Franz von Sickingen und die Reformation im Landesmuseum Mainz bis 25. Oktober, Teil 2

 

Claudia Schulmerich

 

Mainz (Weltexpresso) – Grob gesagt, dient diese große Sonderausstellung unserer Kenntnis darüber, welchen Einfluß die aus dem Mittelalter überkommene Ritterschaft auf die Reformation hatte. Dies wird gewissermaßen exemplarisch an Franz von Sickingen (1481-1523) exerziert, dessen Aufstieg zum Anführer der Ritterschaft wir genauso nachvollziehen können, wie die Bedeutung, die er für die Reformatoren um 1520 gewann, wobei er für das 19. Jahrhundert genau einer der Figuren wurde, die aus der Geschichte in die damalige Gegenwart als deutscher Held ausstrahlte, was er ganz und gar nicht war.

 

Inwiefern das 19. Jahrhundert bis heute unser Bild zurück in deutsche Geschichte, bestimmt, hatten wir im ersten Teil schon angedeutet. In der Ausstellung werden nun die Stationen gezeigt, die den Ritter in seiner Lebenswelt zeigen und von daher näher an die wirkliche Bedeutung heranreicht. Und die ist differenziert, wie fast alles im Leben. Wenn man von Franz von Sickingen mit Wehmut oder zufrieden als einem der letzten Ritter spricht, hat man die Wortwahl auf der Zunge, die eigentlich dem 'letzten Ritter' gilt, Kaiser Maximilian von Habsburg, der 1519 starb und bei dem diese Bezeichnung ein großer Ehrentitel ist, weil er einhergeht mit den ritterlichen Eigenschaften, für die Ritter formal zumindest standen. Das waren die drei ritterlichen Haupttugenden, die jeweils mit Diensten zu tun haben: Dienst am Herrn, Dienst am Glauben, Dienst an der Frau (Minnedienst).

 

Diese Dienste setzten folgende Tugenden voraus: eben die Dienstbarkeit, also die Unterordnung des eigenen Ich unter den Dienst, Verläßlichkeit, Fleiß, Demut, Würde, guten Mut, also Hochgestimmtheit, Höflichkeit, Lebensfreude, Mannhaftigkeit, aber auch Maßhaltung und Milde, ach und schön und reich und treu sollten sie auch sein, die Ritter, dazu von Verstand und mit Anstand. Keine leichter Anforderung für ein Mannsbild in den Tagen um 1500, wo die Welt ins Wanken geriet. Der neue Kontinent Amerika war gerade entdeckt, die Buchdruckerkunst stand in Blüte, was das Wissen und die Wissenschaften revolutionierte, neue Tugenden, die man den Rittertum nicht auch noch aufpfropfen konnte.

 

Aber wir wollten bei Franz von Sickingen bleiben, der die oberen Rittertugenden fast alle nicht erfüllte, dem von den sieben Teilen der Ausstellung vier zugedacht sind, während zwei weiteren Sektionen die politische Situation der Ritterschaft um 1500 behandeln – das, was wir oben ansprachen - , aber auch des Sickingers Wirkung und Nachwirkung ins Licht setzen. In der letzten Abteilung wird generalisiert. Da geht es um den Zusammenhang von Ritterschaft und Reformation im Heiligen Römischen Reich und in Ostmitteleuropa.

 

Der 1481auf Burg Ebernburg geborene Franz stand zunächst in kurpfälzischen Diensten. Sein Vater hatte ihm ein großes Vermögen hinterlassen und als seine Frau Hedwig bei der Geburt des siebten Kindes starb, war dies der Auftakt, sich in die Belange des Landes einzumischen, was hieß, die zurückgehende Bedeutung des Rittertums infolge moderner Kriegführung in den jeweiligen Diensten von Landesherrn aufzuhalten und in eine neue Bedeutungsform zu überführen. Dazu war es nötig, den jeweiligen Landesherren auf die Finger zu klopfen. Feinde kann man nicht überall haben, deshalb war der lokale und regionale Einsatz für Ritter gekoppelt mit der Stärkung der Stellung des Kaisers, in dessen Dienste Franz trat.

