Serie: Dialog der Meisterwerke. Hoher Besuch zum 200sten Jubiläum des Städel Frankfurt,  Teil 1

 

Claudia Schulmerich

 

Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Das hat Frankfurt auch nicht alle Tage, daß zur Eröffnung der Jubiläumsausstellung, die als „Stars treffen Stars“ zutreffend charakterisiert ist, weil auf Spitzenwerke der Sammlung hochrangiger Besuch aus anderen Museen trifft, daß diese Ausstellung auch von einem Star, einem der deutschsprachigen Literatur eröffnet wird: Daniel Kehlmann.

 

Nein, den in Wien lebenden Autor muß man nicht vorstellen, vielleicht kurz erwähnen, daß sein Buch ICH UND KAMINSKI gerade in der gleichnamigen Verfilmung Erfolge feiert, aber so hieß es danach im Eröffnungsplenum, er solle gerne wiederkommen, der Herr Kehlmann aus Wien, denn die Gedanken, Gefühle, Assoziationen sowie philosophische Einlassungen über die ausgestellten Bilder, die hatten was! Dazu gleich mehr.

 

Erst einmal begrüßten nacheinander mit Felix Semmelroth der Kulturdezernent der Stadt und mit Max Hollein der Hausherr des Städel die angesichts der zahlreichen Gäste im Gartensaal plazierte Versammlung. Gartensaal, da wissen die Städelkenner sofort, daß es sich um die große unterirdische Halle handelt, die aus Gucklöchern das Licht bekommt, von oben, dem grünen Garten her. Die große Halle ist durch Stellwände unterteilt und in ihrer Mitte ist soviel Raum, daß breite und lange Stuhlreihen Platz finden. Stellen Sie sich vor, dort hängen Bilder des 20. Jahrhunderts an den Wänden, vor denen - und vor allem bei den Zu-und Abgängen in die Nebenkabinette - sich die Menschentrauben drängten, die wenigstens mal kurz die Person des Gastredners sehen wollten, denn die Stimme und damit der Vortrag wurde für alle gut hörbar übertragen.

 

Daniel Kehlmann hatte seine Ausführungen unter das Motto: “Der Apfel, den es nicht gibt – unordentliche Gedanken über Bilder und Wirklichkeit“ genannt und später im Gespräch verraten, daß der Text in voller Länge in der nächsten Ausgabe von SINN UND FORM erscheinen wird. Denn, das war Anliegen von vielen, die sofort nachfragten, ob man das Gehörte auch noch einmal lesen dürfe. Das liegt an der Komplexität und Gedankenfülle des Vortrags, was ja immer ein gutes Zeichen ist, wenn man dem weiter nachgehen will.

 

Eingeleitet hatte Kehlmann die 'unordentlichen Gedanken' mit „Natürlich ist es frivol, hier zu stehen. Wer in diesen Tagen eine Ausstellung schöner Dinge eröffnet, muß auch von den häßlichen reden. Wer laut über Schönheit nachdenkt, muß im Verdacht der Gefühllosigkeit stehen, als wollte er sie mit Gewalt nicht sehen, die Fliehenden, die überfüllten Boote, die in Lastwagen Erstickten, die Menschen hinter Stacheldrähten und die Mordbanden, die im Namen der Religion Köpfe abschneiden...“ Daß dies kein Lippenbekenntnis ist und für Frankfurt der richtige Anfang, verspürte das Eröffnungspublikum sofort, denn in Frankfurt herrscht seit jeher Flüchtlingen gegenüber ein anderes, ein positiveres Klima als anderenorts, was aus der Geschichte der Stadt Frankfurt als freie Reichsstadt herrührt, wobei die vielzitierte Paulskirche ja deshalb 1848 zum Versammlungsort des ersten deutschen Parlaments wurde, weil hier die vordemokratischen Strukturen am stärksten virulent waren.

