Franz von Sickingen und die Reformation im Landesmuseum Mainz bis 25. Oktober, Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Mainz (Weltexpresso) – Noch knapp zwei Monate können Sie diese Ausstellung besuchen, die Sie die Ritter zwischen Rebellion und Reformation erleben läßt, wobei Sie ganz richtig tun, wenn Sie der Titel an Albrecht Dürers berühmtes Blatt, den Stich DER REITER gemahnt, eben auch Ritter, Tod und Teufel genannt.

 

Fangen wir doch vor dem Erzählen, um was es in der Ausstellung eigentlich geht, erst mit diesem Blatt an, das nämlich – von Dürer 1513 als Kupferstich in den Maßen 24,6 x 19 Zentimeter geschaffen – schon alleine den Besuch des Landesmuseums Mainz bis Oktober wert ist – übrigens, natürlich auch ohne das Blatt. Mainz ist immer eine Reise wert. Dieser Stich kann klarer als alles andere zeigen, wie sehr man sich in der Religion, noch stärker in ihrer Symbolik und ihrem Wiederfinden auf Kunstwerken auskennen muß, will man neben dem eigentlichen Erleben: Toll, wie sich hier Gegenwart, Verderbnis und Abgründig-Unerklärliches die Hand geben, auch die eigentliche Absicht des Künstlers herauslesen.

 

Kein schlechter Begriff, kein schlechter Vergleich: das Lesen. Denn wie man beim Lesen die Kenntnisse der Buchstaben als Voraussetzung braucht, so fehlen den meisten heute die Kenntnisse, Bilder der Vergangenheit lesen zu können. So wissen wir heute in der Mehrzahl nicht mehr, welches Bild traditionell für welchen Hinweis, welche Metapher für welche Begebenheit, welches Zeichen für welchen Sachverhalt steht. Alles Fragestellungen, die man Ikonographie nennt. Das aus dem Griechischen stammende Wort spricht in seinen beiden Bestandteilen von nichts anderem: ikon, eikón bedeutet Bild und gráphein ist das Schreiben. Es bedeutet einfach, daß Bildinhalte uns etwas über das Motiv des Künstlers mitteilen, daß wir mit ihrer Hilfe ein Bild deuten können, also interpretieren können. Die Kunst ist nur, zu wissen, was beispielsweise in der spätmittelalterlichen Malerei eine Orange bedeutet oder ein Glas mit klarem Wasser etc.

 

Schauen wir also mit diesem Hintergrund auf Dürers Reiter. Wir sehen im Zentrum diesen Ritter, vollgerüstet. Fangen wir unten an: Schienenschuhe, Beinröhre, Kniestück, Schenkelstück, Rüsthandschuhe, Armkachel, Armzeug, Achselstück, zuvor aber das Bruststück, dann das auf das Scheitelstück hochgezogene Visier. Nein, wir haben nicht einmal alles genannt, aber das wichtigste und das zeigt uns, hier geht es um was. Hier geht es um Kampf, hier geht es ums Leben. Jung ist er nicht, der Ritter, dafür aber mit einem prächtigen Roß versehen. Wunderbar, wie die Gravität des Pferdes, seine edle Würde uns noch heute anmacht, wenn es mit links den – stimmt etwas komischen – Vorderhuf zierlich hochhebt.

 

1513 hat man zwar Pferde gemalt und gezeichnet, sich aber um ihre exakte Anatomie wenig gekümmert. Das ändert sich mit der Übernahme der Renaissancevorgaben von exakter Nachahmung der Natur, wie sie Leonardo da Vinci mit seinen Proportionen beispielsweise vormachte, dem Dürer mit einem Proportionskanon nacheiferte. Das gilt auch für den Hund, der hinter dem Pferd mitläuft und der – und das ist Ikonographie – für Treue und Glauben steht. Der Ritter ist also nicht alleine auf seinem Weg.

 

Das ist hilfreich, wenn sich man die weiteren Gesellen anschaut. Nein, der Alte grausliche dahinten, das ist nicht der Teufel, auch wenn er ein Gehörn trägt, das ist der klapprige Tod, der mit langem Bart selbst so aussieht, als ob es ans Sterben ginge, zumal sein Pferd, schon am Ende scheint – oder wendet das Pferd sich dem Totenkopf zu, der auf dem Stein ruht, an das das Täfelchen mit den berühmten Initialen des Meisters lehnt? Ja, aus dem namenlosen, Gott verherrlichenden Handwerker des Mittelalters ist der sich seines Wertes und seines Könnens bewußte Künstler geworden, der signiert, was er geschaffen hat. Und der in der Welt der Symbolik zu Hause ist, denn, daß die Sanduhr, hochgestreckt in der Rechten des Teufels, das Symbol für Vergänglichkeit ist, das ist auch heute noch Allgemeinwissen, einfach, weil dies so augenscheinlich ist. Aber auch nur, wenn man mit der Muttermilch und der Sprache gelernt hat, daß Zeit und ihr Vergehen so etwas ist wie rinnender Sand ist.

 

Fehlt noch der Teufel, der hinter den beiden daherkommt, mit einem eigenartigen Rüssel, auf jeden Fall ein Teufel mit einer Fratze, wie sie noch keiner sah. Ob die kleine Eidechse ganz unten am Boden das Geschehen durchschaut? Denn die flitzt zwischen den Hinterhufen in die andere Richtung, bald hat sie diese Gesellschaft hinter sich und ist gerettet. Eidechsen gelten als besonders andächtig und gottesfürchtig. Schaut man sich aber den Untergrund des – sagen wir mal – Waldweges an, ojeh! Denn die Wurzeln und das Gestrüpp sind sichtbare Zeiten für das Alter des Reiters, was uns ja schon seine Physiognomie verraten hatte.