 

Großzügig überging er das im Reich geltende Römische Recht und auch den Landfrieden von 1495. Stattdessen fing er Scharmützel an, in denen er sich auf das altdeutsche Faustrecht berief und damit seine Fehden begründete. Der pfälzische Kurfürst war damals Ludwig der Friedfertige und immer noch einer der sieben den Kaiser wählenden Kurfürsten als Pfalzgraf bei Rhein. Erst als sich Sickingen mit der Reichsstadt Worms anlegte und auch noch von Götz von Berlichingen unterstützt wurde, hatte er überzogen und wurde von Kaiser Maximilian I. geächtet.

 

Man glaubt es kaum, auch nicht, daß das 19. Jahrhundert das goutierte, aber er trat in die Dienste des französischen Königs Franz I. Und für diesen eroberte er die Reichsstadt Metz für Frankreich, dann Lothringen, die Landgrafschaft Hessen, das schöne Darmstadt und sogar die Freie Reichsstadt Frankfurt. 'Erobern' muß man verstehen als das Mittel, daß nun die eroberten Gebiete, um unbesetzt zu bleiben, erhebliche Gelder an Franz von Sickingen zahlten. Mächtig war er geworden, der Franz, und geldschwer auch und ging gerne zurück in die Dienste des Kaisers, als der ihn darum bat.

 

Jetzt beginnt die eigentliche Geschichte der Ausstellung. Denn 1519 lernt der Ritter Ulrich von Hutten kennen, einen der wegbereitenden Humanisten, der eine radikale Beschneidung der weltlichen Rolle der Kirche aus Rom anstrebte und sich früh mit Martin Luther verbündet hatte. Sickingen bot beiden auf der Ebernburg Asyl, was viele andere Reformatoren nutzten und zum Ehrentitel „Herberge der Gerechtigkeit“ führte. Dort wurde auch reformatorisch gelebt, d.h. Gottesdienste auf Deutsch abgehalten und Abendmahlsfeiern.

 

Franz jedoch führte seine Fehdepolitik gegen Straßburg und Köln erfolgreich weiter, erst als der neue Kaiser Karl V.ihm seine Schulden nicht beglich, kam er ins Schwierigkeiten, was sich auswirkte, als er 1522 versuchte, das Kurfürstentum und Erzbistum Trier mit Gewalt zur Reformation zu zwingen. Nicht nur kein Geld, auch keine Unterstützung vom Kaiser war die Folge. Und die Gegner setzen jetzt ihm zu. Er floh auf seine Burg Nanstein bei Kaiserstuhl, wo er bei der Belagerung angeschossen wurde und am 7. Mai 1523 starb.

 

Die Mainzer Ausstellung zeigt deutlich, daß wir es hier mitnichten mit einem Siegertyp zu tun haben. Er hat auch nicht das Rittertum gestärkt. Er hat die Zeit aufhalten wollen, dazu die falschen Mittel benutzt und so ziemlich alles falsch gemacht. Nur das eine nicht. Er hat in Luther und den Humanisten die Zukunft unterstützt. Als in Worms 1521 der Reichstag zusammentrat und Luther sich unter Berufung auf sein Gewissen weigerte, seine Lehre zu widerrufen und geächtet wurde, war Sickingen auf der richtigen, der gerechten Seite. Aber so recht versteht man das nicht, denn seine Fehden, zum Beispiel gegen das katholische Trier und das katholische Köln haben nichts mit der Reformation zu tun, aber viel mit den Schätzen, die man dort erringen konnte.

