Lyonel Feininger/Alfred Kubin. Eine Künstlerfreundschaft, Internationale Tage Ingelheim bis 2. August 2015, Teil 3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) - Zwar lautet der Titel der Ausstellung und auch des Katalogs über Lyonel Feininger und Alfred Kubin EINE KÜNSTLERFREUNDSSCHAFT, aber der Verlag, der den Katalog herausbringt, HatjeCantz, wirbt mit der dicken Überschrift: Reich illustrierter Vergleich ZWEIER DIVERGIERENDER KÜNSTLERISCHEN POSITIONEN.
Das eine ist so richtig wie das andere, aber es gab die Zeit, die zudem die ist, in der sich beide kennenlernen, wo auch die künstlerische Position eine angenäherte ist. Das ist biographisch herauszulesen, das erkennt man auch an einer Vielzahl von thematisch übereinstimmenden Zeichnungen in diesem Katalog, die auch ästhetisch Anverwandlungen sind, wie beispielsweise die Darstellungen von der Stadt oder auch Zeichnungen wie Feiningers WELTUNTERGANG von 1899 oder FISCHER im Jahr 1902, denen Alfred Kubin allerdings in seinem DAS GEZÜCHT von 1903-06 und den Tierdarstellungen um 1900 wahre Meisterschaft gegenüberstellt.
Das ist auch das Eigenartige an dem Verhältnis der beiden, daß der frühe und tief beeindruckende Ruhm von Alfred Kubin auf den seiner eigenen Stärken erst halbbewußten Feininger trifft, Kubin auch dafür sorgen kann, daß sich Feininger erst einmal im Rahmen der DER BLAUE REITER einen Namen macht, woraus eine Weltkarriere wird, weil erst der spätere Feininger der Künstler ist, mit dem die Welt ihn heute identifiziert. Da wird Alfred Kubin schon lange in seinem kleinen Schloß in Oberösterreich zurückgezogen leben und arbeiten. Aber, da darf man sich nichts vormachen, auch in dieser Zeit bis zum Tod 1957, schafft Kubin herrliche Blätter. Nicht seine Gestaltungskraft ist eingeschränkt, sondern das Interesse des Publikums, das, ob Österreich oder Deutschland, nun erst einmal nachholen muß, was durch den Naziterror gegen Moderne Kunst und die Ermordung oder Vertreibung dieser Künstler den Deutschen, ja auch den Österreichern, vorenthalten wurde, was sie jetzt nachholen wollen. Zu diesem Kreis von Künstlern gehört eben auch Lyonel Feininger, der in den Fünfziger Jahren mit Macke, Marc, Kirchner, Beckmann u.a. bekannt und beliebt wird.
Warum wir den Katalog aber für so außerordentlich halten, deshalb einen eigenen Artikel darüber verfassen und dann auch noch zum Kauf auffordern, hat mit dem eigentlichen Grund zu tun, der diese Ausstellung motivierte, nämlich dem Auffinden des Briefwechsels der beiden Künstler, der nicht nur über diese als Personen etwas aussagt, nicht nur über ihre künstlerischen Positionen, sondern auch etwas über die Zeit, die in der Vorkriegszeit uns Heutigen – nach den Hundertjahrfeiern des Beginn des Ersten Weltkriegs - viel wichtiger geworden ist als zuvor.
„Auffinden“ ist dabei nicht der zutreffende Begriff, weil er suggeriert, das Konvolut sei verschollen gewesen. So ist es nicht. Einige Stellen aus den Briefen sind schon in der Vergangenheit in der Fachliteratur zitiert worden. Darauf weist Roland März, dem wir die vollständige Korrespondenz ediert und kommentiert verdanken, ausdrücklich hin. Aber erst der volle Wortlaut macht diese Schreiben zu einer kleinen Sensation im Kunstbetrieb. Wir sind hingerissen, zumal die Transkription alles gelassen hat, wie geschrieben, einschließlich der Fehler, wenn man dies unter orthographischen Gesichtspunkten betrachtet, dem Nebensächlichsten von allem, bleiben doch gerade dadurch die Briefe authentisch.