 

Kehlmann ging als erstes auf ein Bild ein, einen Kosmos, der für alles steht: Willem van Haechts APPELES MALT KAMPASPE, gemalt 1630 (hier als Foto). Wir sahen dann diejenigen, die gleich nach dem Ende der Eröffnung, als sich die Menge verteilte, schnurstracks zu Quentin Massys' „Bildnis eines Gelehrten“ (oben im Titel), um 1525/30, eilten. Das gehört seit 1829, also von Anfang an dem Städel. Darum ging es nun, daß dieser Gelehrte des Städel Besuch vom Mauritshuis aus Den Haag bekam, von einem einzigen Bild, in dem der ganze Gemäldekosmos der Zeit steckt, über den Daniel Kehlmann sprach. Denn Willem van Haecht malte die von ihm selbst kuratierte Bildersammlung des Antwerpener Gewürzhändlers Cornelis van der Geest, einen gewaltigen Raum vollgestopft mit dem, was wir heute Petersburger Hängung nennen, also Bilder neben Bildern, vom Boden an bis zur Decke, nebeneinander und übereinander, wo dann zusätzlich der Durchgang in den nächsten Raum weitere Bilder zeigt. Hier und heute aber geht es um die rechte Seite des Gastgemäldes, wo wir den heute in Frankfurt beheimateten Gelehrten zweifelsfrei identifizieren können. Ist das nicht unglaublich, daß sich das Bild im Bild mit seinem Original hier in Frankfurt trifft?

 

Über all dieses werden wir in unserer Serie berichten, zurück zu Daniel Kehlmann, der viel treffender die Situation beschreibt: „Das Bild verdoppelt hier die Realität: in einem Raum voller Gemälde, ein Gemälde, das einen Raum voller Gemälde darstellt.“ Er findet darin Rubens' AMAZONENSCHLACHT und Renis KLEOPATRA, er sichtet Tizian, van Dyck und Domenichino. Van Haecht „malte sie als Bürger eines Landes, das seit zweiundsechzig Jahren in einen Kriege mit der führenden Großmacht der Welt, Spanien, verwickelt und außerdem seit zwölf Jahren umgeben vom blutigsten Schlachten der Europäischen Geschichte war, da man damals naturgemäß noch nicht das Dreißigjährige nennen konnte“. Er fand deutliche Worte für die Verwüstungen, die Pest und die Hexenprozesse dieser Zeit, wo „insgesamt über hunderttausend“ Menschen verbrannt wurden.

 

Was er ausdrückte war die Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen. Während das Volk darbt und stirbt, feiert sich der Monarch – er sitzt im Bild vorne repräsentativ und als stolzer Besitzer seiner Sammlung – mit seiner Sammlung, die ihn und die Zeiten überlebt. Zwar sind nicht mehr alle Bilder zu identifizieren, aber die allermeisten haben diese fast 400 Jahre überlebt und sind uns heute Freude und Erkenntnis. Sehr kritisch kam der Vortragende auf: „Die Kunst ist für die Wahrheit da, aber diese findet ihren Ausdruck im Schein – ein Wort, das schon Hegel im Bewußtsein seines Doppelsinnes von Glanz und Illusion verwendet hat, oder stärker ausgedrückt: von Licht und Lüge.“

 

Wir sind mit den Worten von Daniel Kehlmann noch ganz am Anfang, aber das sind wir mit unserer Serie auch und haben uns vorgenommen, seine Assoziationen, Hinweise und Deutungen bei den von uns besprochenen Bildern aufzunehmen. Ein interessanter, ein guter Abend. Das zeigte das Publikum durch überwältigenden Beifall. Fortsetzung folgt.

 

Fotos:

Quentin Massys (1465/66–1530)
Bildnis eines Gelehrten, um 1525/30
Mischtechnik auf Eichenholz, 68,8 x 53,3 cm
Städel Museum, Frankfurt am Main

© Städel Museum – ARTOTHEK

 

Willem van Haecht (1593–1637)
Apelles malt Kampaspe, um 1630
Öl auf Holz, 104,9 x 148,7 cm
Mauritshuis, Den Haag, Niederlande

© Mauritshuis, Den Haag, Niederlande