 

Die Ausstellung nun zeigt keine Worte, sondern Dinge. Ritterrüstungen wie gerade von der Pariser Haute Couture als letzter Schrei vorgestellt. Nichts Derbes und vor allem total beweglich. Da verliert man seine Vorurteile gegenüber den Harnischen als Hindernisbekleidung. Und erlebt den Ritterkampf als modernes Tanztheater (vgl. Foto). Toll gemacht. Über die vielen Kunstgegenstände haben wir geschwiegen. Aber tatsächlich sind sie hier nur die I-Tüpfelchen einer Ausstellung, in der man viel lernen kann, wie einer fast alles falsch macht und trotzdem zum Helden stilisiert wird. Auch eine Leistung.

 

 

 

Foto: Szene aus der Ausstellung in Mainz

 

 

Info:

Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, Mainzer Landesmuseum bis 25. Oktober 2015

 

Katalog:

 

Ritter! Tod! Teufel? Franz von Sickingen und die Reformation, hrsg. von Johannes Gutenberg-Universität Mainz...Generaldirektion Kulturelles Erbe Rheinland-Pfalz, Verlag Schnell + Steiner 2015

 

Was zuallererst auffällt, ist, wie edel dieser Katalog gestaltet ist. Also adäquat einem Rittertum, als es noch in voller Blüte stand, nicht so abgewirtschaftet wie Dürers Ritter, der auf Seite 101 abgebildet ist, mit einer längeren Erläuterung von Karoline Feulner, auf die wir uns oben nicht bezogen hatten, denn nun wüßten wir noch viel mehr zu schreiben über den Kupferstich von Dürer! Aber jeder Besucher muß es wagen, sich die Bilder selbst anzuschauen und sich selbst eine Meinung dazu zu bilden, um so spannender sind dann die Erläuterungen!

 

Der Katalog zeigt schon auf dem Titel, daß er sich einreiht in die AM ANFANG WAS DAS WORT Unternehmung der „500 Jahre Reformation“ zum Lutherjahr 2017. Das ist wichtig, denn erst in diesem Kontext wird klar, daß Franz von Sickingen nicht für sich die bedeutungsvolle Figur ist, für die man sich heute interessieren müßte, sondern daß mit seinem Leben und Wirken uns die Zeit vor 500 Jahren, aus der heraus die Reformation ihren Siegeszug antrat, plastisch wird und wir viele Ereignisse einfach besser nachvollziehen können.

 

Deshalb sind in diesem Katalog stärker, als es in reinen Kunstkatalogen sein muß, die geschichtlichen Hintergründe aufgezeigt. In vielen Essays werden wir überhaupt erst einmal mit den Abläufen aus der Geschichte des Franz konfrontiert, aber auch, wie die Umwelt darauf reagierte, was besonders spannend im 19. Jahrhundert anhand des Bildprogramms wird, wo unser heutiges Geschichtsbild immer noch herrührt, was nämlich meist weniger mit den tatsächlichen Ereignissen, sondern der Spiegelung im 19. Jahrhundert zu tun hat. Erwähnt man dann noch, daß die deutsche Frage und die lange hinausgeschobene Reichsgründung Deutschland eine der Antworten sind, die heute noch unser Sein bestimmen, so wird erst recht interessant, was das 19. Jahrhundert abänderte, fälschte, uminterpretierte. Wir sind einfach bis heute Kinder des 19. Jahrhunderts. Dabei haben wir heute die Mittel der Geschichtswissenschaft, dies unter die Lupe zu nehmen, sich dem Bildprogramm kritisch zu nähern, wenngleich die Quellenlage oft problematisch ist.

 

Die Geschichte selbst wird in ihren regionalen Verästelungen genauso dargestellt wie im kontinentalen Zusammenhang, wobei besonders Polen eine Sonderrolle spielt. Herrlich natürlich auch, in den Abbildungen die Kunstschätze aus der Ausstellung wiederzufinden, mit einer ausführlichen Belehrung versehen, dazu sind gute Kataloge ja schließlich da.