Lyonel Feininger/Alfred Kubin. Eine Künstlerfreundschaft, Internationale Tage Ingelheim bis 2. August 2015, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) - „Sehr geehrter Herr College“, schreibt Alfred Kubin am 25. November 1912 aus Oberösterreich an Feininger nach Berlin, „Von den heutigen Zeichnern schätze ich Sie ganz besonders...“ und bittet ihn um den Austausch einer Zeichnung, weshalb er ihm eine Auswahl seiner eigenen zuschicken will.

 

Zwei Tage später, am 27. November – die Post ging schnell! - antwortet ihm Lyonel Feininger „Hochverehrter Herr Kollege! (Witzig, daß der deutschsprachige College schreibt, der Amerikaner aber Kollege): „Es ehrt mich ungemein,daß Ihnen daran liegt, eine Zeichnung von mir zu besitzen; ich, meinerseits, bin schon seit Jahren ein warmer Verehrer ihrer Arbeit und Schuldner für so manchen Genuß...eigentlich lebe ich ein wenig in Ihrem geheimnisvollen Lande ('Die andere Seite'), es ist mir sehr wirklich.“ Damit bezieht sich Feininger auf DIE ANDERE SEITE.Ein Phantastischer Roman mit 52 Zeichnungen von Alfred Kubin, der 1909 veröffentlicht wurde und die Bedeutung von Kubin ein für alle Mal festschrieb. Ein wunderliches Buch bis heute mit ergreifenden Zeichnungen, die den Übergang von Realität und Traum nicht feststellen lassen und grundsätzlich vom Dualismus auf der Welt erzählen.

 

Tatsächlich ist Alfred Kubin damals der weitaus bekanntere Künstler und durch den von ihm angeregten Austausch der Zeichnungen – am Schluß sind es je sechs Blätter, die alle in der Ausstellung zu sehen sind – und der intensiv gewordenen brieflichen Korrespondenz, weiß er längst von den gemeinsamen künstlerischen Übereinstimmungen. Als er bei einem der zwei Besuche in Berlin im März 1913 die überhaupt nicht bekannten ersten Ölbilder Feiningers sieht, die das zeigen, wofür er heute bekannt ist: die Zergliederung der äußeren Welt und Neuzusammensetzung, gibt Kubin in München seinen Künstlerfreunden des BLAUEN REITERS Fotografien dieser Gemälde von Feininger und erreicht tatsächlich, daß zwei Tage später Franz Marc nach Berlin schreibt und Lyonel Feininger einlädt mit diesen Bildern an der Septemberausstellung „teilzunehmen, die später als ERSTER DEUTSCHER HERBSTSALON in die Geschichte der modernen Kunst in Deutschland eingehen sollte.“ Im Postskriptum von Marc an Feininger heißt es dann: „daß Ihnen nicht schon früher ein Einladung zuging, lag nur daran, daß niemand unseres engsten Kreises von ihren Bildern erfuhr, bis uns jetzt Kubin aufmerksam machte.“

 

Wir hätten das nicht geglaubt, wenn man es nicht mit eigenen Augen nachlesen könnte. Und man kann sagen, die beiden Künstler trafen sich im Moment ihres Lebens, wo der eine eine steile Karriere nach oben und der andere seine Dämonen in Oberösterreich mit der Tusche bezwang, denn der Schriftsteller Kubin war verstummt und nur der Pinsel lebte weiter.

 

In Ingelheim ist dies in der Ausstellung nun alles nachzuerleben, denn nach dem fulminanten Anfang sind die weiteren Räume thematisch gegliedert, in dem aus den Werken beider Künstler gleiche thematische Bezüge gewählt wurden. Das fängt mit DIE STADT AM ENDE DER WELT an. Das ist der Titel einer Gouache von Feininger aus dem Jahr 1910, die auf der Titelseite der literarischen Zeitschrift LICHT UND SCHATTEN. WOCHENSCHRIFT FÜR SCHWARZWEISS-KUNST UND DICHTUNG abgedruckt war und eine leere graue Stadt zeigt, die so richtig aus Kubins DIE ANDERE SEITE stammen könnte. Was seine Richtigkeit hat, denn Feininger hatte sich auch auf den Roman bezogen. Seine Traumstadt nennt Kubin nun PERLE, die ewig in Dämmerung versinkt, bis sie ganz verlöscht, was Kubin in seinen hier hängenden Zeichnungen wiedergibt: in Verrufener Ort oder Einsamer Turm, beide von 1903, alles ist düster und sinkt dahin.Das Grundgefühl von Einsamkeit und Untergang ist all den Blättern von Kubin und denen von Feininger gemeinsam und ist ja auch Ausdruck der Zeit.