 

Aber, was machen diese drei da eigentlich, wo sind sie und was bedeutet das? Im Hintergrund sieht man eine Burg auf einem Berg. Es soll Nürnberg sein, wo ja Dürer wohnte und arbeitete. Von dem sich der Reiter aber entfernt, weshalb eine weitere Deutung, die leicht greift, wenn es um Burgen geht, nämlich die Darstellung des himmlischen Jerusalem nicht so passend erscheint. Zieht er in den Krieg, wie es seine Aufgabe wäre oder zieht er nicht vielmehr an das Ende seines Lebens, den ihm der Tod zur Rechten weist.

 

Längst sind wir im Deuten angekommen. Auch wenn das Rittertum – den Begriff Ritter gibt es seit dem 11. Jahrhundert und umfaßt den niederen und höheren Adel - und ein so prächtig ausstaffierter Ritter für das, was im Mittelalter vita activa hieß, steht, so empfinden wir bei dieser Darstellung doch so gar nichts von Aufbruch und Siegeswillen. Stimmt, der Spruch, daß man nicht Tod und Teufel fürchtet (auch ein Filmtitel von 1966) ist eine hergebrachte Redensart, die positiv aufzeigt, daß wir es mit einem Furchtlosen zu tun haben, der keinerlei Angst hat, so in der Bedeutung, weder Himmel noch Hölle zu fürchten. Aber hier?

 

Hier sind Tod und Teufel nicht die Begleiter, den furchtlosen Ritter zur nächsten Attacke zu geleiten, hier sehen sie aus, als ob sie den Ritter auf seinem schönen Pferd in die Mangel genommen hätten, als ginge es geradewegs auf den Weg in den Tod. .

 

Da haben wir uns aber ganz schön vergaloppiert. Statt über diese Sonderausstellung zu berichten, sind wir einfach am ersten Blatt hängen geblieben. Was sein muß, muß sein. Aber selbstverständlich muß der Ausstellungsbericht folgen. Fortsetzung folgt also.

 

 

Foto: Kupferstich Albrecht Dürer, Ritter, Tod und Teufel 1513

 

Info:

Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, Mainzer Landesmuseum bis 25. Oktober 2015

 

Katalog:

 

Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, hrsg. von Johannes Gutenberg-Universität Mainz...Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Verlag Schnell + Steiner 2015

 

Was zuallererst auffällt, ist, wie edel dieser Katalog gestaltet ist. Also adäquat einem Rittertum, als es noch in voller Blüte stand, nicht so abgewirtschaftet wie Dürers Ritter, der auf Seite 101 abgebildet ist, mit einer längeren Erläuterung von Karoline Feulner, auf die wir uns oben nicht bezogen hatten, denn nun wüßten wir noch viel mehr zu schreiben über den Kupferstich von Dürer! So haben wir nicht die Fachkenntnis, daß sich der Harnisch des guten Ritters aus lauter nicht zusammengehörigen Teilen zusammensetzt, also, würden wir leichthin interpretieren: das ein Ritter von gestern ist. Wie auch immer. Jeder Besucher muß es wagen, sich die Bilder selbst anzuschauen und sich selbst eine Meinung dazu zu bilden, um so spannender sind dann die Erläuterungen!

 

Der Katalog zeigt schon auf dem Titel, daß er sich einreiht in die AM ANFANG WAS DAS WORT Unternehmung der „500 Jahre Reformation“ zum Lutherjahr 2017. Das ist wichtig, denn erst in diesem Kontext wird klar, daß Franz von Sickingen nicht für sich die bedeutungsvolle Figur ist, für die man sich heute interessieren müßte, sondern daß mit seinem Leben und Wirken uns die Zeit vor 500 Jahren, aus der heraus die Reformation ihren Siegeszug antrat, plastisch wird und wir viele Ereignisse einfach besser nachvollziehen können.

 

Deshalb sind in diesem Katalog stärker, als es in reinen Kunstkatalogen sein muß, die geschichtlichen Hintergründe aufgezeigt. In vielen Essays werden wir überhaupt erst einmal mit den Abläufen aus der Geschichte des Franz konfrontiert, aber auch, wie die Umwelt darauf reagierte, was besonders spannend im 19. Jahrhundert anahnd des Bildprogramms wird, wo unser heutiges Geschichtsbild immer noch herrührt, was nämlich meist weniger mit den tatsächlichen Ereignissen, sondern der Spiegelung im 19. Jahrhundert zu tun hat. Erwähnt man dann noch, daß die deutsche Frage und die lange hinausgeschobene Reichsgründung Deutschland eine der Antworten sind, die heute noch unser Sein bestimmen, so wird erst recht interessant, was das 19. Jahrhundert abänderte, fälschte, uminterpretierte. Wir sind einfach bis heute Kinder des 19. Jahrhunderts. Dabei haben wir heute die Mittel der Geschichtswissenschaft, dies unter die Lupe zu nehmen, sich dem Bildprogramm kritisch zu nähern, wenngleich die Quellenlage oft problematisch ist.

 

Die Geschichte selbst wird in ihren regionalen Verästelungen genauso dargestellt wie im kontinentalen Zusammenhang, wobei besonders Polen eine Sonderrolle spielt. Herrlich natürlich auch, in den Abbildungen die Kunstschätze aus der Ausstellung wiederzufinden, mit einer ausführlichen Belehrung versehen, dazu sind gute Kataloge ja schließlich da.