Glücklich sind wir darüber, daß einer der Briefe, der letzte, der von Feininger vom 13. März 1919 stammt, auch im Faksimile abgedruckt ist, so daß wir quasi das Original vor uns sehen, die zweiseitige Handschrift, die wie Initialen verwendeten zwei Zeichnungen, die jeweils links oben genau unsere Vorstellungen von Künstlerbriefen bestätigen. Glücklich also darüber, daß wenigstens ein Faksilime abgedruckt ist. Aber richtig unglücklich macht uns dann, daß wir keinen Brief von Kubin in Originalhandschrift sehen und lesen können. Den Brief von Feininger kann man übrigens problemlos lesen. Uns hätte also auch ein Brief Kubins im originalen Nachdruck interessiert, auch wenn es nur der kurze vom 27. November 1912 vom Beginn mit der Bitte um Austausch von Zeichnungen gewesen wäre. Denn ehrlich gesagt, hätten wir uns sogar alle 23 Briefe in Faksimile gewünscht. Aber das ist nur dem Interesse geschuldet, das dieser Briefwechsel beim Lesen in uns ausgelöst hat.
Gleich beim ersten Brief von Kubin wundern wir uns über die Schreibung von „Sehr geehrter Herr College“ und müssen schon lachen, als der Amerikaner Feininger in deutscher Schreibung zurückschreibt: „Hochverehrter Herr Kollege“. In demselben Brief betont Kubin bei dem Wunsch nach Zeichnungen des 'Herrn Collegen' dann aber auch sein Interesse für „etwa eine ramponierte Lokomotive“, was Feininger diesmal mit dem 'c' in der Feder beantwortet mit: „Locomotiven liebe ich auch. (Anknüpfungspunke fehlen also nicht! wir könnten uns famos unterhalten)“. Witzig ist uns dabei, daß dieses Mal der Österreicher das 'k' verwendet und der Amerikaner das 'c', also umgedreht gegenüber der Anrede.
Daß man auch solche Nebensächlichkeiten aber mit eigenen Augen verfolgen kann, ist der Vorzug dieser Transkription. Wir haben alle 23 Briefe gelesen und uns so viele Zitate herausgeschrieben, die wir in einer Besprechung dieses fulminanten Katalogs wiedergeben wollten, um die Annäherung der beiden zu dokumentieren. Allein der Platz! Beschränken wir uns also darauf, daß Sie im Katalog verfolgen können, wie sich zwei, die sich grundsätzlich als Künstler sympathisch sind, auch menschlich annähern, sanft und mit Konsequenz auch über das Private berichten, sich besuchen und erst im Februar 1918 zum Du übergehen: Feininger an Kubin; „Lieber Bruder Kubin!“, diese Anrede wird er beibehalten, während Kubin stets „Mein lieber guter Feininger formuliert, zuvor hatten sie sich beim Sie in der Regel mit „Mein lieber Freund“ angeredet. Inzwischen ist längst nach und nach der Bilderaustausch zu standegekommen, die insgesamt 12 Werke waren alle in der Ausstellung in Ingelheim zu sehen und werden sicherlich auch in der Albertina in Wien gezeigt.
So wie der Briefwechsel am 25. November 1912 mit Kubin anfing, hört er am 1.Juni 1918 auf mit
„Nun herzliche Grüße von Haus zu Haus –
Ich bin wie immer
Dein alter Kubin“
und läßt uns mit Wehmut zurück.
P:S.
Daß dieser Katalog zudem im Hauptteil die Gliederung der Ausstellung in thematischen Essays begleitet, die spannend zu lesen sind, wobei die Bilder der Ausstellung mal in den Text integriert, mal gesondert im großen Format abgebildet sind, das wollen wir wenigstens herausstellen. Dies nämlich ist sonst die Funktion des Katalogs einer Ausstellung, der auch mustergültig ausfällt. Das Besondere dabei bleibt aber dieser Briefwechsel, der erstmalig publiziert wurde.
INFO:
Ausstellung: bis 2. August in Ingelheim am Rhein
ab 4. September bis 10. Januar 2016 Albertina Wien
Katalog:
Lyonel Feininger/Alfred Kubin. Eine Künstlerfreundschaft, hrsg. von Ulrich Luckhardt, Texte von Ulrich Luckhardt, Eva Michel u.a., Gestaltung Harald Richter, Verlag Hatje Cantz 2015
Der 224 Seiten starke Katalog mit ca. 150 Abbildungen ist so umwerfende und durch den Abdruck der gesamten transkribierten Korrespondenz zwischen Kubin und Feininger einzigartig, daß wir ihn in einem eigenen Artikel besprochen haben.