DER FOTOGRAF WERNER PAWLOK BEI LUMAS, HAMBURG

 

Helmut Marrat

 

Hamburg (Weltexpresso) - Ein Donnerstag. Ende Februar. Genau: 26.2. Abends. Eröffnung der Foto-Ausstellung der KUBA-Bilder von WERNER PAWLOK bei LUMAS.

 

LUMAS ist wohl das profilierteste Foto-Ausstellungs-Zentrum unseres Landes. Die Fotos von Werner Pawlok heißen: „Made in Cuba“. Es sind schon beeindruckende Aufnahmen. Genau genommen aber heißt der Titel: „Made In Cuba – Cuba Expired: The Sequel“. Das bedeutet übersetzt in unsere leider gefährdete Sprache etwa: „Hergestellt in Kuba – Kuba abgelaufen: Das Nachspiel“.

 

Es handelt sich also um fotografierte Objekte, die nicht mehr lange zur Verfügung stehen dürften. Kuba wird nicht Kuba bleiben, jedenfalls nicht das Kuba des morbiden, verfallenden Charmes, das wir seit vielen Jahren kennen, seit die Revolution von Fidel Castro nach und nach allen Fortschritt abgewürgt hat, (wie es allen kommunistischen Diktaturen eigen war). Denn auch in Kuba wird der westliche Kapitalismus einziehen. Die uralten US-amerikanischen Straßenkreuzer der 1950er Jahre, die immer noch und immer wieder repariert wurden, weil Ersatz nicht zur Verfügung stand, werden aus dem Straßenbild ebenso verschwinden wie die riesigen, ebenfalls amerikanischen Kühlschränke aus den Häusern, Küchen und Wohnungen.

 

Überhaupt die Wohnungen: Die Menschen leben auf Pawloks Fotos noch in ehemals großbürgerlichen Palästen mit reichen Stuckdecken und herrschaftlichen Treppenaufgängen. Das wird bleiben, sofern diese Gebäude nicht dem Hunger und der Gier der einbrechenden Bauindustrie weichen müssen. Und sofern es dann einen wirksamen Denkmalschutz gibt, der sich wirksam wird durchsetzen können. Die mögliche Korruption hier könnte man sich ausmalen!

 

Selbst in Hamburg, also einer geordneten, westlichen Stadt, (würde man annehmen), sollte der Denkmalschutz etwas bewirken können. Aber er bewirkt in Hamburg gar nichts. Es ist die überflüssigste Behörde! Nun, das am Rande! (Aber man soll es nicht übersehen!)

 

Diese herrschaftlichen Wohnräume machen den Eindruck von Verlassenheit. Das alte Leben ist verschwunden, entschwunden – und nun haben sich andere Menschen, die einst hier nicht gewohnt haben, sich eingenistet. Man könnte sagen: Die Herrschaft hat das Haus verlassen, die Dienerschaft von einst hat es dann für sich in Besitz genommen. Das macht den Charme dieser Wohngebäude, ihr Gefühl von Freiheit und unendlicher Zeit – und nicht zuletzt natürlich dieser Fotografien von Werner Pawlok aus, der diese Gefühle sehr gut übertragen kann. Was würde die beste Foto-Ausrüstung nützen, wenn man nicht wiedergeben könnte, was wiederzugeben ist? Lieber ein erstklassiger Fotograf mit einer schlechten Kamera als ein untalentierter Fotograf mit einer Super-Ausrüstung.

 

Bei Werner Pawlok kommt beides zusammen: Nämlich in beiden Fällen sehr gute Qualität. Zeit: Kuba als Dornröschen-Schloss, doch die Zeit des Schlafes und zeitlupenhaften Verfalls nähert sich seinem Ende. Daher „Cuba expired“. (Wird man es noch kennenlernen können? Fraglich.) Die Herrschaft wird ihre alten Gebäude wieder in Besitz nehmen. Die Wände werden wieder verputzt und neu gestrichen werden. Die Zeit wird weitergehen. Die Klingelknöpfe werden wieder strahlen. Die Briefkästen gerade hängen. Die Räume werden wieder elegant gefüllt werden. Die abgenutzten Sofas verschwinden. Hochglanz wird einziehen oder ebenso sauberer Mattglanz, poliert. Vielleicht wird sogar das jetzt noch ruinenhaft-bewachsene Theater wieder aufgebaut werden. Der gerissene Film wird geklebt sein – und wieder ansetzen. Das alles ist vorstellbar. Aber, natürlich: Es wird auch etwas verloren gehen: Nämlich Phantasie und Freiheit. Alles hat seinen Preis. Jetzt erinnern die Häuser noch an eine leere Schauspielbühne – und ermöglichen daher alle Phantasie der Welt. Wenn sie erst wieder angefüllt sind, sind sie auch festgelegt. Diesen Verlust meint der Titelzusatz „expired“.

 

Abgelaufen aber sind die Fotos Werner Pawloks bisher nicht. Vielleicht wird das kommen. Auch Foto-Kunst unterliegt ja der Alterung. Jetzt aber sind sie neu – und in einem sehr ansprechenden englisch-deutschen Bildband (bei Avenso) herausgekommen. Warum beeindrucken die Fotos? Als ich sie kennenlernte, vermutete ich, Pawlok habe mit künstlich hinzugezogener Beleuchtung gearbeitet, denn schon das Titelbild (und nicht weniger die vielen spannungsreichen Bilder des Kataloges) bieten Sichtweisen und vor allem Beleuchtungen, die auf natürlichem Wege nicht zu erreichen gewesen wären.

 

Vom Künstler aber erfahre ich dann, auf welche Weise er diese sich teilweise, so scheint es, sich geradezu widersprechenden Beleuchtungen erzeugt hat: Nicht durch zusätzliche Beleuchtung, sondern durch zusätzliche Belichtung! Es gibt also Partien in den Fotos, die intensiver, länger belichtet wurden als andere. Das Ergebnis ist, dass Pawlok allen, auch den verschiedensten Beleuchtungssituationen seiner Objekte gerecht werden kann. Natürlich wäre dieses Ergebnis durch aufwendige zusätzliche Beleuchtung ebenfalls zu erreichen gewesen. Ob hinzugefügt wird oder ob die Tore weiter geöffnet werden, ist im Endeffekt gleichgültig. Die Wirkung aber ist eine ausgeglichene Weitläufigkeit. Man erblickt in jedem Bild sozusagen mehrere Bilder, je nach dem, wie viele Beleuchtungssituationen vorhanden sind. Und entsprechend bewegt sich auch der eigene Blick auf dem Foto. Das fasziniert einerseits und meistens; in einzelnen Fällen führt dieser künstliche Ausgleich auch zu einer Abnahme der Spannungsverhältnisse. Dann langweilen die Bilder auf längere Sicht. Und doch: Auch da bleibt ein Staunen über die Brillianz, über die technische Perfektion. Insofern kehrt man doch immer wieder zu diesem Buch zurück. Und was könnte seinen Wert besser kennzeichnen?

 

 

Info: Werner Pawlok wurde 1953 in Stuttgart geboren, lebte zeitweilig in New York und arbeitete für große Firmen wie Mercedes-Benz; 2004 und 2013 hielt er sich in Kuba auf, wo seine Fotos für „Made In Cuba – Cuba expired: The Sequel“ entstanden. Das Buch kostet Euro 29,90.