Serie: Maler des russischen Realismus in den Kunstsammlungen Chemnitz, Teil 1/3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) – Da geht einem das Herz auf, wenn man die Kunstsammlungen am Theaterplatz betritt: gemütlich sitzen die Leute beim Kaffee, blättern die ausgelegten Kataloge durch und verraten einem noch, daß sie sowohl vorher wie auch nachher hier sitzen, denn der Ausstellungsbesuch dazwischen bringt so viele Fragen, die sie gerne mit anderen austauschen oder sich festlesen. Erst recht bei dieser so ungewöhnlichen wie interessanten Ausstellung, die den fortschrittlichen Malern der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gilt, die ihr Zentrum in Sankt Petersburg hatten.
Das mit dem Zufällen im Leben. Am Abend vorher war im Frankfurter Städel Klaus Gallwitz zu Gast, einst dessen Direktor, in diesem Zusammenhang aber derjenige, der die noch immer junge und absolut antikommunistische Bundesrepublik 1971/72 in Baden-Baden mit der ersten Ausstellung russischer Realisten konfrontierte, was hieß, russisch ist gleich kommunistisch, und hohe Wellen schlug. Das war eine sensationelle Ausstellung, von der die Namen Ilja Repin und Iwan Schischkin im Gedächtnis blieben, sensationell, weil diese Kunst für Bundesbürger absolut unbekannt war, die eher noch die russischen Avantgardekünstler des 20. Jahrhunderts kannten. Die Gründe hierfür liegen auf der Hand. Zwei Weltkriege haben die gegenseitige künstlerische Wahrnehmung verhindert.
Museumsleiterin Ingrid Mössinger und Kuratorin Beate Ritter haben sich aus dem Bereich des russischen Realismus nun die Malergruppe ausgesucht, die eine ganz besondere Wirkungsgeschichte hat, die Peredwinschniki, was nichts anderes heißt, als Veranstalter von Wanderausstellungen, denn es gehörte zu den Prinzipien dieser sich von der akademischen Malerei abwendenden Sezessionisten, die Kunst zum Volk zu bringen. Das muß man sich konkret so vorstellen, daß sich 1870 – also sehr früh, vergleicht man das mit dem Westen – eine Künstlergesellschaft gründete, die ihre Kunst in Freiheit und Unabhängigkeit sowohl malen wie auch zeigen wollte.
Der Kern dieser Künstlerbewegung bestand aus den Studenten, die sich 1863 zum Sankt Petersburger Künstler-Artel zusammengeschlossen hatten sowie einer Gruppe Moskauer Maler. In der Tat organisierten die Peredwischniki von 1871 bis 1922 insgesamt 48 Wanderausstellungen in zahlreichen russischen Städten. Ihre dem Volk zugewandte Haltung korrespondierte mit den Inhalten ihrer Werke. Bildtitel wie AM RANDE EINES EICHENWALDES von Iwan Schischkin 1882, FRÜHLING.HOCHWASSER VON Isaak Lewitan von 1897 zeigen die Naturverbundenheit, die vor allem in den vielen Gemälden von Eichen- und Birkenwäldern zu Ausdruck kommen, alle Themen, die auch das Volk anging, waren es doch die Bauern und Arbeiter, die das Land bearbeiteten.
Aber auch die arbeitenden Frauen sind eines Gemäldes würdig. WÄSCHERINNEN um 1987 von Abram Archipow zeigt ein Gruppe junger und alter Frauen, die harte körperliche Arbeit am Waschbottich und dem Zuber vollbringen müssen. Der alte Frau im Vordergrund – vielleicht war sie 45 Jahre, aber das hieß bei dieser Tätigkeit eben alt – muß Wäsche drücken und wringen, die anderen stehen um einen kochenden Kessel – denkt man – herum, wo eine der anderen zur Hand geht, in einem Bewegungsablauf aufeinander eingestellt, der so eindringlich gemalt ist, daß wir den schnellen Rhythmus erkennen, was auch daran liegt, daß die Bildfärbung uns die Dämpfe geradezu riechen läßt.
bis 28. Mai 2012
Katalog:
Die Peredwischniki. Maler des russischen Realismus, hrsg. Von Ingrid Mössinger und Beate Ritter, Kunstsammlungen Chemnitz 2012. Schlägt man den Katalog auf, ist man schon mittendrinnen in der russischen Landschaft, die großformatig die ersten Blätter einnimmt. Die Weite, die Birken, das Vieh, auch der Wald im Schnee sind eine schöne Einleitung. David Jackson beschreibt in AUFRUHR UND TRADITION die gemeinsamen Momente der Kunst der Gruppe, das eindrucksvolle Gruppenfoto hängt auch in der Ausstellung. In höchst interessanten Beiträgen geht es um den Kontakt mit Europa – ein Teil der Maler war in Europa, vor allem in Frankreich, andere blieben im Russischen. Auf den bekanntesten der Maler, Ilja Repin wird gesondert eingegangen.
Das Eigentliche ist wie immer der Katalog, d.h. Die 99 Abbildungen der Ausstellungen, denen hier so kundige Texte beigegeben wurden, die das Nachlesen nach der Ausstellung lohnen. Natürlich wäre es als Vorbereitung noch sinnvoller, aber wie immer, wollen wir dann alles ganz genau wissen, wenn durch das Geschaute das Interesse geweckt ist. Die Beiträge sind wichtig, weil sie uns mit vielen Traditionen russischen Lebens, auch mit dem Inventar von Wohnungen oder Verhaltensweisen bekannt machen. Zudem macht der Katalog auch noch einmal klar, daß die Malstile der einzelnen so unterschiedlich sind wie die Bildinhalte. Deshalb war es eine kluge Entscheidung, den Katalogteil der Bilder nicht gemäß der Ausstellung an Themen orientiert zu gliedern, sondern im ABC nach den einzelnen Malern. Beate Ritter hat als Beilage zusätzlich die Künstlerbiographien verfaßt..
So ist der Katalog für jeden Besucher eine Bereicherung. Durch die vielen Bilder und Erklärungen eignet sich dieser Katalog auch hervorragend für die, die nicht nach Chemnitz kommen können. Die Peredwischniki können sie auch hier sehen und ihre Geschichte erfahren.
Veranstaltungsprogramm
Das reichhaltige Programm von Vorträgen, Lesungen, filmen, Symposium und Konzert entnehmen Sie bitte der Webseite: www.kunstsammlungen-chemnitz.de