 

Aber auch in den weiteren Räumen PROMENADE, KARNEVAL, AUFRUHR, KRIEG und EISENBAHN UND SCHIFFE sind sowohl Parallelen im Inhaltlichen wie auch in der ästhetischen Umsetzung zu erkennen. Beides berührt einen, wenn man sieht, wie beide Künstler die realen Größenverhältnisse negieren, manchmal eine geradezu mittelalterliche Bedeutungsperspektive auftaucht, dann wieder die Welt und die Menschen durch eine schräge Brille wahrgenommen erscheinen. Das Schräge überhaupt ist es, was beide auch eint. Und das ist ebenfalls sowohl inhaltlich wie formal gemeint.

 

Alfred Kubin hat dann noch ein Kabinett VERPUPPTE WELT, das sind Gouachen, die um 1905/07 entstanden sind und auf Zusammentreffen mit Gustav Meyrink und Koloman Moser in Wien beruhen: organische Wesen, die aus dem Hintergrund erwachsen oder in diesen wieder übergehen.

 

Wichtig ist noch Folgendes:

 

Von den jeweils sechs gegenseitig geschenkten Zeichnungen gehören heute die von Kubin alle dem Harvard Art Museum/Busch-Reisinger Museum als Geschenk der Witwe. Währenddessen die fünf Feiningerzeichnungen heute der Albertina Wien eigen sind und das Aquarell ins Oberösterreichische Landesmuseum Linz gehört. Letzteres hängt damit zusammen, daß Alfred Kubin 1955 mit dem souverän gewordenen Österreich und seinem Bundesland Oberösterreich eine Vereinbarung schloß, dernach er eine Rente bekam und seine Kunstschätze – er hatte nicht nur die eigenen, sondern viel gesammelt, bzw. getauscht – jeweils zur Hälfte nach Wien zur Albertina und nach Linz gehen.

 

Auf diese Weise sind auch die Feiningers nun in die sowieso umwerfende Sammlung der Albertina in Wien gelangt. Wir fanden in der Ausstellung nur einen zusätzlichen Feininger der Albertina, der nicht aus dem Kubinschen Nachlaß stammt. Es ist wunderbar, daß der Nachlaß selber durch ein meist dunkelrotes, auch braunes Passepartout als Einigendes erscheint.

 

Zum Feiningernachlaß könnte man zwar sagen, schön, daß auf diese Weise auch Alfred Kubin in die Neue Welt gekommen ist, wir haben aber erneut das Gefühl von abgrundtiefem Haß, wie die Nazis deutsche Kultur zerstört haben, unser Künstler umgebracht oder ins Ausland getrieben haben und uns die eigenen kulturellen Wurzeln abgeschnitten haben. Das Werk von Feininger ist so sehr Ausdruck dessen, was sich damals in Deutschland tat und stilistisch, so eigen es ist, dennoch eingeordnet in die künstlerischen Bewegungen hierzulande, daß uns nötig erscheint, jedesmal von Neuem den Wahnsinn der Nationalsozialisten als Kulturzerstörer deutscher Kunst zu benennen, von deren Verbrechen ganz abgesehen.

 Foto: Lyonel Feininger, Karneval, 1908

 

 

INFO:

 

Ausstellung: bis 2. August in Ingelheim am Rhein

ab 4. September bis 10. Januar 2016 Albertina Wien

 

Katalog:

 

Lyonel Feininger/Alfred Kubin. Eine Künstlerfreundschaft, hrsg. von Ulrich Luckhardt, Texte von Ulrich Luckhardt, Eva Michel u.a., Gestaltung Harald Richter, Verlag Hatje Cantz 2015

 

Der 224 Seiten starke Katalog mit ca. 150 Abbildungen ist so umwerfende und durch den Abdruck der gesamten transkribierten Korrespondenz zwischen Kubin und Feininger einzigartig, daß wir ihn in einem weiteren Artikel besprechen wollen.