Serie: FRANKFURT LIEST EIN BUCH: Mirjam Pressler, „Grüße und Küsse an alle“ vom 13. bis 26. April, Teil 12

 

Heinz Markert

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Damit die Angebote rund um das Lesefest von 'Frankfurt liest ein Buch' nicht zum Event herabkommen ist es nötig, auch die Berichterstattung einzuhegen - etwas zu verknappen. Vor vielen Jahren schaltete der längst verstorbene Moderator eines Fernsehmagazins sich jedesmal selbst zwischen seine journalistischen Kinder und merkte didaktisch an, was ihm als „Hintergrundanalyse“ zu formulieren nötig erschien.

 

Ihm ging es darum, dass bei den Zuschauern wie auch bei ihm selbst sich dauerhaft im Erkenntnisstübchen eine Erkenntnis einniste. Was diese Ausstellung angeht wird sofort klar: sie bietet kein schnuckeliges Interieur einer versunkenen Epoche, sie versucht nicht Vergangenheit zu inszenieren. Der Versuch ist knapp, aber gelungen.

 

 

Legitimer Versuch: 'Eine Wohnung für Franks' – mit Exponaten im Universitätsarchiv der Frankfurter Goethe Universität

 

Die Ausstellungsstücke von „Eine Wohnung für Franks“ im Universitätsarchiv der Goethe Universität Frankfurt vermitteln etwas von der Atmosphäre jener Jahre, in denen das Bildungsbürgertum nicht geringe Ansprüche an sich selbst wie auch seine Zeit stellte. Bildung war auch ein Weltgestaltungsmerkmal. Man wollte nicht nur sich selbst, sondern auch die Welt zum Guten und Besseren verändern. Zumindest galt das für wesentliche Teile des Bildungsbürgertums. Die Ausstellung wird bestimmt von Titeln und Namen, die zum Bildungskanon gehörten, der niemals abgetan, erledigt ist. Dazwischen finden sich auch wenige Titel einer zeitbedingten literarischen Mode, deren eine jede Zeit bedarf.

 

In jedem Kubikzentimeter des rar gefüllten Raums liegt das, was als 'Bildungsintensität' einer zurückliegenden Zeit sich zur dauernden Erinnerung gestalten könnte. Daraus lebt fast alles, was ausgestellt ist: die Reproduktionen historischer Bildwerke von Ansichten der Prinzengracht in Amsterdam, dem Ort des unsicheren Verstecks; der Biedermeierstuhl mit dem gebundenen Buch zu Basel - der Stadt vornehmlich zunächst Lenis und Erichs - darauf liegend, - direkt plaziert unter das letzte Photo an der darüber liegenden Wand mit Edith Frank und ihren Töchtern Anne und Margot an der Hauptwache in Frankfurt am Main 1933.

 

Nicht bloß erstaunlich, sondern sensationell für heutige Verhältnisse ist das Bildungsbewusstsein der zwischen 13 und 15 Jahren alten Anne: 'Vor einigen Tagen sprachen wir darüber, dass ich noch viel lernen müsste, mit der Folge, dass ich mich am nächsten Tag gleich hart an die Arbeit gemacht habe...Wir sprachen auch darüber, dass ich über Philosophie, Psychologie und Physiologie (diese Wörter habe ich erst mal nachgeschlagen) tatsächlich nichts weiß. Vielleicht bin ich im nächsten Jahr klüger!“ (Tagebucheintrag Montag, 21. Sept.1942)

 

Anne vermerkt unter den aufgezählten Geschenken zum Geburtstag am 12. Juni 1942 auch den Posten 'Gutschein für zwei Bücher'. Das war Standard. Die in der Ausstellung auf kleinen Schildern verzeichneten Tagebucheintragungen von Anne sind von Literaturwerken umstellt, auf die Anne Bezug nimmt, z.B.: die Biographie von 'Kaiser Karl V.' (Sonntag 14.Juni 1942) oder die Theaterstücke von Körner ('Hedwig', 'Der Vetter aus Bremen' u.a.), auf die sie auch bewertend Bezug nimmt (Mittwoch 14. Oktober 1942). Literarische Werke begleiten den gesamten Gang entlang allen Stationen in zwei Räumen.

 

Die Ausstellung bietet auch aufschlussreiche Vergrößerungen von Zeitungsausgaben der Zeit, z.B. der Frankfurter Zeitung vom 13. März 1933: 'Kommunalwahl in Preußen, NSDAP erobert die Rathäuser', vom 01.April 1933: 'Die erste Stadtverordnetenversammlung, Hindenburg und Hitler Ehrenbürger von Frankfurt'.- Hiermit zeigt sich: zu wenige haben widerstanden, zu viele haben mitgemacht. Hinzu kommt: Eine große ökonomische Krise kehrt die negativen Regungen und Anlagen hervor und lässt sie unter Umständen grenzenlos werden. Dass muss kein Naturgesetz sein, es gibt keine kausal-mechanische Regel des Scheiterns, aber Politik muss sich vorsehen, dass sich das nicht wiederholt.

 

Erwartbar in diesem Zusammenhang auch, was eine reproduzierte Frontseite der Stockholmer «Afterdingen» schon aus dem Jahr 1944 offenlegt: 'Die deutsche Industrie hat nicht nur bereits Millionen ins Ausland gebracht, sondern versucht auch ihre Sachwerte vor dem Zugriff der Alliierten zu retten' (über die Nachkriegspläne Krupps). Aufbau/Reconstruction vom 24.03.1944 titelt: 'Das Gebet des Präsidenten' – 'während die alliierten Truppen an den französischen Küste landeten. Er las es im Radio am Abend des Invasionstages'.

 

Info:

'Eine Wohnung für Franks' im Rahmen von 'Frankfurt liest ein Buch', vom 13. bis 26.April 2015. - Ort: Universitätsarchiv der Goethe-Universität Frankfurt, 60326 Frankfurt am Main, Dantestr. 9, täglich 15-19 Uhr

Mirjam Pressler/Gerti Elias „Grüße und Küsse an alle“

Die Geschichte der Familie von Anne Frank

Fischer Taschenbuch Verlag

432 Seiten. Kartoniert.

10,99

ISBN 978-3-596-18410-1

 

Das 16 seitige DIN A4 Programm FRANKFURT LIEST EIN BUCH liegt an verschiedenen Stellen der Stadt aus. Sie finden es auch unter:

www.frankfurt-liest-ein-buch.de