem Krieg in dieser Bezugnahme aus.
Was noch gab es in Berlin? Sechstagerennen im Sportpalast, der 1973 für einen häßlichen Wohnklotz abgesissen wurde; wie spannend wäre es, heute diesen Ort zu betreten, in dem die berühmt-berüchtigte Rede vom "totalen Krieg" gehalten wurde!; Günther Pfitzmann als Kabarettist im Pappmaché-Maul des Nilpferds "Knautschke", das mit Berlin so eng verbunden war; Titania-Palast und Johannes Heesters; Seifenkistenrennen am Kaiserdamm; der wunderbare Werner Finck; der Wiederaufbau des Zoos; Motorrad-Vorführungen der Polizei; - und dann der 17. Juni 1953, als russische Panzer den Befreiungsaufstand der Bevölkerung niederwalzten; die rote Fahne war bereits von Arbeitern vom Brandenburger Tor gerissen und die west-deutsche Fahne gehisst worden; vermutlich hätte es 1953 schon die Wiedervereinigung gegeben.
Dieser Tag machte aber deutlich: Die Regierenden der DDR werden durchs russische Militär gedeckt. Erst 35 Jahre später, als Gorbatschow die Satellitenstaaten der UdSSR in ihre Freiheit entließ, konnte das menschenverachtende System der DDR zusammenbrechen. Aber das greift vor. Denn die Ereignisse von1953 zeigten, dass der Bestand der DDR gegen die Freiheit der Bevölkerung gesichert werden musste. So kam es acht Jahre später zum Mauerbau. Die Trennung zwischen Ost und West war vollzogen.
Billy Wilder bekam das zu spüren, als er "Eins, Zwei, Drei" / "One Two Three" 1961 in Berlin inszenierte – und das Brandenburger Tor in den Münchner Bavaria-Studios noch einmal nachbauen musste, weil das wirkliche Tor inzwischen mit Beton und Stacheldraht geschlossen worden war.
Die Freie Universität wurde in Dahlem gebaut; eins ihrer großen Gebäude heißt "Henry-Ford-Bau"; die Orientierung auf die USA geschah im Westen ebenso wie die Ausrichtung nach Moskau in der DDR. - Bis zu den Greueln des Vietnam-Krieges; hier erfolgte ein entscheidender Riß; und der Sozialismus wurde gewissermaßen auch im Westen hoffähig und etabliert: Zunächst als Oppostion, später, abgeschwächt, in der Bundesregierung. Im Osten wuchs dagegen eine kapitalismus-interessierte und später in der Kirche ihren Freiraum findende Opposition heran. -
Maria Callas kam zu Besuch; James Stuart; Lionel Hampton; Le Corbusier; und schließlich und bei der Bevölkerung keineswegs unumstritten Marlene Dietrich; später Ella Fitzgerald und Oscar Peterson. Heinz Ehrhardt, Friedrich Luft und John F. Kennedy sind zu sehen; Wolfgang Neuss; Karajan und Martin Luther King. Tilla Durrieux, die berühmte Reinhardt-Schauspielerin und ehemalige Gattin des Kunsthändlers Paul Cassirer, kam zurück. Erwin Piscator wurde an die neue Freie Volksbühne als Intendant gerufen, denn die alte Volksbühne lag ja im Osten. Und so erhielt Berlin als Gesamtheit durch die Teilung viele Einrichtungen doppelt, die heute ein großer Gewinn für diese Stadt sind: Theater, Opernhäuser, zwei zoologische Gärten, U- und S-Bahn-Linien oft parallel, aber keineswegs irgendwo überflüssig, sondern beidseitig bereichernd.
Das alles wird hier in diesem reichhaltigen Buch (und teils auch in der Ausstellung) dokumentiert und nacherlebbar. Peter Handke tritt auf; Peter Stein übernimmt die Schaubühne, formt sie erst zur Weltgeltung; die Stars und Schöpfer des Films "Der Himmel über Berlin" (1988) werden gezeigt; - und schließlich auch der unselige Kulturminister und -zerstörer Momin, der die Schließung des Schillertheaters verbrach ...
Da befindet sich Berlin schon im Niedergang, den auch die Spar-Maßnahmen nach der Wiedervereinigung auslösten. Doch seither hat sich Berlin wieder erholt. Und entwickelt sich weiter. Der Hauptstadt-Bonus macht sich hier bemerkbar. So wie die Stasi-Schergen des DDR-Regimes ihr brutales Handwerk zurückhielten oder zumindest mäßigten, sobald westliche Kamera-Teams auftauchten, so bemüht man sich heute, Berlins kulturelle Werte zu erhalten und sogar, tatsächlich rühmenswerter Weise!, auszubauen, denn eine kulturelle Blüte spricht immer für den Gärtner ...
Zu dieser Blüte zählt auch das Märkische Museum, das nach und nach restauriert wird, um in absehbarer Zukunft den Platz einnehmen zu können, der ihm möglich sein dürfte. - Die Harry Croner – Ausstellung ist ein Beleg für diese gelungene Arbeit. Das Harry Croner – Buch ohnehin.
Info:
Die Ausstellung Bühne West-Berlin, Fotografien von Harry Croner aus vier Jahrzehnten,
läuft noch bis zum 28.6.2015.