Serie: Lyonel Feininger/Alfred Kubin. Eine Künstlerfreundschaft, Internationale Tage Ingelheim bis 2. August 2015, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Seltsam. Die Namen Feininger und Kubin rufen bei mir beide gute Gefühle hervor, der Name Alfred Kubin scheint dabei noch wärmer auf, aber auch Feininger ist ein ganz Feiner, aber beide zusammen in einer Ausstellung, noch dazu unter dem Motto: eine Künstlerfreundschaft? Seltsam.

 

Daß es mir damit nicht alleine so geht, das kann ich dann in der Ausstellung sehen und vor allem in dem so wichtigen Katalog nachlesen. Und fühle mich bereichert. Einfach dadurch, daß es den Internationalen Tagen Ingelheim, die die Ausstellung, die ab September in der Albertina in Wien gezeigt wird, konzipierten, gelungen ist, einen Nebenstrang der Moderne so aufzubereiten, daß man mit beiden Künstlern eintaucht in die Welt nach 1900 mit ihren Stationen von Krieg, dem Ersten Weltkrieg, und dem Grauen der Nazizeit, das dem geborenen Amerikaner Lyonel Feininger die Rückkehr in die USA empfahl und damit das Überleben des Zweiten Weltkriegs sicherte, was Alfred Kubin in völliger Zurückgezogenheit im kleinen Schlößchen Zwickledt bei Wernstein im oberösterreichischen Inngebiet gelang, wo er von 1906 bis zu seinem Tode1959 lebte.

 

Da war der 1871 geborene Feininger gerade drei Jahre tot, gestorben in seiner New Yorker Wohnung. Zwischen 1906 und 1956 allerdings lebt Lyonel Feininger, der sich auch erst seit 1906 nicht mehr Léonell nennt, erst in Paris, läßt eine Ehe hinter sich, heiratet in London seine Lebensfrau Juli, mit der er ab 1908 in Berlin lebt, zu den zwei Töchtern aus erster Ehe kommen drei Söhne hinzu, 1912 beginnt der Briefwechsel mit Alfred Kubin, den der Österreicher initiiert. Nach Umzügen in Berlin wird Feininger durch den Direktor des Bauhauses, Walter Gropius, 1919 nach Weimar berufen, zieht mit dem Bauhaus 1926 nach Dessau, zieht nach Berlin Siemensstadt, hält 1936 einen Sommerkurs in Kalifornien ab, der erste Heimatbesuch seit 1887, kommt nach Deutschland, seiner eigentlichen Heimat zurück, übersiedelt dann mit seiner Familie und seinem amerikanischen Paß offiziell in die USA, wo 1944 eine große Feininger-Retrospektive im MOMA ihn den bisher Unbekannten auf einen Schlag in Amerika bekannt macht. Während in Deutschland, wo er bis zu den Nazis ein bekannter Künstler war, dessen Bilder – heute ist das ein Ehrentitel – als „entartete Kunst“ gebrandmarkt wurden und 1950 in Hannover die erste große Ausstellung seit 1931 in Deutschland hatte.

 

Währenddessen lebte und arbeitete der 6 Jahre jüngere Alfred Kubin stetig und stets in seinem Haus in Zwickledt, war seit 1904 verheiratet mit der später sehr kranken und 1948 gestorbenen Frau Hedwig und hatte keine Kinder. Verschiedenartiger können zwei Künstlerleben kaum sein und doch ist es Alfred Kubin, der – das wissen wir erst nach dieser Ausstellung und dem Katalog – dem Kollegen den Weg geebnet hat und Lyonel Feininger aus einer ihm dürftig erscheinenden und darum unbefriedigenden Karikaturenbeschäftigung des Geldes wegen zum echten Künstlerdasein verhalf, nämlich das auf Papier zu zeichnen und zunehmend auf die Leinwand zu bannen, was in im Inneren dazu zwang.

