Serie: Maler des russischen Realismus in den Kunstsammlungen Chemnitz, Teil 2/3
Claudia Schulmerich
Frankfurt am Main (Weltexpresso) –Dann gibt es Bilder aus dem Alltag der Bürger, wie von Wassili Bakschejew DIE PROSA DES ALLTAGS von 1892/93, wo die Einflüsse französischer Malerei deutlich werden. Es sind Genrebilder wie ABRECHNUNG von 1890 von Iwan Bogdanow, wo ein rotbärtiger Bauer um seinen Lohn bittet, derweil die Madame am Tisch thront, mit Samowar und Ehegatten in einer Stube, die so behaglich erscheint, weil sie mit vielen Gegenständen geschmückt Ausdruck ihrer Bewohner ist. Tatsächlich mutet einem manches niederländisch an, wie auch das durch Vorhänge verborgene Ehebett auf der rechten Seite. Der Gehalt des Bildes aber ist knallhart, wenn man die Hand des Geschäftsmanns am Rechenbrett sieht, was auf nichts Gutes für den Bauer deutet, der hilflos mit gestreckten Händen auf Geld wartet.
Dann sieht man eine Reihe von Berufstätigen wie Ikonenmaler, Heizer, Kohlenaufleser. Aber auch Student und Studentin von 1881. Letzteres wundert, denn in Deutschland durften Frauen wie Ricarda Huch nicht mal vor 1900 das Abitur machen und studieren und gingen in die Schweiz. Die Frauenfrage war auch in Rußland eine revolutionäre. Kirchen und Kirchgänge sind ebenfalls ein beliebtes Thema und Familiendarstellungen jeglicher Art, auf dem Feld, zu Hause, einer Bauernhochzeit und auf dem Friedhof. Sehr auffällig sind die vielen Kinderbilder, arme, verlassene, traurige, glückliche.Natürlich malte man auch seine eigene Arbeit, also die Malerateliers oder den Maler beim Malen. Ein anderes Thema war die Geschichte des Volkes, ihre Erniedrigung und ihre kulturellen Höhen, die gerne abgebildet wurden. Denn durch die Wanderausstellungen gab es dafür ein großes Publikum, sei es, daß sie von den Ereignissen wußten, sei es, daß sie dadurch erst erfuhren.
Leo Tolstoi wurde gerne porträtiert, hier von Ilja Repin LEW TOLSTOI, BARFÜSSIG von1901 und auch PORTRÄT DES SCHRIFTSTELLERS L.N. TOLSTOI im Jahr 1884 von Nikolai Ge, von dem wir genauso wenig wußten, wie von den allermeisten der ausgestellten Künstler. Immerhin sind es 41, darunter nur zwei Frauen, die in 90 Werke aus der Staatlichen Tretjakow-Galerie Moskau und dem Staatlichen Russischen Museum in Sankt Petersburg hier zusammenkommen.
Der Ausstellungsrundgang zeigt in den vielen, überschaubaren Sälen eine derartige Fülle von unterschiedlichen Thematiken und Malern, daß man gut daran tut, einfach zu schauen und sich die Namen der Maler und ihre spezielle Malart, auch ihre Biographie, danach im Katalog anzuschauen. So denkt man am Beginn, aha, die Peredwischniki malen eine dunkle erdige Malerpalette, völlig in eins mit den traurigen Verhältnissen der Bauernbevölkerung, sieht dann aber gleich helle Bilder, mit viel blauem Himmel und Wasser und weiten Ausgucken. Und dann die schon erwähnten vielfältigen Bezüge auf die arbeitende Bevölkerung. Nämlich nicht nur die des Bauern und der Wäscherin, auch Betuchte werden gezeigt und von vielen Bildern kann man sich gut vorstellen, daß sie mit Stolz in russischen Bürgerhäusern hingen. Fortsetzung folgt.
bis 28. Mai 2012
Katalog:
Die Peredwischniki. Maler des russischen Realismus, hrsg. Von Ingrid Mössinger und Beate Ritter, Kunstsammlungen Chemnitz 2012. Schlägt man den Katalog auf, ist man schon mittendrinnen in der russischen Landschaft, die großformatig die ersten Blätter einnimmt. Die Weite, die Birken, das Vieh, auch der Wald im Schnee sind eine schöne Einleitung. David Jackson beschreibt in AUFRUHR UND TRADITION die gemeinsamen Momente der Kunst der Gruppe, das eindrucksvolle Gruppenfoto hängt auch in der Ausstellung. In höchst interessanten Beiträgen geht es um den Kontakt mit Europa – ein Teil der Maler war in Europa, vor allem in Frankreich, andere blieben im Russischen. Auf den bekanntesten der Maler, Ilja Repin wird gesondert eingegangen.
Das Eigentliche ist wie immer der Katalog, d.h. Die 99 Abbildungen der Ausstellungen, denen hier so kundige Texte beigegeben wurden, die das Nachlesen nach der Ausstellung lohnen. Natürlich wäre es als Vorbereitung noch sinnvoller, aber wie immer, wollen wir dann alles ganz genau wissen, wenn durch das Geschaute das Interesse geweckt ist. Die Beiträge sind wichtig, weil sie uns mit vielen Traditionen russischen Lebens, auch mit dem Inventar von Wohnungen oder Verhaltensweisen bekannt machen. Zudem macht der Katalog auch noch einmal klar, daß die Malstile der einzelnen so unterschiedlich sind wie die Bildinhalte. Deshalb war es eine kluge Entscheidung, den Katalogteil der Bilder nicht gemäß der Ausstellung an Themen orientiert zu gliedern, sondern im ABC nach den einzelnen Malern. Beate Ritter hat als Beilage zusätzlich die Künstlerbiographien verfaßt..
So ist der Katalog für jeden Besucher eine Bereicherung. Durch die vielen Bilder und Erklärungen eignet sich dieser Katalog auch hervorragend für die, die nicht nach Chemnitz kommen können. Die Peredwischniki können sie auch hier sehen und ihre Geschichte erfahren.
Veranstaltungsprogramm
Das reichhaltige Programm von Vorträgen, Lesungen, filmen, Symposium und Konzert entnehmen Sie bitte der Webseite: www.kunstsammlungen-chemnitz.de