 

Soviel Biographie muß sein und die Ausstellung leistet die Übersicht hervorragend, weil im ersten Raum auf der einen Seite Lebenslauf und frühe Bilder des einen, auf der anderen Seite die des anderen gezeigt werden. Da entfalten sich so richtig die Unterschiede und wir können hier dezidiert sagen, warum beim Namen Kubin diese Wärme in einem auftaucht. Es sind die FRÜHEN DÄMONEN, das in München zwischen 1899 und 1904 entstandene Frühwerk seiner Zeichnungen, das bis heute sein Künstlertum bestimmt. Natürlich kann man mit Worten ausdrücken, um was es geht: Albträume, Visionen, Ängste, Träume, traumatische Kindheitserinnerungen,Schräges, Irrationales etc., aber diese Begriffe werden erst faßbar, erhalten eine neue Tiefe und Dimension, wenn man auf seine Zeichnungen blickt.

 

Das Allerfiesesten an diesen, vor allem an Goya und Bosch gemahnenden Zeichnungen ist die Lieblichkeit, mit der er oft im eleganten Strich des Jugendstils seine Ungeheuer – Alltagsmusik, Madame, beide um 1900 - daherkommen läßt. Und sich nicht ausnimmt. Denn die Zeichnung von 1901/02 SELBSTBETRACHTUNG läßt uns von hinten einen derben Kerl mit Schuhen sehen, der kopflos auf seinen Kopf blickt, der ein paar Meter weiter vor ihm in der halben Größe seines Körpers liegt. Nein, umgekehrt, denn ein kopfloser Mensch kann ja nicht mehr blicken. Der Riesenkopf, dem Körper gegenüber ist es, der mit dem einen offenen Auge und gebleckten Zähnen die Gestalt anschaut, die wir nur kopflos von hinten sehen. Schauerlich und von abgrundtiefer Erkenntnis.

 

Auch MEIN ZWERG um 1902 ist der reinste Horror, den man bei der TÄNZERIN um 1900 nicht auf den ersten Blick bemerkt, weil der Schwung des Kleides erst einmal nur nach Schwung aussieht und nicht nach Fesselung. Nein, wir können die einzelnen Blätter nicht alle beschreiben, JEDE NACHT BESUCHT UNS EIN TRAUM als absoluter moderner Frauenschreck, HÜNENGRAB, wo er die Mausoleen mit all den toten Diktatoren schon vorwegnimmt – allein dieser erste Raum mit den Kubinzeichnungen ist den Besuch von Ingelheim wert. Dabei kommt noch ganz vieles.

 

Und im ersten Raum wird ja auch Lyonell Feininger mit Wort und seinen Karikaturen vorgestellt. Es ist ein Abriß der Zeit, bevor sich die beiden kennenlernten. Bei diesen Karikaturen, die wir fast alle nicht kennen, geht man schneller vorbei. Sie sind interessant, aber nichts, was einem zum Bleiben zwingt, wobei 1899 auf einmal ein neuer Ton aufscheint, der mit Themen wie Strohwitwer oder Weltuntergang eine dunkle bedrohliche Tuschzeichnung zeigt und im NARRENSCHIFF veröffentlicht waren.

 

Und hier lesen wir auch, wie alles begann. Fortsetzung folgt.

 

Foto:  Alfred Kubin, Vater und Sohn, Tusche um 1901

 

 

INFO:

 

Ausstellung: bis 2. August in Ingelheim am Rhein

ab 4. September bis 10. Januar 2016 Albertina Wien

 

Katalog:

 

Lyonel Feininger/Alfred Kubin. Eine Künstlerfreundschaft, hrsg. von Ulrich Luckhardt, Texte von Ulrich Luckhardt, Eva Michel u.a., Gestaltung Harald Richter, Verlag Hatje Cantz 2015

 

Der 224 Seiten starke Katalog mit ca. 150 Abbildungen ist so umwerfende und durch den Abdruck der gesamten transkribierten Korrespondenz zwischen Kubin und Feininger einzigartig, daß wir ihn in einem weiteren Artikel besprechen wollen.